Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 169



107 IV 169

49. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. November 1981 in
Sachen I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 148 Abs. 1 StGB. Betrug; Begriff der Arglist.

    Arglist ist auch gegeben, wenn der Täter voraussieht, dass der
Getäuschte die Überprüfung der falschen Angabe unterlassen wird, sofern
diese Voraussicht sich aus einem besonderen Vertrauensverhältnis ergibt,
auf klaren Regelungen oder Zusicherungen beruht und nicht nur eine aus
gewissen Beobachtungen stammende Erwartung darstellt.

Sachverhalt

    A.- I. eröffnete am 24. Dezember 1976 bei der Bank X. ein
Lohnkonto. Er arbeitete damals als Packer und verdiente etwa Fr. 1'000.--
pro Monat. Zwischen dem 24. Dezember 1976 und dem 1. Januar 1977 hob er vom
Lohnkonto Fr. 1'700.-- ab und im Januar 1977 in acht Bezügen weitere Fr.
3'350.--. Den Lohn für den Monat Dezember 1976 erhielt er in bar. Ende
Januar wies das Konto einen Schuldsaldo von Fr. 5'050.80 auf. Am 24. Januar
1977 verfügte die Bank X. die Sperrung des Kontos. I. gelang es aber auch
im Februar und im März, in verschiedenen Filialen Beträge von je einigen
hundert Franken zu beziehen.

    B.- Das Strafobergericht des Kantons Zug erklärte am 7. April 1981
I. für die Geldbezüge vor der Kontosperrung des wiederholten Betruges
für schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Zusatzstrafe von 3
1/2 Monaten.

    C.- I. führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt die Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils und seine Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird die Verurteilung wegen
wiederholten Betruges ausschliesslich mit dem Argument angefochten,
das Vorgehen des Beschwerdeführers sei zwar ein Handeln wider Treu und
Glauben, doch erfülle der Bezug von Geld unter Vorweisung der Kontokarte
und ohne jede falsche Angabe das Tatbestandsmerkmal der Arglist nicht.
   a) Arglist liegt nach der Rechtsprechung vor:

    - wenn der Täter sich zur Täuschung besonderer Machenschaften
(manoeuvres frauduleuses, Lügengebäude) bedient oder

    - wenn er blosse falsche Angaben macht, deren Überprüfung jedoch
dem Getäuschten nicht oder nur mit besondere Mühe möglich oder nicht
zumutbar ist,

    - und schliesslich dann, wenn der Täter den Getäuschten von einer
möglichen Überprüfung abhält oder wenn er nach den Umständen voraussieht,
dass jener die Überprüfung unterlassen wird, weil ein besonderes
Vertrauensverhältnis besteht (vgl. BGE 100 IV 274, 99 IV 76 E. 4).

    b) Der Beschwerdeführer hat keine besondern täuschenden Machenschaften
gebraucht. Er beschränkte sich darauf, sich (wahrheitsgemäss) als
Kontoinhaber auszuweisen. Dabei verschwieg er, dass er auf das Konto noch
nichts einbezahlt hatte und in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein
werde, den Bezügen entsprechende Summen einzuzahlen. Dieses Verschweigen
seiner finanziellen Situation und des bestehenden Passivsaldos lässt sich
als die für die Bereicherung des Täters kausale Irreführung qualifizieren;
es handelt sich um eine in der Unterlassung der Orientierung bestehende
einfache falsche Angabe.

    Den Organen der Bank X. wäre es jeweils ohne besondere Mühe, mit
einem zumutbaren Aufwand möglich gewesen, abzuklären, ob das Konto
des Beschwerdeführers einen Aktivsaldo aufweise. I. wird auch nicht
vorgeworfen, er habe die mögliche Kontrolle bewusst erschwert, etwa durch
den Zeitpunkt seiner Vorsprache (bei Schalterschluss oder in Stosszeiten)
oder er habe ihn bedienende Personen durch zusätzliche unwahre Angaben von
einer Überprüfung seines Kontos abgehalten (vgl. nicht veröffentlichtes
Urteil vom 29. Januar 1979 i.S. P.).

    c) Von den oben (lit. a) erwähnten Formen der Arglist kommt lediglich
die letzte Variante in Frage: Die Vorinstanz wirft I. vor, er habe
gewusst, dass bei der Bank X. eine Kontrolle des Kontostandes in der
Regel unterbleibe. Auf diese Erfahrungstatsache habe er sich verlassen.

    Jeder, der mit einer falschen Angabe etwas zu erreichen sucht,
hofft, die mögliche Kontrolle werde nicht durchgeführt. Das allein
vermag den Vorwurf der Arglist noch nicht zu begründen, sonst würde
dieses Tatbestandsmerkmal den Kreis strafbarer Täuschungen kaum
einschränken. Die Voraussicht, dass nicht überprüft wird, reicht nur
dort als Grundlage der Arglist aus, wo diese Voraussicht sich aus
einem besondern Vertrauensverhältnis ergibt, auf klaren Regelungen
oder Zusicherungen beruht und nicht nur eine auf gewissen Beobachtungen
beruhende Erwartung darstellt, sondern eine Gewissheit. Diese Voraussetzung
war in BGE 99 IV 77 ff. gegeben: Es ging in jenem Fall um die Ausnützung
des Vertrauensverhältnisses zwischen Post und Kontoinhaber. Der
Inhaber eines Postscheck-Kontos kann auf höchstens zwei Poststellen
eine Ermächtigungskarte deponieren. An diesen Poststellen werden dem
dort bekannten Kunden dann Checks bis zu einem bestimmten Höchstbetrag
ohne Rückfrage beim Postcheckamt ausbezahlt (früher bis Fr. 2'000.--,
jetzt bis Fr. 4'000.--). Diese aus Rationalisierungsgründen geschaffene
Möglichkeit von Geldbezügen ohne Kontrolle der Deckung beruht auf einer
ausdrücklichen, dem Kunden bekannten Regelung und darf als Ausfluss
eines strafrechtlich schützenswerten, besonderen Vertrauensverhältnisses
qualifiziert werden. Anders liegen die Verhältnisse bei Kleinkreditbanken,
welche für die Angaben ihrer potentiellen Darlehensnehmer keine Unterlagen
verlangen und auch von Rückfragen (an Arbeitgeber usw.) absehen,
um die Kundenakquisition nicht zu behindern. Von einem besondern
Vertrauensverhältnis kann in dieser Situation nicht die Rede sein, so
dass in der Regel die überprüfbare falsche Angabe das Tatbestandsmerkmal
der Arglist nicht erfüllen wird (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom
12. Juni 1981 i.S. B.; PESCH in SJZ 1970 S. 323), auch wenn der potentielle
Darlehensnehmer von der grosszügigen Praxis der Kleinkreditbank Kenntnis
hat und daher annimmt, jede Überprüfung seiner Angaben werde unterbleiben.

    Zwischen I., der ein Lohnkonto neu eröffnete und in der hier
zu beurteilenden Phase noch nichts einbezahlt hatte, und der Bank
X. bestand kein besonderes Vertrauensverhältnis, das einen Verzicht auf die
Überprüfung hätte erwarten lassen und rechtfertigen können. Die einfache
Ausnützung des Fehlens einer an sich leicht möglichen Kontrolle kann unter
den gegebenen Umständen nicht als arglistig qualifiziert werden. Der
Schuldspruch wegen wiederholten Betruges verletzt daher Art. 148 StGB
und das angefochtene Urteil ist aufzuheben.