Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 II 292



107 II 292

44. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. August 1981
i.S. M. gegen M. (Berufung) Regeste

    Scheidungsprozess.

    Ist die Berufung gegen ein Scheidungsurteil zulässig, wenn nur streitig
ist, ob auch dem Berufungsbeklagten ein Scheidungsanspruch zusteht (E. 1)?

    Scheidungsrechtliche Behandlung von Nachzahlungen der IV an die
Ehefrau.

    Die invalide Ehefrau hat sich eine Rentennachzahlung der IV nicht an
die künftigen Unterhaltsbeiträge für die Kinder anrechnen zu lassen. Eine
solche Zahlung hat Sondergutscharakter (E. 4, 5).

Sachverhalt

    A.- Der 1939 geborene Walter M., von Beruf Fernmeldeassistent, und
die vier Jahre jüngere Rita R. heirateten im Jahre 1963 in Basel. Aus
der Ehe gingen die Söhne Jürg, geboren 1966, und Urs, geboren 1968,
hervor. Die Ehefrau leidet an Polyarthritis und bezieht für sich und die
Kinder eine IV-Rente.

    B.- Im November 1977 leitete Walter M. beim Friedensrichteramt
Birsfelden eine Klage auf Scheidung seiner Ehe ein, die er auf Art. 142
ZGB stützte. Seine Ehefrau erhob Widerklage gemäss Art. 137 ZGB, indem
sie sich darauf berief, der Kläger habe seit September 1977 ein Verhältnis
mit einer andern Frau, das die Ursache für das Scheitern der Ehe bilde.

    Mit Urteil vom 23. August 1979 hiess das Bezirksgericht Arlesheim beide
Scheidungsklagen gut, stellte die beiden Söhne unter die elterliche Gewalt
der Beklagten, regelte die güterrechtlichen Verhältnisse und verpflichtete
den Kläger, für die Kinder monatliche indexierte Unterhaltsbeiträge
von Fr. 375.-- bis zum vollendeten 14. Altersjahr und von Fr. 400.--
bis zum vollendeten 20. Altersjahr sowie für die Beklagte solche von
Fr. 500.-- zu bezahlen. Auf Appellation beider Parteien hin änderte
das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 20. Januar
1981 den erstinstanzlichen Entscheid insofern ab, als es den Kläger
verpflichtete, der Beklagten als Unterhaltsbeitrag gemäss Art. 152 ZGB
bis zum 31. Dezember 1984 Fr. 300.--, von da an bis zum 30. Juni 1986
Fr. 600.-- und von da an Fr. 800.-- pro Monat zu bezahlen.

    C.- Gegen das obergerichtliche Urteil erhob der Kläger Berufung an
das Bundesgericht. Er beantragt, die Widerklage ohne Zusprechung einer
Rente an die Beklagte abzuweisen. Ferner verlangt er, die Beklagte sei
zu verpflichten, sich die Nachzahlung der IV im Betrag von Fr. 11'785.--
an die künftigen Unterhaltsbeiträge für die Kinder anrechnen zu lassen;
eventuell habe sie ihm davon den Betrag von Fr. 7'856.-- zu bezahlen.

    Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Da die Beklagte gegen die Gutheissung der Hauptklage keine Berufung
eingelegt hat, ist im Scheidungspunkt nur streitig, ob die Vorinstanz auch
die gestützt auf Art. 137 ZGB erhobene Widerklage zu Recht gutgeheissen
habe (vgl. BGE 98 II 8/9). Wie das Bundesgericht in BGE 106 II 117
ff. entschieden hat, ist eine Berufung, mit der einzig bezweckt wird,
einem Scheidungsurteil einen anderen Scheidungsgrund zugrundezulegen,
nicht zulässig. Man kann sich fragen, ob diese Rechtsprechung nicht
auch auf einen Fall wie den vorliegenden angewendet werden sollte,
wo es nicht nur um den Scheidungsgrund, sondern vielmehr darum geht,
ob auch der Beklagten ein eigener Scheidungsanspruch zusteht. Da die Ehe
der Parteien ohnehin geschieden wird, leuchtet nicht ohne weiteres ein,
welches rechtliche Interesse der Kläger an der Anweisung der Widerklage
hat (vgl. HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl.,
S. 216 N. 17; anderseits BÜHLER/SPÜHLER, N. 46 zu Art. 146 ZGB). Für
die sachgerechte Regelung der Scheidungsfolgen kommt es nicht darauf
an, ob die Scheidung auch in Gutheissung der Widerklage ausgesprochen
wird (vgl. BGE 106 II 119 E. 2a). Freilich kann der Entscheid über die
Widerklage den kantonalen Kostenspruch beeinflussen. Dieser kann aber
für sich allein nicht zum Gegenstand einer Berufung gemacht werden.

    Die Frage der Zulässigkeit der Berufung braucht im vorliegenden Fall
indessen nicht entschieden zu werden, da die Widerklage, wie sich im
folgenden ergibt, zu Recht gutgeheissen worden ist.
   (...)

Erwägung 4

    4.- Der Kläger beantragt, die Beklagte sei zu verurteilen, sich die
Nachzahlung der IV von Fr. 11'785.-- gemäss Schreiben der Ausgleichskasse
des Kantons Basel-Landschaft vom 12. März 1980 an das Obergericht im
vollen Betrag an die künftigen Unterhaltsbeiträge für die beiden Kinder
anrechnen zu lassen. Am 27. März 1980 hatte er im Verfahren gemäss Art.
145 ZGB die Rückzahlung dieser Rentennachzahlung an sich selbst verlangt
im Sinne einer rückwirkenden Anrechnung auf die Unterhaltsbeiträge, die
er vom Mai 1978 bis Dezember 1979 bezahlt hatte. Ferner hatte er eine
Reduktion der Unterhaltsbeiträge ab Januar 1980 beantragt.

    In seiner Verfügung vom 23. April 1980 trug der Obergerichtspräsident
dem Begehren des Klägers insofern Rechnung, als er eine Reduktion der
während des Prozesses geschuldeten Unterhaltsbeiträge ab 1. Januar 1980
anordnete, und zwar mit der Begründung, dass die Nachzahlung der IV-Rente
an die Beklagte eine gewisse Entlastung des Klägers rechtfertige. Damit
ist dem Begehren des Klägers bereits in gewissem Umfang entsprochen
worden. Sodann berücksichtigte das Obergericht die Nachzahlung auch
im Scheidungsurteil bei der Festsetzung der Bedürftigkeitsrente der
Beklagten. Es geht nun nicht an, im Sinne des klägerischen Begehrens
wegen der Nachzahlung auch noch die Kinderalimente für die Zukunft
zu reduzieren, zumal diese Zahlung, soweit sie sich überhaupt auf die
Kinderrenten bezieht, an den zukünftigen Bedürfnissen der Kinder nichts
ändert, sondern nur Ersatz bieten soll dafür, dass die Renten in der
Vergangenheit zu gering waren. Im übrigen kann man sich fragen, ob auf
das klägerische Begehren in der Form, in der es gestellt wurde, überhaupt
eingetreten werden kann. Der Kläger unterlässt es nämlich, zu präzisieren,
in welcher Weise die Anrechnung zu geschehen hätte und welcher Betrag pro
Monat an die - an sich nicht mehr in Frage gestellten - Kinderalimente
angerechnet werden müsste. Wie dem auch sei, kann jedenfalls auch in
diesem Punkt von einer Bundesrechtsverletzung nicht gesprochen werden.

Erwägung 5

    5.- Für den Fall, dass die Nachzahlung der IV von Fr.  11'785.-- nicht
an die Kinderunterhaltsbeiträge angerechnet, werden sollte, beantragt der
Kläger, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm zwei Drittel dieses Betrags,
nämlich Fr. 7'856.--, zu bezahlen. Er betrachtet die Nachzahlung als
Mannesgut, weil er im Zeitraum vom 1. März 1978 bis zum 31. Dezember 1979
seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten bzw. seinen
Kindern entsprechend den Verfügungen des Bezirksgerichtspräsidenten
voll und ganz nachgekommen sei. Doch ist er bereit, den Betrag als
Errungenschaft entsprechend den Regeln der Güterverbindung zu teilen.

    Diesem Antrag kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil die
Nachzahlung bereits bei der Regelung der vorsorglichen Massnahmen
gemäss Art. 145 ZGB sowie bei der Bemessung der Unterhaltsbeiträge
im Scheidungsurteil berücksichtigt worden ist. Würde der Betrag der
Beklagten entzogen, so müsste die ihr zustehende Rente entsprechend erhöht
werden. Aber auch in güterrechtlicher Hinsicht ist der Standpunkt des
Klägers nicht begründet.

    Die Renten der Invalidenversicherung knüpfen unmittelbar an die
Erwerbstätigkeit oder besser: an das Erwerbseinkommen an (Art. 8 Abs. 1, 12
Abs. 1, 15 f., 21 ff., 28 f. IVG), wie denn auch die Beiträge, die an diese
Sozialversicherung bezahlt werden müssen, sich grundsätzlich nach Prozenten
des Einkommens aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit
bemessen (Art. 3 IVG in Verbindung mit Art. 3 f. AHVG). Eine Sonderregelung
besteht freilich für Hausfrauen, die im Zeitpunkt ihrer Invalidität nicht
erwerbstätig sind. Nach Art. 28 Abs. 3 IVG und Art. 27 IVV bemisst sich der
für den Anspruch auf eine halbe oder ganze ordentliche IV-Rente massgebende
Invaliditätsgrad nach dem Ausmass ihrer Behinderung, sich im bisherigen
Aufgabenbereich betätigen zu können. Als Aufgabenbereich der Hausfrauen
gilt dabei die übliche Tätigkeit im Haushalt und allenfalls im Betrieb
des Ehemannes sowie die Erziehung der Kinder (Art. 27 Abs. 2 IVV). Auch
hier steht aber als massgebendes Kriterium die "Betätigung", also die
Möglichkeit, Arbeiten zu leisten und gegebenenfalls damit für den eigenen
Unterhalt aufzukommen, im Vordergrund. Die Rente bezweckt somit auch in
diesem Fall, den Ausfall einer möglichen Erwerbsfähigkeit abzugelten. Dass
das wegen der besonderen Situation vorerst über einen finanziellen
Ausgleich für die Unmöglichkeit, sich im bisherigen Aufgabenbereich
betätigen zu können, geschieht, ändert an der Natur der IV-Rente nichts.

    Diesem finanziellen Ausgleich dient auch die Kinderrente, auf die der
Bezüger einer IV-Rente einen gesetzlichen Anspruch hat (Art. 35 IVG, für
die invalide Mutter speziell Art. 31 IVV). Die Bezugnahme des Gesetzes
bei der Regelung dieser Kinderrente auf die Anspruchsberechtigung für
Waisenrenten im Falle des Todes des invaliden Elternteils weist ausserdem
darauf hin, dass ihr Zweck in erster Linie im Ersatz für einen wegen
der Invalidität nicht mehr realisierbaren Unterhaltsanspruch in Geld
oder in natura gegenüber dem invaliden (und deshalb nicht bzw. nicht
voll erwerbsfähigen) Elternteil liegt (vgl. A. BERGER, Auswirkungen der
Ehescheidung auf die Rentenansprüche in der AHV und IV, Mitteilungen des
Schweiz. Anwaltsverbandes, Heft 57, Sept. 1977, S. 15). Die Zuerkennung
von Kinderrenten (bzw. Waisenrenten) an Kinder invalider Mütter, die
nicht erwerbstätig sind, weist deshalb auch noch auf etwas Weiteres hin:
Sie sollen Geldersatz für die beeinträchtigten Naturalleistungen der
Mutter sein und auch zur Finanzierung der wegen der Invalidität der
Hausfrau notwendigen Arbeitshilfen und -erleichterungen beitragen,
was mit der Rente der invaliden Hausfrau allein nicht immer möglich
ist. Die IV-Renten (und die damit verbundenen Kinderrenten) haben somit
weitgehend Lohnersatzcharakter und müssen deshalb güterrechtlich einem
Ersatzeinkommen aus selbständiger Erwerbsarbeit im Sinne des Art. 191
Ziff. 3 ZGB gleichgestellt werden.

    Für den Sondergutcharakter der IV-Renten spricht im weiteren,
dass sich die Höhe der Renten nach den Beiträgen bemisst, die vom
Versicherten selbst bezahlt worden sind (Art. 36 IVG; Art. 29, 30 und
31 AHVG; A. BERGER, aaO, S. 17). Es sind somit keine vom Einkommen des
Ehemannes abgeleiteten Rentenleistungen. Das gilt auch für Ehefrauen
unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Für die Berechnung
der ihnen zustehenden IV-Rente wird auf allfällige vor der Verheiratung
bezahlte Beiträge abgestellt oder - wie im vorliegenden Fall - auf solche
aus einer allfälligen Erwerbstätigkeit während der Ehe.

    Für den Sondergutcharakter könnte schliesslich auch angeführt werden,
dass die Renten höchstpersönliche Leistungen sind, die weder abgetreten
noch verpfändet noch in eine Zwangsvollstreckung einbezogen werden dürfen
(Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 AHVG).

    Die enge Verbindung der IV-Renten mit der Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit, ihr höchstpersönlicher Charakter, aber vor allem die
Tatsache, dass die Bemessung der dem einzelnen Versicherten zukommenden
IV-Rente aufgrund seiner eigenen Beitragsleistungen erfolgt, zwingen somit
zum Schluss, dass solche Geldleistungen im Sinne des Art. 191 Ziffer
3 ZGB als Sondergut der Ehefrau zu betrachten sind (vgl. LEMP, N. 26
zu Art. 214 ZGB). Nachzahlungen für derartige (von der Beklagten mit
ihren Beiträgen in den ersten Ehejahren selbst finanzierte) Leistungen
sind dann selbstverständlich ebenfalls Sondergut. Solche Leistungen
wären somit - bei bestehender Ehe - im Sinne des Art. 192 Abs. 2 ZGB nur
soweit erforderlich für die Bedürfnisse des Haushaltes zu verwenden. Im
Falle einer Scheidung aber geht eine solche Nachzahlung an die invalide
Ehefrau. Diese hat sich einerseits die laufende IV-Rente als Einkommen
anrechnen zu lassen, anderseits ist der Tatsache, dass ihr durch eine
Nachzahlung ein bescheidenes Kapital zugekommen ist, bei der Festsetzung
einer Bedürftigkeitsrente angemessen Rechnung zu tragen. Das ist aber
im vorliegenden Fall gerade geschehen. Der Vorinstanz kann deshalb auch
unter diesem Gesichtspunkt nicht vorgeworfen werden, sie habe Bundesrecht
verletzt, weil sie die invalide Beklagte nicht zur Rückzahlung von zwei
Dritteln der Rentennachzahlung, geschweige denn gar des ganzen Betrags,
an den Kläger verpflichtet hat.