Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IV 161



107 IV 161

46. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. August 1981 i.S. R.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 113 StGB. Entschuldbarkeit der heftigen Gemütsbewegung.

    Bei der Beurteilung der Entschuldbarkeit im Sinne von Art. 113 StGB
ist nicht an jeden Täter ein allen seinen Besonderheiten Rechnung tragender
eigener Massstab anzulegen; abnorme Elemente in der Persönlichkeit vermögen
die Entschuldbarkeit nicht zu begründen, sondern sind bei der Bemessung
der Tatschuld zu berücksichtigen.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte R. am 15.
Dezember 1980 wegen vorsätzlicher Tötung unter Anrechnung von 367 Tagen
erstandener Untersuchungshaft zu sechs Jahren Zuchthaus.

    B.- R. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie ihn wegen Totschlags statt wegen vorsätzlicher
Tötung bestrafe.

    Eine von R. gegen das genannte Urteil eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 9.
Juli 1981 abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Enstschuldbar im Sinne des Art. 113 StGB ist eine Gemütsbewegung
nicht schon, wenn sie aus den gesamten objektiven und subjektiven
Umständen heraus psychologisch erklärt werden kann. Der Begriff
der Entschuldbarkeit verlangt vielmehr eine Bewertung nach ethischen
Grundsätzen: Die Gemütsbewegung darf nicht ausschliesslich oder vorwiegend
egoistischen, gemeinen Trieben entspringen, sondern sie muss durch die
äusseren Umstände (Provokation, ungerechte Kränkung, Notlage), welche die
Erregung ausgelöst haben, gerechtfertigt erscheinen (BGE 82 IV 88). Die
Lehre ist nicht anderer Meinung, wenn sie den entschuldbaren Charakter
der Gemütsbewegung als eine ausnahmsweise Entgleisung eines anständig
gesinnten Menschen (BINDER, ZStR 67 (1952) S. 318), eines rechtsgetreu
Gesinnten (STRATENWERTH, I S. 30/31) bezeichnet oder am Massstab des
durchschnittlich Zumutbaren misst (WALDER, ZStR 81 (1966) S. 39). In
BGE 100 IV 151 hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung bestätigt,
ihr indes beigefügt, dass bei Beurteilung der Entschuldbarkeit auch der
Persönlichkeit des Täters Rechnung zu tragen sei; es sei ihm daher nicht
irgendein Mensch zum Vergleich gegenüberzustellen, sondern jemand aus
gleichen Umweltverhältnissen. Diese letzte Aussage wurde vom Kassationshof
in einem späteren nicht veröffentlichen Urteil dahin präzisiert,
dass mit dem Hinweis auf die Umwelt, die Erziehung usw. insbesondere
Unterschiede in der ethischen Bewertung, welche durch fremde Zivilisationen
bedingt sind, berücksichtigt werden wollten (Urteil vom 12. Oktober 1979
i.S. B.-S.), was im genannten Fall, aber auch schon in dem in BGE 100 IV
150 beurteilten zutraf. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass an
jeden Täter ein allen seinen Besonderheiten Rechnung tragender eigener
Massstab anzulegen sei. Insbesondere vermag eine krankhafte Veranlagung
die Entschuldbarkeit einer an sich unverständlichen Reaktion nicht zu
begründen. Abnorme Elemente in der Persönlichkeit des Täters sind bei
der Bemessung der konkreten Tatschuld zu berücksichtigen, nicht bei der
Entschuldbarkeit (BGE 107 IV 106 E. bb). Für deren Beurteilung ist vom
Durchschnittsmenschen der Rechtsgemeinschaft auszugehen, welcher der
Täter nach Herkunft, Erziehung und tätlicher Lebensführung angehört.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.