Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 35



107 IV 35

12. Urteil des Kassationshofes vom 30. März 1981 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Obwalden gegen Dr. G. (Nichtigkeitsbeschwerde). Regeste

    Art. 181 StGB. Nötigungsversuch.

    Fall eines Arbeitgebers, der einen Arbeitnehmer zur Einreichung
der Kündigung und zum Verzicht auf die Angabe von Gründen für die
Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu veranlassen sucht mit der Androhung,
andernfalls werde kein Abschlusszeugnis ausgestellt. Die Verweigerung des
Arbeitszeugnisses ist ein rechtswidriges Mittel und kann einen ernstlichen
Nachteil darstellen.

Sachverhalt

    A.- Die deutschen Staatsangehörigen Horst und Ella E. waren seit Sommer
1978 (1. Juni bzw. 1. September 1978) beim Spital X. als Anästhesiepfleger
angestellt. Der damals interimistisch als Chirurg am Spital tätige
Dr. G. richtete am 2. Februar 1979 an das Ehepaar E. folgendes Schreiben:

    "Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen, dem Unterzeichneten und Dr. H. ist
   aus verschiedenen Gründen unbefriedigend. Ich bin im Besitze von 3

    Bewerbungen von Schweizerbürgern mit abgeschlossener Ausbildung. Ich
bitte

    Sie deshalb, ungehend die Kündigung einzureichen. Dies ermöglicht mir,

    Ihnen ein Abschlusszeugnis auszustellen..."

    Am 6. Februar 1979 schrieb er dem Ehepaar E. einen zweiten Brief:

    "Besten Dank für Ihr Schreiben vom 5.2.1979. Ich bin gerne bereit,

    Ihnen die verschiedenen Gründen zu nennen, die die Zusammenarbeit
zwischen

    Ihnen und dem Unterzeichneten, sowie mit Herrn Dr. H. erschwert
haben. Ich
   mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass ich Ihnen danach kein

    Abschlusszeugnis aushändigen kann. Ich bitte Sie, sich die Situation zu
   überlegen. Ich mache Sie ebenso darauf aufmerksam, dass in den nächsten

    Tagen die beiden ersten ernsthaften Bewerberinnen für eine
Anästhesiestelle
   orientierungshalber einen Tag in diesem Spital verbringen werden. In

    Anbetracht dieser Situation sollte es klar sein, dass ich diesen beiden

    Bewerberinnen, sofern sie die fachlichen Qualitäten aufweisen, als

    Schweizerbürgerinnen den Vorrang geben würde.

    Ich bitte Sie deshalb, mir Ihre Entscheidung bis zum 15.2.1979
   zukommen zu lassen. Sofern bis zu diesem Zeitpunkt Ihrerseits keine

    Entscheidung getroffen worden ist, werde ich mich veranlasst sehen,
unter

    Angabe der Gründe durch Herrn Dr. Z. das Arbeitsverhältnis mit Ihnen
   kündigen zu lassen..."

    B.- Das Kantonsgericht Obwalden verurteilte Dr. G. am 7. Mai 1980
wegen vollendeten Nötigungsversuches zu einer Busse von Fr. 500.-. Das
Obergericht hat die hiegegen eingereichte Appellation am 18. November
1980 gutgeheissen und Dr. G. von Schuld und Strafe freigesprochen.

    C.- Die Staatsanwaltschaft Obwalden führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Obwalden vom
18. November 1980 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Dr. G. stellt in seiner Vernehmlassung den Antrag, auf die
Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht einzutreten, sofern auf sie eingetreten
werde, sei sie vollumfänglich abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In der Vernehmlassung des Beschwerdegegners wird geltend gemacht,
die Frage, ob die angedrohte Verweigerung eines Zeugnisses einen
"ernstlichen Nachteil" im Sinne von Art. 181 StGB darstelle, sei rein
tatsächlicher Nature und deren Beurteilung durch die Vorinstanz daher
gemäss Art. 277bis BStP mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht anfechtbar.

    Mit dieser Argumentation wird der Begriff der für den Kassationshof
verbindlichen tatsächlichen Feststellung verkannt. Tatsächlicher Natur
sind die Feststellungen darüber, was der Täter wusste und wollte und
was er effektiv getan hat. Ob aber das festgestellte Verhalten den im
Gesetz umschriebenen Tatbestand erfüllt, ob also im konkreten Fall der
angedrohte Nachteil als ernstlicher Nachteil im Sinne von Art. 181 StGB
zu qualifizieren ist, stellt eine Frage der Auslegung und Anwendung des
Bundesrechts dar, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde dem Kassationshof
zum Entscheid vorgelegt werden kann.

    Der Einwand, die in der Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Rüge sei
unzulässig, erweist sich somit nicht als stichhaltig. Auf die Beschwerde
der Staatsanwaltschaft ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen
des Obergerichts ist davon auszugehen, dass Dr. G. die Eheleute E. mit
der Drohung, er werde ihnen sonst kein Arbeitszeugnis ausstellen, zu
veranlassen suchte, selber zu kündigen und auf das Erfragen der Gründe für
die von ihm verlangte Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu verzichten.
Soweit der Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung behauptet, seine
Äusserungen seien dahin zu verstehen gewesen, dass er lediglich "kein
gutes Zeugnis" ausstellen könne, setzt er sich in klaren Widerspruch
zu den unmissverständlichen Feststellungen der Vorinstanz und deren
Schlussfolgerung, dass Dr. G. in seinen Briefen die Möglichkeit, ein
gutes Zeugnis auszustellen, in der gegebenen Situation von vornherein
ausgeschlossen hat. Seine briefliche Drohung konnte - entsprechend ihrem
Wortlaut - nur den Sinn haben, dass überhaupt kein Zeugnis ausgestellt
werde.

    Die mit dieser Drohung verfolgten Ziele waren an sich nicht
unerlaubt. Der Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer ersuchen, seinerseits
die Kündigung einzureichen, indem er ihm z.B. in Aussicht stellt, sonst
werde ihm (unter Wahrung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Fristen)
gekündigt. Es steht dem Arbeitgeber an sich auch frei, eine einlässliche
Erörterung der Gründe, die ihn zur Auflösung des Vertrages veranlassen,
zu vermeiden. Rechtswidrig war im vorliegenden Fall das Mittel, mit
dem Dr. G. sein Ziel zu erreichen suchte. Gemäss Art. 330a OR hat
der Arbeitnehmer einen unabdingbaren (Art. 362 OR) Anspruch auf ein
Zeugnis. Die Drohung, man werde sonst kein Arbeitszeugnis ausstellen,
ist kein zulässiges Mittel, um einen Arbeitnehmer zu einem bestimmten
Verhalten zu veranlassen. Das wird auch im Urteil der Vorinstanz zutreffend
festgehalten.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht nahm aber an, die Verweigerung des
Arbeitszeugnisses sei kein ernstlicher Nachteil: Schon der Hinweis auf
Art. 330a OR durch die Eheleute E. hätte Dr. G. zur Ausstellung eines
Zeugnisses veranlasst. Zudem sei der gesetzlich geregelte Anspruch auf
ein Zeugnis ohne weiteres in einem einfachen, raschen und kostenlosen
Gerichtsverfahren (Art. 343 OR) durchsetzbar. Die Drohung, kein Zeugnis
auszustellen, sei daher nicht geeignet, die Betroffenen zur Kündigung
und zum Verzicht auf Bekanntgabe der Gründe für die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses zu motivieren. Man dürfe auch ganz allgemein die
Bedeutung des Arbeitszeugnisses nicht überschätzen.

    Nach der Rechtsprechung ist ein angedrohter Nachteil ernstlicher
Natur (im Sinne von Art. 181 StGB), wenn die Androhung geeignet ist, auch
eine verständige Person in der Lage des Betroffenen gefügig zu machen
(BGE 105 IV 122 mit Verweisungen). Damit der Tatbestand der Nötigung -
mindestens in der Form eines (tauglichen) Versuchs - erfüllt ist, muss die
verwendete Drohung objektiv als Beeinflussungsmittel geeignet erscheinen
und subjektiv vom Täter bewusst eingesetzt werden, um den Betroffenen
- entgegen seinem eigentlichen Willen - zu dem vom Täter gewünschten
Verhalten zu veranlassen.

    a) Auch wenn das Arbeitszeugnis heute vielleicht eine kleinere
Rolle spielt als früher, so ist doch - vor allem für eine Fachkraft mit
besonderer Verantwortung im Spitalwesen - die Drohung, es werde kein
Arbeitszeugnis ausgestellt, nicht eine harmlose, den Betroffenen kaum
beeinflussende Äusserung, sondern es geht dabei um einen ins Gewicht
fallenden Nachteil für das weitere Fortkommen. Dass der angedrohten
Weigerung mit dem Hinweis auf die gesetzliche Pflicht gemäss Art. 330a
OR und nötigenfalls mit einer Klage beim Arbeitsgericht schliesslich
erfolgreich begegnet werden könnte, nimmt der Drohung nicht von
vornherein jede Wirkung; denn die Kenntnis der gesetzlichen Regelung und
der Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung ist keineswegs allgemein
vorauszusetzen. Zudem wird mancher Arbeitnehmer davor zurückschrecken,
wegen eines Arbeitszeugnisses ein arbeitsgerichtliches Verfahren
einzuleiten, und es vorziehen, durch Erfüllung der Forderungen des
Arbeitgebers zu seinem Zeugnis zu kommen. Diese Reaktion dürfte vor
allem bei einem Ausländer naheliegend sein. Die verwendete Androhung war
somit an sich durchaus geeignet, die Adressaten zum gewünschten Verhalten
(Kündigung und Verzicht auf irgendwelche Erklärungen über die Gründe der
Auflösung des Arbeitsverhältnisses) zu veranlassen. Die Möglichkeit, einen
angedrohten Nachteil gegebenenfalls mit verhältnismässig geringem Aufwand
auf dem Rechtsweg zu vermeiden oder zu beseitigen, schliesst nicht aus,
dass diese Androhung zur beabsichtigten Beeinflussung geeignet ist und sich
somit auf einen ernstlichen Nachteil (im Sinne von Art. 181 StGB) bezieht.

    Die Vorinstanz hat im konkreten Fall mit der Folgerung, die Androhung
der Verweigerung des Arbeitszeugnisses habe keinen ernstlichen Nachteil zum
Inhalt, Art. 181 StGB unrichtig ausgelegt und somit Bundesrecht verletzt.

    b) Dass Dr. G. die unzulässige Androhung, er werde sonst kein
Arbeitszeugnis ausstellen, vorsätzlich als Druckmittel verwendete, um
das Ehepaar E. zur Kündigung und zum Verzicht auf Erklärungen über die
Gründe der Auflösung der Vertrages zu bewegen, ergibt sich aus dem Text
des zweiten Briefes eindeutig. Er hat diese Drohung in der gegebenen
Situation als taugliches Mittel erachtet, um die Eheleute E. zu dem von
ihm gewünschten Verhalten, zu welchem sie freiwillig nicht bereit waren, zu
bewegen. Diese Auffassung von Dr. G. ist übrigens im Rahmen des konkreten
Sachverhaltes ein weiteres Indiz dafür, dass objektiv ein ernstlicher,
d.h. für den massgebenden Entschluss der Betroffenen wesentlicher Nachteil
angedroht wurde.

Erwägung 4

    4.- Die Frage, ob der Beschwerdegegner gute, sachliche Gründe hatte,
die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Ehepaares E. zu verlangen,
ist vom Kassationshof nicht zu untersuchen.

    Da Dr. G. ein unzulässiges Druckmittel verwendete, ist die
Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gutzuheissen. Art. 181 StGB
erfasst nicht nur schwerwiegende Taten, sondern - wie der Strafrahmen
zeigt - auch rechtswidrige Beeinträchtigungen der Handlungsfreiheit,
die als verhältnismässig leicht eingestuft werden können.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene
Urteil aufgehoben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners
wegen versuchter Nötigung an die Vorinstanz zurückgewiesen.