Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 II 349



107 II 349

55. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. September 1981 i.S. Baumgartner
und Mitbeteiligte gegen Schweiz. Krankenkasse für das Bau- und Holzgewerbe
und Mitbeteiligte (Berufung) Regeste

    Aktienrechtliche Verantwortlichkeit.

    1. Art. 50 Abs. 1 OG. Berufung gegen einen Zwischenentscheid, der
sich auf vier von sechs Beklagten beschränkt (E. 2).

    2. Art. 754 Abs. 1 OR. Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung
betraut gelten auch Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene
Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so
die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (sog. stille
Verwaltungsräte). Umstände, die für eine solche Mitbestimmung sprechen
(E. 5).

Sachverhalt

    A.- Im Mai 1970 wurde die Bauunternehmung Zumbrunn AG in Unterseen
durch Umwandlung der Einzelfirma des Eduard Zumbrunn gegründet. Das
Aktienkapital von 525'000.-- Franken wurde durch Sacheinlage von Zumbrunn
voll liberiert. Die Verwaltung bestand aus Zumbrunn als Präsidenten und
seiner Frau. Als diese sich 1971 zurückzog, blieb Zumbrunn einziges
Verwaltungsratsmitglied. Zugleich war er mit der Geschäftsführung betraut.

    Am 12. Juni 1970 wurde das Aktienkapital von Fr. 525'000.--
auf Fr. 750'000.-- erhöht. Die Soliva AG, eine Tochtergesellschaft
des Schweizerischen Bankvereins (SBV), beteiligte sich daran mit
Fr. 225'000.--. Bereits am 26. Mai 1970 hatten Zumbrunn und die Soliva
AG einen Vertrag "betreffend Minderheitsbeteiligung" geschlossen. Darin
verpflichtete sich Zumbrunn u.a., die Aktien der Soliva AG in fünf Tranchen
zu je Fr. 45'000.-- zurückzukaufen. Die Soliva AG erhielt ein auf die
Dauer ihrer Beteiligung befristetes Beratungsmandat, wofür sie jährlich
mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen war. Im Zusammenhang damit wurde ihr
Recht zur "stillen Einsitznahme in den Verwaltungsrat" der Zumbrunn AG
festgehalten. Zumbrunn hatte ferner schon bei der Gesellschaftsgründung
mit der Generaldirektion des SBV einen auf Ende 1983 befristeten Vertrag
abgeschlossen, in welchem dem SBV gegen ein jährliches Honorar von
Fr. 6'600.-- die Beratung in allen Fragen der finanziellen Führung des
Unternehmens übertragen wurde; der SBV hatte dem Verwaltungsrat Bericht
zu erstatten.

    Am 12. Juni 1970 vereinbarte Zumbrunn ausserdem mit dem SBV als
Garantie für bereits gewährte und künftige Kredite eine Globalzession,
durch welche "sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus
Lieferung von Waren, Leistungen an Kunden, einschliesslich der Rechte
und Ansprüche aus Bau- und Werkvertrag" abgetreten wurden.

    Im Herbst 1974 wurde das Aktienkapital der Zumbrunn AG ein zweites Mal
von Fr. 750'000.-- auf 1'000'000.-- erhöht. An dieser Kapitalerhöhung
beteiligte sich die Spezialfinanzierungen AG, Basel, eine weitere
Tochtergesellschaft des SBV, mit einem Betrag von Fr. 150'000.--. Auch
mit dieser Gesellschaft hatte Zumbrunn am 13. November 1974 einen Vertrag
"betreffend Minderheitsbeteiligung" geschlossen; er vereinbarte mit ihr
insbesondere, dass sie die Aktien, welche die Soliva AG von der Zumbrunn
AG besass, sowie auch das Beratungsmandat gegen ein neu auf Fr. 6'600.--
festgesetztes Honorar mitübernahm. Zumbrunn verpflichtete sich, die
zweijährlichen Rückkaufsquoten ab 1976 auf Fr. 65'000.-- zu erhöhen
und räumte der Spezialfinanzierungen AG die "stille Einsitznahme in den
Verwaltungsrat" der Zumbrunn AG ein.

    Am 28. März 1977 reichte die Zumbrunn AG ein Gesuch um Nachlassstundung
ein, die am 18. April 1977 für eine Dauer von 4 Monaten bewilligt wurde. Am
23. Juni 1977 wurde der Konkurs über sie eröffnet.

    B.- Im März 1979 erhoben die Schweizerische Krankenkasse für das Bau-
und Holzgewerbe sowie 16 Mitbeteiligte als Zessionare von Rechten der
Konkursmasse der Zumbrunn AG eine Verantwortlichkeitsklage gemäss Art. 754
ff. OR. Die Klage richtete sich gegen den Verwaltungsrat Zumbrunn, gegen
Thöni als Kontrollstelle der Gesellschaft sowie gegen Schmutz, Egli,
Keiser und Baumgartner als Vertreter des SBV. Die vier Letztgenannten
bestritten ihre Passivlegitimation mit der Begründung, dass sie nicht
zum Personenkreis gehörten, der den aktienrechtlichen Haftungsnormen
unterstehe. Sie seien keine mit der Verwaltung ohne Geschäftsführung
betraute Personen im Sinne von Art. 754 OR. Das Verfahren wurde deshalb
vorläufig auf diese Streitfrage beschränkt.

    Mit "Zwischenentscheid" vom 23. März 1981 bejahte der Appellationshof
des Kantons Bern die Frage. Er stellte gestützt auf Sitzungsprotokolle
fest, dass bei der Zumbrunn AG Entscheidungen mit finanzieller Tragweite
regelmässig vom Verwaltungsrat getroffen wurden, die vier beklagten
Vertreter des SBV daran seit Herbst 1970 jeweils zu zweit oder zu
dritt massgeblich mitwirkten, mit Zumbrunn auch administrative und
geschäftliche Fragen der Gesellschaft besprachen und seine Willensbildung
beeinflussten; als die Gesellschaft sich in Schwierigkeiten befand,
sei sie von Baumgartner intensiv betreut und überwacht worden. Die vier
Vertreter bezeichneten sich noch heute als "stille Verwaltungsräte" der
konkursiten Gesellschaft. Wer die Beschlüsse fasste, sei den meisten
Protokollen nicht zu entnehmen; in einigen Fällen seien sie darin als
"einstimmig" bezeichnet worden.

    C.- Die vier beklagten Vertreter haben gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und festzustellen, dass sie
nicht den aktienrechtlichen Bestimmungen über die Organhaftung im Sinne von
Art. 754 ff. OR unterstehen, weshalb die Klage ihnen gegenüber abzuweisen
sei. Sie verweisen auf ein Rechtsgutachten, das sie der Berufung beilegten
und zu deren Bestandteil erklärten.

    Die Kläger beantragen, die Berufung abzuweisen und das ihr beigelegte
Gutachten aus den Akten zu entfernen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Berufung der vier Beklagten richtet sich gegen einen
Zwischenentscheid, mit welchem ihre aktienrechtliche Verantwortlichkeit
bejaht wurde. Eine solche Berufung ist zulässig, wenn dadurch sofort
ein Endentscheid herbeigeführt und ein so bedeutender Aufwand an Zeit
oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann,
dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint
(Art. 50 Abs. 1 OG). Ist die Berufung begründet, so ist die Klage gegen
die vier Beklagten abzuweisen und entfällt nach dem angefochtenen Urteil
ein erheblicher Teil des weitläufigen Beweisverfahrens. Dieses müsste
aber ohnehin gegenüber zwei weiteren Beklagten, deren Organstellung
vom Appellationshof unangefochten bejaht wurde, fortgesetzt werden. Die
vorliegende Berufung kann deshalb nur zu einem Teilentscheid, nicht aber
zu einem Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG führen.

    Das Bundesgericht lässt seit langem Berufungen gegen Teilurteile,
mit welchen nur einzelne von mehreren Rechtsbegehren erledigt werden, im
Interesse der Prozessökonomie nicht zu, weil es sich nur einmal mit einem
Prozess befassen will und deshalb die Rügen gegen den Teilentscheid mit der
Berufung gegen den Endentscheid vorzubringen sind; ausgenommen wurden nur
Fälle, in welchen die verbleibenden Rechtsbegehren in ein separates, von
Anfang an neu beginnendes Verfahren verwiesen werden (BIRCHMEIER, S. 167;
BGE 62 II 216, 100 II 429, 104 II 287 u.a.). Galt dieser Grundsatz vorerst
nur für mehrere Rechtsbegehren zwischen den nämlichen Prozessparteien
(objektive Klagenhäufung), nicht aber für Klagen gegen mehrere Beklagte
(subjektive Klagenhäufung; BGE 63 II 348), so wurde er mit BGE 91 II 59
auch auf letztere ausgedehnt.

    In der neueren Rechtsprechung wird die Frage der Prozessökonomie etwas
anders beurteilt. Deshalb wird die Berufung gegen Teilurteile zugelassen,
mit welchen über Begehren entschieden wird, die zum Gegenstand eines
besonderen Prozesses hätten gemacht werden können und deren Beurteilung
für den Entscheid über die verbleibenden Begehren präjudiziell ist
(BGE 104 II 287 mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung lässt sich zwar
nicht ohne weiteres auf die subjektive Klagenhäufung übertragen,
zeigt aber doch, dass der grundsätzliche Ausschluss der Berufung gegen
Teilurteile Ausnahmen erfahren muss, wie dies Art. 50 Abs. 1 OG bei Vor-
und Zwischenentscheiden zum Ausdruck bringt. In diesem Sinn verstand
sich denn auch BGE 91 II 59 ausdrücklich nur als Regel, welche damals zur
Verneinung der Berufung führte, weil keinerlei praktische Gründe für ihre
Zulassung sprachen und mit ihr auch die Kosten des Beweisverfahrens nicht
vermindert werden konnten (S. 62 E. 2). Vorliegend verhält es sich anders,
da nach dem angefochtenen Urteil der Umfang des Beweisverfahrens über die
Schadenshöhe in erheblichem Mass davon abhängt, ob alle sechs oder nur zwei
der Beklagten zur Verantwortung gezogen werden. Auf die Berufung ist daher
einzutreten, ohne dass im übrigen zu BGE 91 II 59 Stellung zu nehmen ist.

Erwägung 5

    5.- Gemäss Art. 754 Abs. 1 OR sind alle mit der Verwaltung oder
Geschäftsführung betrauten Personen insbesondere der Gesellschaft und
deren Gläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche
oder fahrlässige Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten verursachen.

    a) Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betraut im
Sinne dieser Bestimmung gelten nicht nur Entscheidungsorgane,
die ausdrücklich als solche ernannt worden sind; dazu gehören auch
Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder
die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der
Gesellschaft massgebend mitbestimmen (BGE 102 II 359, 65 II 5 E. 3). Diese
Rechtsprechung, die von keiner Seite beanstandet wird, deckt sich mit
der herrschenden Lehre (BÜRGI, N. 119 zu Art. 753/54; SCHUCANY, N. 1
zu Art. 754 OR; PEDRAZZINI, Die Verantwortung des Verwaltungsrates in
der AG, Zürich 1978, S. 30 ff.; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in
das schweizerische Aktienrecht, 2. Auflage, S. 137 und 184; FORSTMOSER,
Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Zürich 1978, S. 23 und 125 ff.;
HENGGELER, Die zivilrechtlichen Verantwortlichkeiten im Bankgesetz und
im neuen schweizerischen Aktienrecht, S. 30 ff.).

    Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann im Ernst
nicht bestritten werden, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind. Das
erhellt vorweg aus den Verträgen, welche Zumbrunn und seine Gesellschaft
mit dem SBV und dessen Tochtergesellschaften geschlossen haben. Diese
Gesellschaften sicherten sich dadurch als Ausgleich für ihre finanziellen
Leistungen eine Minderheitsbeteiligung am Aktienkapital der Zumbrunn
AG. Auch der SBV verstand es, seine Interessen innerhalb der Zumbrunn
AG zu wahren, war die Gesellschaft doch insbesondere "verpflichtet", dem
neuen Aktionär einen "Beratungsvertrag" anzuvertrauen und ihm eine "stille
Einsitznahme in den Verwaltungsrat" zu ermöglichen. Der SBV und seine
Tochtergesellschaften erhielten dadurch gewichtige Einflussmöglichkeiten;
ihre Vertreter konnten insbesondere an den Verwaltungsratssitzungen
der Zumbrunn AG teilnehmen und sich zu allen Verhandlungsgegenständen
äussern. Die Bedeutung ihrer Teilnahme ergibt sich vor allem daraus,
dass seit 1971 der Verwaltungsrat der Gesellschaft nur noch aus einem
Mitglied bestand; seine Sitzungen hatten zudem nur noch den Zweck,
die Vertreter des SBV über die Verhandlungsgegenstände zu unterrichten
und ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu den vorgesehenen Beschlüssen zu
äussern. Die Vorinstanz schliesst daraus zu Recht auf eine erhebliche
Einflussnahme auf die oder aktive Teilnahme an der Willensbildung und
damit auf eine materielle Organstellung der Bankvertreter. Ob formelle
Abstimmungen stattgefunden haben oder nicht, ist deshalb belanglos, zumal
sie sich wegen der persönlichen Überzeugungskraft oder Machtstellung der
Vertreter zum vorneherein erübrigen konnten und jeweils mindestens zwei
davon einem einzigen Verwaltungsratsmitglied gegenüberstanden.

    b) Dagegen ist auch mit den weiteren Einwänden der Beklagten
nicht aufzukommen. Gewiss können auch gesellschaftsfremde Personen
die Willensbildung einer Gesellschaft entscheidend beinflussen,
z.B. wenn Finanzinstitute ihre Kredite von einer bestimmten Finanz-
und Geschäftspolitik, Berater oder andere Beauftragte der Gesellschaft
ihre Leistungen von ähnlichen Voraussetzungen abhängig machen. Solches
Verhalten Dritter lässt sich indes nicht mit der gesellschaftsinternen
Tätigkeit von Personen vergleichen, denen rechtlich oder faktisch
Organstellung zukommt; es vermag daher auch keine Verantwortlichkeit im
Sinne von Art. 754 Abs. 1 OR zu begründen. Anders verhält es sich, wenn
ein Kreditgeber sich wie hier als Aktionär in die Gesellschaft aufnehmen
lässt und an ihrer Willensbildung wie ein Organ teilnimmt.

    Das Privatgutachten der Beklagten hilft darüber nicht hinweg. Der
Gutachter beruft sich auf die Lehrmeinung, dass der "stille
Verwaltungsrat", der an den Sitzungen teilnimmt, nicht zur Verantwortung
gezogen werden könne, wenn er kein Stimmrecht habe (FORSTMOSER,
aaO, S. 127; VON GREYERZ, Die Verantwortung des Verwaltungsrates in
der AG, S. 67). Während er vorerst diese Meinung zu teilen scheint,
hält er später richtigerweise den tatsächlichen Einfluss der Person für
entscheidend. Diese Auffassung liegt bereits BGE 65 II 6 zugrunde, wo das
Bundesgericht die Verantwortlichkeit eines Bankdirektors unbekümmert um
dessen Stimmrecht bejaht hat. Sie erweist sich auch im vorliegenden Fall
als zutreffend. Eine formelle Abstimmung erübrigte sich schon, wenn der
einzige Verwaltungsrat sich nach den Umständen der Meinung des einen oder
anderen Mitbeteiligten unterziehen, seine Entscheidung folglich nach dem
Willen der "stillen Verwaltungsräte" ausrichten musste, die ihm stets
auch zahlenmässig überlegen waren.

    c) Ebensowenig befreit die Beklagten, dass sie in erster Linie die
Interessen des SBV und nicht diejenigen der Zumbrunn AG gewahrt hätten. Sie
verkennen, dass sie sich deswegen nicht nur in gesellschaftsinterne
Verhältnisse, sondern auch in die Entscheidungsbefugnisse eines Organs
eingemischt haben und ihren eigenen Willen durchsetzen konnten. Richtig
ist dagegen, dass ihre Verantwortung gemäss Art. 754 OR auf Handlungen
zu beschränken ist, an denen sie persönlich teilgenommen haben. Wie es
sich damit verhält, hängt von den Fehlern oder Unterlassungen ab, die
ihnen vorgeworfen werden, aber erst noch näher abzuklären sind.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 23. März 1981 bestätigt.