Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 II 411



107 II 411

65. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1981 i.S.
Berger gegen Zürcher Lichtkreis ZLK (Berufung) Regeste

    Art. 47 Abs. 3 OG. Art. 2 Abs. 2 OR.

    1. Voraussetzungen der Berufungsfähigkeit einer Hauptklage, die den
Streitwert von Art. 46 OG nicht erreicht (E. 1).

    2. Ergänzung des Vertrages durch den Richter. Die Natur des
Geschäftes kann eine vorausgehende Kündigung des Vertragsverhältnisses
erfordern. Bestimmung der den konkreten Verhältnissen angemessenen
Kündigungsfrist (E. 7-9).

Sachverhalt

    A.- Edwin Kuhn erteilte Anton Berger am 11. Juli 1963 das alleinige
Auffüllrecht einer Kiesgrube, die sich auf der Meliorationsparzelle
Nr. 9004 in Aeugst a.A. befand. Berger hatte ihm gemäss Vertrag pro
abgeladenes Auto Fr. 3.-- zu bezahlen und war für Ordnung und Sauberkeit
im Bereich der Grube verantwortlich. Eine Abrechnung hatte halbjährlich
zu erfolgen.

    Am 7. April 1972 verkaufte Kuhn diese Parzelle an den Zürcher
Lichtkreis ZLK. In Ziffer 8 des Kaufvertrages übernahm der Käufer Rechte
und Pflichten aus dem mit Berger bestehenden Vertrag. Mit Schreiben
vom 21. Juni 1972 teilte der Zürcher Lichtkreis Berger die Handänderung
mit und machte ihn gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die Kiesgrube
als aufgefüllt und demnach der Vertrag als erfüllt zu betrachten sei.
Er wurde aufgefordert, die Grube ordnungsgemäss zu übergeben. Berger
bestritt, dass die Kiesgrube aufgefüllt sei und erklärte, auf diese
Auffüllmöglichkeit nicht zu verzichten.

    B.- Im Mai 1975 klagte der Zürcher Lichtkreis ZLK gegen Berger auf
Zahlung von Fr. 6'818.40 nebst Zins. Gefordert wurde damit Ersatz der
Kosten für Instandstellungsarbeiten. Der Beklagte widersetzte sich der
Klage und verlangte widerklageweise für den Verlust der Auffüllmöglichkeit
der Kiesgrube Schadenersatz im Betrage von Fr. 14'000.-- nebst Zins.

    Das Bezirksgericht Horgen hiess die Hauptklage gut und verpflichtete
den Beklagten, dem Kläger Fr. 6'818.40 nebst 5% Zins seit 7. November
1974 zu bezahlen. Die Widerklage hiess es teilweise gut und sprach dem
Beklagten Fr. 9'632.-- nebst 5% Zins seit 18. September 1972 zu.

    Auf Appellation beider Parteien bestätigte das Obergericht des
Kantons Zürich am 13. Juni 1980 dieses Urteil in bezug auf die Hauptklage,
während es die Widerklage vollumfänglich abwies.

    C.- Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Beklagte Berufung
eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben, die Hauptklage abzuweisen und
die Widerklage für einen Betrag von Fr. 14'000.-- nebst Zins gutzuheissen,
eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Berufungsstreitwert von Fr. 8'000.-- wird zwar von der
Widerklage mit Fr. 14'000.--, nicht aber von der Hauptklage mit Fr.
6'818.40 erreicht. Für diese ist daher die Berufung nur unter der
Voraussetzung gegeben, dass die mit Haupt- und Widerklage geltend gemachten
Ansprüche einander ausschliessen (Art. 47 Abs. 3 OG). Dies ist vorliegend
nicht der Fall, da die Widerklage unabhängig vom Schicksal der Hauptklage
gutgeheissen oder abgewiesen werden kann und umgekehrt (BGE 95 II 283,
59 II 73; BIRCHMEIER, N. 6 zu Art. 47 OG). So hiess das Bezirksgericht
gleichzeitig sowohl Haupt- wie Widerklage teilweise gut, während das
Obergericht nur die Hauptklage zusprach und es auch möglich wäre, allein
die Widerklage gutzuheissen.

    Der Beklagte wendet freilich ein, die Ansprüche schlössen sich
gegenseitig aus. Die Widerklage sei zu schützen, weil der Kläger den
Vertrag gebrochen habe. Er schulde daher Schadenersatz, während ihm
die mit der Hauptklage geltend gemachten Ansprüche gemäss Art. 82
OR nicht zustünden. Damit übersieht der Beklagte, dass die Einrede
des nichterfüllten Vertrages nicht auf alle Verpflichtungen anwendbar
ist, welche aus einem zweiseitigen Vertrag erwachsen, sondern nur auf
solche, die gegenseitig derart aufeinander Bezug haben, dass die eine
die Gegenleistung für die andere ist (BGE 84 II 150, 67 II 126; VON
TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts,
S. 63). Im streitigen Vertrag besteht ein solches Austauschverhältnis
einerseits zwischen der Verpflichtung des Eigentümers, das Auffüllen
der Kiesgrube zu dulden, und anderseits der Pflicht des Berechtigten,
pro Wagenladung ein Entgelt zu bezahlen. Die Verpflichtung, für Ordnung
und Sauberkeit im Bereich der Grube zu sorgen, stellt für diesen dagegen
eine Nebenpflicht dar, die sich nicht in einem Austauschverhältnis zur
Pflicht des Eigentümers befindet, neue Ablagerungen zu dulden.

    Sofern der Beklagte gegenüber dem Kläger gleichzeitig Gläubiger und
Schuldner einer fälligen Geldforderung ist, könnte er Verrechnung geltend
machen. Er behauptet jedoch nicht, dies getan zu haben.

    Auf die Berufung kann somit nur in bezug auf die Widerklage eingetreten
werden.

Erwägung 3

    3.- Für die Ermittlung der Rechte und Pflichten der Parteien massgebend
ist der zwischen dem Beklagten und dem damaligen Grundeigentümer Kuhn
am 11. Juli 1963 geschlossene Vertrag. Das Obergericht qualifiziert ihn
unwidersprochen als Vertrag spezieller Eigenart. Es stellt fest, bei
dessen Abschluss sei weder schriftlich noch mündlich eine Einigung über
die Auffüllmenge und den Endzustand des Grundstücks erfolgt, sondern die
Regelung dieser Fragen bewusst einer späteren Vereinbarung vorbehalten
worden. Eine solche zusätzliche Vereinbarung sei indessen nicht zustande
gekommen. Als Rechtsnachfolger Kuhns könne sich der Kläger daher auf sein
Eigentumsrecht stützen und ohne Verletzung eines Rechts des Beklagten
die Auffüllung und damit dessen Auffüllrechte beenden.

Erwägung 7

    7.- Im Schluss des Obergerichts, der Kläger sei als Grundeigentümer
berechtigt gewesen, das Vertragsverhältnis durch einseitige Erklärung zu
beenden, sieht der Beklagte eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 OR.

    Gemäss dieser Bestimmung hat der Richter die vorbehaltenen Nebenpunkte,
über die eine Vereinbarung zwischen den Parteien nicht zustande gekommen
ist, nach der Natur des Geschäftes zu entscheiden. Wie wenn es darum geht,
eine Vertragslücke auszufüllen, hat sich der Richter dabei vom Wesen und
Zweck des Vertrages leiten zu lassen und den gesamten Umständen des Falles
Rechnung zu tragen. Die Ergänzung eines Vertrages kann als Rechtsfrage
vom Bundesgericht frei überprüft werden (BGE 107 II 149 mit Hinweisen).

    Aus den Feststellungen des angefochtenen Entscheides ergibt sich,
dass der Vertrag das Auffüllen der Kiesgrube bezweckte. Weil es bei
Vertragsschluss unsicher war, wie das Grundstück am Ende auszusehen hatte,
behielten sich die Parteien diesbezüglich eine spätere Vereinbarung vor,
die jedoch nicht zustande kam. Es lag im Interesse beider Vertragsparteien,
sich verhältnismässig langfristig zu binden. Nach Treu und Glauben durfte
der Beklagte damit rechnen, zumindest soviel Material in der Kiesgrube
ablagern zu können, bis das Grundstück einigermassen ebenerdig war. Bis
dahin hatte der Eigentümer offensichtlich auch kein Interesse, sich
der Auffüllung der Grube zu widersetzen. Von den weiteren Ablagerungen
hing dann allerdings die künftige Bodengestaltung ab, die für den
Grundeigentümer im Hinblick auf die spätere Verwendungsmöglichkeit von
entscheidender Bedeutung war. Von diesem Zeitpunkt an ist sein Interesse,
auf die Geländeform Einfluss nehmen zu können, höher einzustufen, als jenes
des Beklagten, mit der Ablagerung von Material fortfahren zu dürfen. Es ist
dem Grundeigentümer deshalb in Ergänzung des Vertrages von jenem Moment
an grundsätzlich das Recht einzuräumen, sich der weiteren Ablagerung von
Material zu widersetzen.

    Die Vorinstanz geht freilich zu weit und missachtet die Interessen
des Beklagten, wenn sie dem Kläger kraft seiner Eigentümerstellung die
Befugnis zuerkennt, den Vertrag durch einseitige Erklärung von einem Tag
auf den andern zu beenden. Die Natur des Vertrages erfordert vielmehr
eine vorausgehende Kündigung des Vertragsverhältnisses. Dies um so mehr,
als die Parteien übereingekommen sind, den Zeitpunkt des Vertragsendes
später zu regeln. Wenn auch dem Eigentümer ein überwiegendes Interesse
zuzugestehen ist, über das Schicksal seines Grundstücks zu befinden,
so hat er doch die Beendigung des Vertragsverhältnisses der Gegenpartei
rechtzeitig bekanntzugeben, damit auch diese ihre Dispositionen treffen
kann. Es darf auch angenommen werden, dass umsichtige Vertragspartner in
einer vergleichbaren Lage eine Kündigungsfrist in ihren Vertrag aufgenommen
hätten, die ihnen erlauben würde, sich auf das Ende des Vertrages
beizeiten einzustellen. Vorliegend aber ist es Aufgabe des Richters,
in Anwendung von Art. 2 Abs. 2 OR zu bestimmen, welche Kündigungsfrist
den konkreten Verhältnissen angemessen ist. Um allfälligen Missbräuchen
vorzubeugen, drängt es sich zudem auf, die Menge festzusetzen, die während
der Kündigungsfrist höchstens noch abgelagert werden darf. Ausgehend davon
kann der Schaden berechnet werden, der dem Beklagten dadurch entstanden
ist, dass es ihm nicht möglich war, von seinen vertraglichen Befugnissen
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Gebrauch zu machen.

    Im obergerichtlichen Urteil sind indes nicht genügend Anhaltspunkte
vorhanden, die es dem Bundesgericht erlaubten, in der Sache selbst zu
entscheiden. In bezug auf den mit der Widerklage geforderten Schadenersatz
lässt sich daher die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz nicht umgehen. Diese wird vorerst
zu prüfen haben, ob die Kiesgrube im Zeitpunkt der Vertragsauflösung
durch den Kläger soweit aufgefüllt war, dass diesem als Grundeigentümer
ein Kündigungsrecht überhaupt zustand. Alsdann wird über die Dauer
der Kündigungsfrist zu befinden sein. Eine analoge Anwendung der
sechsmonatigen Kündigungsfrist von Art. 290 Abs. 1 OR kann dabei angesichts
des überwiegenden Interesses des Grundeigentümers an einer wirksamen
Einflussnahme auf die Geländeform nicht in Frage kommen. Nach Ansicht des
Bundesgerichts dürfte eine Frist von etwa drei Monaten angemessen sein,
doch wird es dem Obergericht überlassen, diese aufgrund dessen, was
bei ähnlichen Verhältnissen üblich ist, genau festzulegen. Die während
der Kündigungsfrist höchstzulässige Ablagerungsmenge könnte anhand der
während der gesamten Vertragsdauer durchschnittlich erfolgten Ablagerungen
berechnet werden.

Erwägung 8

    8.- Der Beklagte behauptet, das von der Vorinstanz dem Grundeigentümer
zugebilligte Kündigungsrecht sei vom Kläger zu einem Zweck missbraucht
worden, der mit der Willensmeinung der ursprünglichen Vertragspartner
im Widerspruch stehe. Die Kündigung hätte daher vom Obergericht als
wegen Rechtsmissbrauchs im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB ungültig erklärt
werden müssen.

    Dieser Einwand ist unbegründet. Sofern dem Kläger das Recht zustand,
den Vertrag mit dem Beklagten zu kündigen, so war belanglos, wie er das
Grundstück in der Folge gestalten wollte. Die Kündigung eines Vertrages
ist gerade dazu bestimmt, die Vertragsparteien von den eingegangenen
Verpflichtungen zu befreien. Dies schliesst vorliegend das Recht des
Grundeigentümers ein, nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder völlig frei
über sein Grundstück zu verfügen.

Erwägung 9

    9.- Schliesslich hält sich der Beklagte mit der Eventualerwägung des
Obergerichts auf, gemäss der auch die Annahme eines pachtvertragsähnlichen
Verhältnisses am Ergebnis nichts zu ändern vermöchte. Er wendet ein, die
Vorinstanz widerspreche sich selbst, wenn sie einerseits die gesetzliche
Regel von Art. 290 OR als durch Parteivereinbarung aufgehoben erkläre,
anderseits aber annehme, eine Vereinbarung betreffend den für die
Beendigung des Vertrages massgebenden Zustand sei nicht erfolgt. Mangels
gültiger und klarer Parteivereinbarung müsse es bei der gesetzlichen
Regelung und damit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten bleiben.

    Der Beklagte übersieht, dass die fehlende Einigung über den
vorbehaltenen Nebenpunkt keineswegs zur Folge hat, dass die Bestimmung von
Art. 290 OR zur Anwendung gelangt. Bei der Ergänzung eines Vertrages nach
Art. 2 Abs. 2 OR geht vielmehr die Natur des Geschäftes dem dispositiven
Gesetzesrecht vor (JÄGGI/GAUCH, N. 517 zu Art. 18 OR; MERZ, N. 138
zu Art. 2 ZGB; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
Obligationenrechts, S. 190). Das Obergericht hat deshalb kein Bundesrecht
verletzt, wenn es in seiner Eventualerwägung von der Regel gemäss Art. 290
OR abgewichen ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Hinsichtlich der Hauptklage wird auf die Berufung nicht eingetreten.

    Bezüglich der Widerklage wird die Berufung gutgeheissen, das Urteil
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Juni 1980 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.