Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 7



107 IV 7

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1981 i.S. K.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 11 StGB. Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit aufgrund mehrerer,
voneinander abweichender psychiatrischer Gutachten.

    Muss die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters aufgrund
von zwei oder mehreren psychiatrischen Gutachten beantwortet werden, die
sich in wesentlichen Punkten ganz oder teilweise widersprechen, kommt den
betreffenden Aussagen der Fachleute nicht mehr jene Überzeugungskraft zu,
die dem Richter ein Abweichen von ihnen ohne triftigen Grund verbieten
würde (Präzisierung der Rechtsprechung)

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte K. am 23.
Oktober 1980 wegen wiederholter Unzucht mit einem Kinde im Sinne von
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB, wiederholter und fortgesetzter
Unzucht mit einem Kinde gemäss Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 und 2, wegen
fortgesetzter Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als
16 Jahren im Sinne von Art. 192 Ziff. 1 StGB, fortgesetzter Unzucht mit
einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als 16 Jahren im Sinne von
Art. 192 Ziff. 2 StGB sowie wegen wiederholter Unzucht mit einem Kinde
im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB zu 27 Monaten Zuchthaus. Das
Obergericht verneinte eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit von
K. und ebenso den Strafmilderungsgrund des Art. 64 Abs. 3 StGB.

    B.- K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie dem Beschwerdeführer verminderte Zurechnungsfähigkeit in
mittlerem Grad und mildernde Umstände im Sinne von Art. 64 Abs. 3 StGB
zubillige.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 5

    5.- Sodann geht in diesem Zusammenhang die Rüge fehl, das Obergericht
sei ohne triftige Gründe von der Auffassung der Experten abgewichen. Im
eigentlichen Sinne abgewichen ist die Vorinstanz einzig von den
Schlussfolgerungen des Obergutachters. Dem Gutachten der Psychiatrischen
Klinik Königsfelden ist es in seinen wichtigsten Prämissen gefolgt und
hat lediglich die übrigens offensichtlich unsichere Aussage über eine
leichte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nicht übernommen. Vom
Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Rosegg ist es überhaupt nicht
abgewichen. Des weiteren hat das Obergericht eingehend begründet, warum
es dem Obergutachten nicht gefolgt ist, und die dabei angeführten Gründe
haben sich im Verfahren auf staatsrechtliche Beschwerde als sachlich
vertretbar erwiesen. Das aber muss hier genügen. Die Rechtsprechung, der
zufolge der Richter in Fachfragen von der Auffassung eines Experten nur
abweichen darf, wenn er dafür triftige Gründe anführen kann (BGE 102 IV
226, 101 IV 129), kann nicht ohne weiteres auch auf den Fall Anwendung
finden, wo die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters aufgrund
von zwei oder mehreren psychiatrischen Gutachten beantwortet werden muss,
die voneinander in wesentlichen Punkten ganz oder teilweise abweichen. Hier
muss der Sachrichter in freier Würdigung seine Wahl treffen können, ohne an
eine andere Schranke als diejenige des Willkürverbots gebunden zu sein;
denn sind schon die Fachleute unter sich nicht einig, dann kommt auch
ihren Aussagen nicht jene Überzeugungskraft zu, die ein Abweichen von
ihnen ohne "triftigen" Grund verbieten würde.