Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 II 222



107 II 222

31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Juni 1981 i.S.
Saphirwerk AG gegen MRO Marketing and Retailing Organization SA (Berufung)
Regeste

    Alleinvertretungsvertrag; Schadensermittlung.

    1. Austauschverhältnis beim Alleinvertretungsvertrag, Sinn von Art. 82
OR (E. I/2).

    2. Kausalzusammenhang, Novenverbot (E. I/3).

    3. Tat- und Rechtsfragen bei der Schadensberechnung (E. II/2).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    I.1.- Der zwischen den Parteien geschlossene Alleinvertretungsvertrag
galt vom 15. Dezember 1969 bis zum 15. Dezember 1977 und band nach
dem angefochtenen Urteil die Beklagte unbekümmert darum, ob er bei
ihr in Vergessenheit geraten war. Die Beklagte widerspricht dem zu
Recht nicht mehr, auch wenn sie in anderem Zusammenhang meint, der
Vertrag sei von beiden Seiten nicht sonderlich beachtet und mehr oder
weniger beiseitegeschoben worden. Sie sieht darin nicht eine gänzliche
oder teilweise Aufhebung durch formlose Übereinkunft (Art. 115 OR),
sondern will damit lediglich die Verstösse der Parteien gegen ihre
Vertragspflichten erklären.

Erwägung 2

    I.2.- Dagegen behauptet die Beklagte insofern eine Verletzung von
Bundesrecht, als das Handelsgericht das vertragswidrige Verhalten der
Klägerin nur bei der Schadensberechnung statt durch Abweisung jeder
Ersatzforderung berücksichtige. Gemäss Art. 82 OR dürfe nicht Erfüllung
oder Schadenersatz beanspruchen, wer selbst den Vertrag verletzt habe.

    a) Von der Vorinstanz überhaupt nicht berücksichtigt wird die
Behauptung der Beklagten, es liege Schlechterfüllung des Vertrags durch die
Klägerin vor, weil diese sich nicht für den Absatz der Produkte eingesetzt
und das Feld der Konkurrenz überlassen habe. Das Handelsgericht hält dem
entgegen, dass keine Mindestabnahme garantiert war, dass die Beklagte
sich zuvor über den Betrieb der Klägerin hätte orientieren müssen und
dass ihr zudem die jährliche Kündigung offen gewesen wäre. Es gehört
indes zur Natur des Alleinvertretungsvertrags, dass die Klägerin mit
dem Exklusivrecht zum Verkauf der Ware der Beklagten in der Schweiz
auch eine Verpflichtung zur Förderung des Absatzes übernahm (BGE 78 II
34; GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Auflage, S. 292; CAVIN, in Schweizerisches
Privatrecht VII/1, S. 174; SCHLUEP, in Schweizerisches Privatrecht VII/2,
S. 841 und 846). Dass keine Mindestabnahmemengen vereinbart waren, ändert
hieran nichts, sondern schliesst einzig eine Haftung der Klägerin für
den Erfolg ihrer Bemühungen aus.

    b) Wie es sich mit diesen Vertragsverletzungen wirklich verhält,
braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht entschieden zu werden. Zwar
besteht beim Alleinvertretungsvertrag durchaus ein Austauschverhältnis im
Sinne von Art. 82 OR zwischen gegenseitigen Exklusivitätspflichten oder
zwischen der Exklusivitätspflicht des einen und der Absatzförderungspflicht
des andern (BGE 78 II 34; SCHLUEP, aaO, S. 847; VON THUR/ESCHER,
Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, S. 64
Anm. 46). Art. 82 OR gewährt jedoch grundsätzlich nur eine aufschiebende
Einrede mit der Wirkung, dass eine geforderte Leistung zurückgehalten
werden kann bis zur Erbringung oder Anbietung der Gegenleistung. Da
der vorliegende Vertrag längst beendigt ist, kann die Beklagte ihre
Ersatzleistungen nicht davon abhängig machen, dass die Klägerin gewisse
Vorleistungen nachholt. Die Beklagte versucht das auch gar nicht; sie
will sich mit Hilfe der Einrede nicht nur provisorisch, sondern definitiv
der abschliessenden Auseinandersetzung entziehen, was nicht der Sinn von
Art. 82 OR sein kann (VON TUHR/ESCHER, aaO, S. 61; BECKER, N. 5 zu Art.
82 OR).

    Ob die Beklagte schadenersatzpflichtig ist, beurteilt sich
vielmehr nach Art. 97 ff. OR. Es stand ihr frei, ihrerseits die
angeblichen Vertragsverletzungen der Klägerin zum Gegenstand von
Schadenersatzforderungen zu machen und diese zur Verrechnung zu
stellen. Offen bleiben kann, ob allenfalls Vertragsverletzungen seitens
der Beklagten deshalb zu verneinen wären, weil im damaligen Zeitpunkt
die Klägerin bereits ihrerseits im Sinne von Art. 82 OR säumig gewesen
wäre. Weder wird das mit der Berufung geltend gemacht noch ist auch nur
der geringste Versuch unternommen worden, einen zeitlichen Zusammenhang
herzustellen zwischen den Verstössen der Beklagten und solchen der
Klägerin.

Erwägung 3

    I.3.- Die Beklagte wirft dem Handelsgericht vor, dass es der
Berechnung des entgangenen Gewinns ihre sämtlichen Drittverkäufe in der
Schweiz zugrundelegt, ohne zu prüfen, ob diese Kunden überhaupt von der
Klägerin hätten beliefert werden können. Die Vorinstanz habe Art. 8 ZGB
verletzt, weil sie dafür der Klägerin nicht den Beweis auferlegt habe. Aus
offensichtlichem Versehen habe sie zudem drei Zeugenaussagen, welche
diese Frage verneinten, und einen Vorbehalt des Experten übergangen. Zwar
sei der natürliche Kausalzusammenhang Tatfrage, doch fehle es hier am
rechtlich zu prüfenden adäquaten Kausalzusammenhang.

    Die Vorinstanz stellt sinngemäss fest, dass der Klägerin diese Aufträge
wegen des vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten entgingen. Das
ist Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs und bindet das
Bundesgericht (BGE 101 II 73 mit Hinweisen). Allerdings setzt sich das
Handelsgericht nicht mit dem genannten Einwand der Beklagten auseinander,
womit gegebenenfalls der Beweisanspruch von Art. 8 ZGB verletzt oder
der streitige Sachverhalt lückenhaft festgestellt sein könnte (Art. 63
Abs. 2 und 64 OG). Für das eine wie das andere müsste jedoch dargetan
werden, dass die Beklagte ihren Einwand bereits im kantonalen Verfahren
rechtzeitig und gehörig erhoben hat, und in dieser Hinsicht lässt die
Berufung jeden Anhaltspunkt vermissen. Es ist daher anzunehmen, dass es
sich um eine neue, erstmals vor Bundesgericht aufgestellte Behauptung
handelt, die gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG unzulässig ist.

Erwägung 2

    II.2.- Mit der Klage wird Schadenersatz aus entgangenem Gewinn
gefordert. Welchen Schaden die Klägerin erlitten hat, ist grundsätzlich
als Tatfrage mit dem angefochtenen Urteil abschliessend festgestellt und
bindet das Bundesgericht im Berufungsverfahren, unter Vorbehalt einer
Missachtung bundesrechtlicher Beweisvorschriften und offensichtlicher
Versehen (Art. 63 Abs. 2 OG). Rechtsfrage und vom Bundesgericht zu prüfen
ist dagegen, ob der kantonale Richter den Rechtsbegriff des Schaden
verkannt, auf unzulässige Berechnungsgrundsätze abgestellt oder das ihm
zustehende Ermessen überschritten hat (BGE 104 II 199 mit Hinweisen).

    Ermessensüberschreitung wird vorliegend nicht geltend gemacht und
käme auch gar nicht in Betracht, weil kein Ermessensentscheid im Sinne
von Art. 42 Abs. 2 OR vorliegt. Es handelt sich auch nicht um eine
hypothetische Beurteilung künftiger Entwicklung, sondern um die konkrete
Berechnung aufgrund ermittelter Umsätze und errechneter Gewinnmarge. Das
angefochtene Urteil beruht zu Recht auf dem Schadensnachweis, nicht auf
einer Schadensschätzung.

    Hingegen rügt die Klägerin u.a. eine falsche Anwendung der Grundsätze
kaufmännischer Berechnungen und erblickt darin eine Verletzung von
Bundesrecht, wobei sie sich ausdrücklich auf die in BGE 104 II 199
genannten "unzulässigen Berechnungsgrundsätze" beruft. Die betreffende
Formel kann in der Tat missverstanden werden. Indes wird beim Schaden
gleich wie in anderen Bereichen der Sachverhalt selbst vom kantonalen
Richter verbindlich festgestellt, während seine rechtliche Würdigung
dem Bundesgericht obliegt (Art. 63 Abs. 2 und 3 OG; DESCHENAUX, La
distinction du fait et du droit dans les procédures de recours au Tribunal
Fédéral, S. 15). Das gilt für den Begriff des Schadens wie für die damit
zusammenhängenden Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung. Doch besagt dies
keineswegs, dass beispielsweise die Ermittlung eines entgangenen Gewinns
durch einen Experten auch dahin zu prüfen wäre, ob dieser die richtigen
Berechnungsmethoden seines Fachgebietes angewandt habe. Eine solche Prüfung
steht zwar dem Sachrichter zu, doch kann das Ergebnis genau wie jede andere
Beweiswürdigung vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft
werden, sondern höchstens in einem staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren
wegen Verletzung von Art. 4 BV (BGE 102 II 84 mit Hinweisen).