Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 25



107 IV 25

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Februar
1981 i.S. Möller gegen Regierungsrat des Kantons Bern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde). Regeste

    Art. 46 Ziff. 3 StGB.

    Recht des in den Straf- oder Massnahmevollzug Eingewiesenen zum freien
Verkehr mit seinem Rechtsanwalt oder nach kantonalem Recht anerkannten
Rechtsbeistand. Umfang, insbesondere bei Gefangenen mit besonderen
Sicherheitsrisiken.

Sachverhalt

    A.- Christian Möller wurde vom Geschwornengericht des V.  Bezirks des
Kantons Bern am 30. Juni 1978 wegen Mordversuchs und weiterer Delikte zu
elf Jahren Zuchthaus verurteilt. Als er sich in de Strafanstalt Thorberg im
Strafvollzug befand, besuchte ihn am 22. Mai 1980 sein Anwalt Jean-Pierre
Garbade. Nach diesem Besuch wurden Möller, seine Effekten und seine Zelle
eingehend kontrolliert. Unter anderem hatte er einen Aktenordner mit
Anwaltskorrespondenz abzugeben, der ebenfalls einer Kontrolle unterzogen
wurde.

    B.- Am 4. Juni 1980 wandte sich Möller mit einer Eingabe an die
Polizeidirektion des Kantons Bern und verlangte u.a., es sei festzustellen,
dass die Durchsuchung des Aktenordners rechts- und verfassungswidrig
sei. Mit Schreiben vom 18. Juni 1980 stellte der Polizeidirektor
des Kantons Bern fest, dass die angeordnete Kontrollmassnahme im
pflichtgemässen Ermessen und rechtmässig gewesen sei. Eine Einsprache
Möllers wurde von der Polizeidirektion des Kantons Bern am 18. August
1980 abgewiesen.

    Eine von Möller hiegegen beim Regierungsrat des Kantons Bern
eingereichte Beschwerde wies dieser am 5. November 1980 ab.

    C.- Möller führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die
Verfügung des Regierungsrats sei aufzuheben.

    Die Justizdirektion des Kantons Bern und das Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Verfügung des Regierungsrates ist nur angefochten, soweit
sie die Kontrolle des Aktenordners mit Anwaltskorrespondenz betrifft.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 46 Ziff. 3 StGB steht dem Rechtsanwalt und dem nach
kantonalem Recht anerkannten Rechtsbeistand in einem gerichtlichen oder
administrativen Verfahren innerhalb der allgemeinen Anstaltsordnung
das Recht zum freien Verkehr mit dem Eingewiesenen zu, soweit nicht
eidgenössische oder kantonale Verfahrensgesetze entgegenstehen. Bei
Missbrauch kann die Anstaltsleitung mit Zustimmung der zuständigen Behörde
den freien Verkehr untersagen.

    Sind somit die Rechte des in den Straf- oder Massnahmevollzug
Eingewiesenen in einem Bundesgesetz geregelt, so kann nicht neben der
Verletzung der gesetzlichen Bestimmung ein Verstoss gegen Art. 4 BV
geltend gemacht werden, weil das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit
von Bundesgesetzen nicht überprüfen darf (Art. 113 Abs. 3 BV). Dem Recht
auf persönliche Freiheit kommt bezüglich der Verteidigungsrechte eines in
Untersuchungshaft Stehenden neben Art. 4 BV keine selbständige Bedeutung
zu (BGE 100 Ia 186/7; Urteil der Staatsrechtlichen Kammer vom 7. Juni
1978 i.S. Kröcher-Möller). Das muss auch für die Verteidigungsrechte des
Strafgefangenen gelten.

Erwägung 3

    3.- Nach seinem Wortlaut gewährleistet Art. 46 Ziff. 3 StGB nur
das Recht des Rechtsanwalts oder nach kantonalem Recht anerkannten
Rechtsbeistands auf freien Verkehr mit dem Eingewiesenen. Ihrem Sinn
nach aber will die Bestimmung vor allem dem Anstaltsinsassen dieses Recht
gewähren, geht es doch um die Sicherung seiner Verteidigungsrechte.

    Das Recht zum freien Verkehr gemäss Art. 46 Ziff. 3 StGB bedeutet
einerseits, dass sonst geltende quantitative Beschränkungen (etwa
hinsichtlich Zahl und Dauer von Besuchen, Anzahl der Briefe) in bezug auf
die Verbindung zum Anwalt jedenfalls grundsätzlich nicht zur Anwendung
kommen, und anderseits, dass auf Kontrollen möglichst weitgehend verzichtet
wird. Verteidigungsrechte werden tangiert, wenn die Verbindung zum Anwalt
durch Beschränkungen der ersten Art unverhältnismässig eingeschränkt oder
zeitweise sogar aufgehoben wird. Auch die Überwachung von Gesprächen
ist eine erhebliche Behinderung. Die Kontrolle von Korrespondenz
und Gesprächsnotizen unter Sicherheitsgesichtspunkten ist hingegen
ein geringfügiger Eingriff, der die Verteidigungsrechte in der Regel
nicht oder nur mittelbar berührt. Dass bei Gefangenen mit besonderen
Sicherheitsrisiken eine solche Kontrolle stattfindet, ist verhältnismässig
und mit Art. 46 Ziff. 3 StGB vereinbar.

    Bei gefährlichen Schwerverbrechern wie dem Beschwerdeführer verfolgt
die Strafe neben dem Resozialisierungs- in besonderem Masse einen
Sicherungszweck. Dieser ist zu gewährleisten und auch jedes entfernte
Risiko der Flucht auszuschalten. Da bei Strafgegangenen mit Verbindungen
zu internationalen Terroristenorganisationen dieses Risiko besonders gross
ist, weil solche Gruppen bereit sind, für die Befreiung ihrer Mitglieder
selbst zu äussersten Mitteln zu greifen, sind auch besonders einschränkende
Massnahmen bezüglich des Verkehrs des Häftlings mit seinem Rechtsbeistand
zulässig. Auch ein Verteidiger kann wissentlich oder gutgläubig zum
Komplizen seines Klienten werden, etwa indem er ihm durch Vermittlung
von Angaben Dritter zur Flucht verhilft. Bei Gefangenen mit Verbindungen
zu Terroristengruppen ist es deshalb mit Art. 46 Ziff. 3 StGB vereinbar,
Anwaltskorrespondenz und Gesprächsnotizen zu kontrollieren, selbst wenn
die Person des Verteidigers an sich in keiner Weise verdächtig ist.

    Nach dem Gesagten kann im vorliegenden Fall keine Rede von einer
Verletzung des Art. 46 Ziff. 3 StGB sein. Nach dem unüberwachten Besuch
des Verteidigers wurde ein Aktenordner des Beschwerdeführers, in dem sich
neben Anwaltskorrespondenz auch Gesprächsnotizen hätten befinden können,
während rund einer halben Stunde kontrolliert. Das war den besonderen
Verhältnissen angemessen, zumal nichts dafür vorliegt, dass Möller
wegen dieser Kontrolle in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt
worden wäre. Auch die Anwesenheit des Anwalts bei der Kontrolle und seine
vorherige Einsicht in den Ordner waren nicht erforderlich. Der Vergleich
des Beschwerdeführers mit der Hausdurchsuchung hinkt.

Erwägung 4

    4.- Das Recht auf freien Verkehr des Anstaltsinsassen mit seinem
Rechtsbeistand ist dem Grundsatz nach wie hinsichtlich seiner
Beschränkungen in Art. 46 Ziff. 3 StGB geregelt, soweit dies der
Natur der Sache nach in einem allgemeinen Erlass möglich und geboten
ist. Soweit darin notwendig das Handeln im Einzelfall der Anstaltsleitung
überlassen wurde, hat der Gesetzgeber es dieser auch anheimgestellt,
ob sie Einschränkungen des Verkehrs zwischen Häftling und Rechtsbeistand
in Einzelverfügungen oder in einer allgemeineren, bestimmte Fallgruppen
erfassenden Ordnung vorsehen will. Ob dies im letztern Fall durch
eine Verordnung geschieht oder durch blosse interne Weisungen, ist
bundesrechtlich ohne Belang, weil eben die gesetzliche Grundlage für
Beschränkungen in Art. 46 StGB vorhanden ist. Entscheidend ist, dass die
Verfügung oder die allgemeine Ordnung den Grundgedanken dieser Bestimmung
nicht verletzt. Da dies vorliegend nicht der Fall ist, kann offen bleiben,
ob die kantonalbernischen Vorschriften über die Behandlung von Insassen
des Straf- und Massnahmevollzuges im Sonderregime vom 8. Dezember 1978,
auf deren Ziffern 4 und 20 sich die hier durchgeführte Kontrollmassnahme
stützte, bloss interne Weisungen oder rechtsgültige Verordnungsvorschriften
sind. Auch im letzteren Fall blieben jedenfalls die beiden genannten
Ziffern im Rahmen des Art. 46 StGB und verstiessen entgegen der Meinung
des Beschwerdeführers nicht gegen Art. 2 ÜbBestBV.