Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 29



107 IV 29

9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. Mai 1981 i.S. C. gegen
Staatsanwaltschaft Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 64 StGB, achtungswerte Beweggründe. Begriff. Bedeutung politischer
Motive.

Sachverhalt

                     Aus dem Sachverhalt:

    A.- (Gekürzt) C. und M. verübten am 13. November 1979 einen
Sprengstoffanschlag auf einen Stahlgittermast einer Hochspannungsleitung
der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG, wobei ein Sachschaden von
rund Fr. 21'500.-- entstand. In der Nacht vom 24./25. Dezember 1979
verübten sie einen Sprengstoffanschlag auf das Unterwerk "Sarelli"
der Kraftwerke Sarganserland AG, wobei ein Beton-Richtstrahlmast stark
beschädigt wurde, die Werkstromversorgung vollständig und die externe
Stromversorgung teilweise ausfielen, ein Teil des in Transformatoren
gelagerten Öls über die Ölauffangwannen auslief und Sachschaden von rund
1,4 Mio Franken entstand. Überdies haben C. und M. von Frühjahr 1979 bis
anfangs Januar 1980, teils zusammen, teils allein und teils mit Dritten,
zahlreiche Diebstähle verübt; zur Diebsbeute zählten Sprengstoffe und
Sprengmittel, Schusswaffen und Munition, Sende- und Empfangsgeräte mit
Zubehör, Werkzeuge, Benzin, Bargeld usw.

    Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte am 26.-29. Januar 1981
C. wegen wiederholter Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer
Absicht, fortgesetzten Verbergens und Weiterschaffens von Sprengstoff,
wiederholter Beschädigung von elektrischen Anlagen, wiederholter
vorsätzlicher Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, banden-
und gewerbsmässigen Diebstahls und zahlreicher weiterer Straftaten zu 10
Jahren Zuchthaus.

    B.- C. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht insbesondere geltend, die Vorinstanz
habe dadurch Art. 64 StGB verletzt, dass sie ihm mit Bezug auf die
Sprengstoff- und die damit zusammenhängenden Beschaffungsdelikte den
Strafmilderungsgrund der achtungswerten Beweggründe verweigert habe.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 64 StGB kann der Richter die Strafe mildern, wenn
der Täter aus achtungswerten Beweggründen gehandelt hat. Die Ermittlung
des Beweggrundes der Tat gehört zu den tatsächlichen Feststellungen,
die der kantonale Richter für den Kassationshof verbindlich trifft
(Art. 277bis Abs. 1 BStP). ob der Beweggrund achtungswert sei, ist eine
Rechtsfrage, die sich nach der Rangordnung ethischer Werte beurteilt,
welche von der Gemeinschaft anerkannt werden. Der Beweggrund ist an sich
unabhängig von der Tat und ihrem Verhältnis zum verfolgten Zweck. Die
vom Täter vorausgesehenen Gefahren und Folgen der Tat können eine so
grosse Rücksichtslosigkeit kundtun, dass diese die Schuld mehr erhöht,
als der an sich achtungswerte Beweggrund sie zu mildern vermag. Politische
Motive sind nicht an sich achtungswert. Sie können es sein, können aber
auch ethisch neutral oder gar verwerflich sein (BGE 104 IV 245).

    b) Hinsichtlich des Beweggrundes des Beschwerdeführers C. hielt
die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich folgendes fest:
Nach der Mittelschule habe der Beschwerdeführer seine damals
bereits bestehende oppositionelle Haltung in eine revolutionäre und
anarchistische Lebensauffassung gesteigert, um dem kapitalistischen und
verschwenderischen Staat zu trotzen. Möge er anfänglich auch aus ehrlicher
gesellschaftskritischer Überzeugung und aus idealen Beweggründen die
Verhältnisse in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft für unbefriedigend und
verbesserungswürdig gehalten haben, so sei das geeignete Mittel für ihn
doch von Anfang an und ausschliesslich der revolutionäre Kampf gewesen,
der sich in einem blinden Zerstören erschöpfe. In dieser Haltung habe er
sich zu Gewaltaktionen gesteigert, die von reinen Hass- und Rachegefühlen
geleitet worden seien. Er habe Gewalt als das noch einzig richtige Mittel
bezeichnet, um die von ihm kritisierten Zustände zu bekämpfen. Seine
Angriffsziele seien vor allem Objekte gewesen, die "nach Staat und
Wirtschaft schmeckten". Sein Bestreben habe sich nicht darauf beschränkt,
die Mitmenschen von gesellschaftlich oder politisch unbefriedigenden
Zuständen wegzubringen und ihnen eine bessere und erträglichere Welt zu
schaffen, sondern er habe die Zerstörung der staatlichen Ordnung überhaupt
im Auge gehabt.

    c) In rechtlicher Beziehung nahm die Vorinstanz an, derartige
Beweggründe könnten nicht als achtungswert im Sinne von Art. 64 StGB
betrachtet werden. Darin ist ihr beizupflichten. Unsere rechtsstaatliche
Ordnung gibt jedem verschiedene Möglichkeiten, im Rahmen des geltenden
Rechts mit demokratischen und erlaubten Mitteln für ihre Veränderung oder
Verbesserung zu kämpfen. Verbrecherische Gewaltaktionen der vorliegenden
Art, die anarchistische Ziele verfolgen und unsere staatliche Ordnung zu
verändern oder zu vernichten suchen, sind nicht Handlungen, welche von
der Gemeinschaft als höhere ethische Werte anerkannt werden, gleichgültig
welchen Ideologien sie entspringen mögen.

    Der Beschwerdeführer wendet ein, der revolutionäre Kampf als
Mittel mache die Beweggründe noch nicht zum vornherein verwerflich; die
Absicht, dem Menschen eine bessere Welt zu verschaffen, bleibe auch dann
idealistisch, wenn durch die Wahl der Mittel die bestehende Wirtschafts-
und Gesellschaftsordnung getroffen werden wolle. Dem kann beigepflichtet
werden, solange der Kampf um eine bessere Welt mit den gesetzlich erlaubten
Mitteln unserer Rechtsordnung geführt wird. Wo dieser Kampf aber zum
Verbrechen greift und Menschenleben gefährdet, kann er sich nicht mehr
auf achtungswerte Beweggründe berufen.