Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 II 10



107 II 10

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. März 1981 i.S. W.
gegen W. (Staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Genehmigung der Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Scheidung
durch den Richter (Art. 158 Ziff. 5 ZGB).

    Der Richter hat bei der Festsetzung oder Abänderung des
Unterhaltsbeitrages für die Kinder geschiedener Eltern mitzuwirken. Im
vorliegenden Fall handelt es sich um einen Erlass der während der Obhut
des beitragspflichtigen Elternteils fällig werdenden Beiträge, der ohne
richterliche Genehmigung vereinbart werden kann.

Sachverhalt

    A.- In einer von den Parteien geschlossenen Konvention, welche mit
Scheidungsurteil vom 16. September 1977 genehmigt wurde, verpflichtete sich
W. zur Leistung eines monatlich im voraus zahlbaren Unterhaltsbeitrages
von je Fr. 450.- (zuzüglich Kinderzulagen) an die beiden der Mutter
zugesprochenen Kinder.

    B.- Die geschiedene Ehefrau W. betrieb den vormaligen Ehemann
am 30. April 1980 und stellte, nachdem der Betriebene Rechtsvorschlag
erhoben hatte, das Rechtsöffnungsbegehren für Fr. 5'521.35 sowie 5% Zins
ab 25. April 1980. Der geforderte Betrag entspricht dem Unterhaltsbeitrag
für die beiden Kinder für fünf Monate und vierzehn Tage ab Rechtskraft
des Scheidungsurteils.

    Gegen den das Rechtsöffnungsbegehren abweisenden Entscheid erhob
Frau W. Rekurs beim Obergericht des Kantons Solothurn, welches diesen
am 16. September 1980 abwies.

    C.- Die kantonalen Instanzen gehen in ihren Entscheiden von einer
Vereinbarung aus, welche die Parteien am 23. Februar 1978 geschlossen
hatten. In Ziffer 1 dieser Vereinbarung verpflichtete sich Frau W., ihre
beiden Kinder - die bisher entgegen der Anordnung im Scheidungsurteil
nicht in ihrem Haushalt Aufnahme gefunden hatten - ab. 1 März 1978 zu
Pflege, Erziehung und Unterhalt zu sich zu nehmen, sie verzichtete sodann
in Ziffer 5 auf die Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen für sich
und die Kinder für die Zeit vom 16. September 1977 bis und mit Februar
1978. Nach Auffassung der kantonalen Gerichte bedeutet diese Vereinbarung
eine Tilgung durch Teilverzicht und ist damit als eine nach Art. 81 Abs. 1
SchKG zulässige Einrede zu betrachten. Da es im vorliegenden Fall um einen
Teilverzicht auf bereits verfallene Beiträge und nicht um einen generellen
Verzicht auf künftige Unterhaltsleistungen gehe, bestehe kein Anlass,
der - richterlich nicht genehmigten - Vereinbarung vom 23. Februar 1978
die Anerkennung zu versagen.

    D.- Frau W. führt gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Parteien bestreiten nicht, dass das Scheidungsurteil
des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 16. September 1977, in welchem der
Unterhaltsbeitrag für die Kinder Beatrice und Peter Michael auf je
Fr. 450.- monatlich festgelegt wurde, einen definitiven Rechtsöffnungstitel
im Sinne von Art. 80 SchKG darstellt. Sie sind sich auch darüber einig,
dass die Bezahlung des Unterhaltsbeitrages vom 16. September 1977 bis
28. Februar 1978 durch den geschiedenen Ehemann aussteht. Zu entscheiden
bleibt allein die Rechtsfrage, ob die Vereinbarung der Parteien vom
23. Februar 1978, worin die Beschwerdeführerin auf die Geltendmachung von
Beiträgen für den erwähnten Zeitraum verzichtet hat, dem Beschwerdegegner
die Einrede der Tilgung nach Massgabe von Art. 81 Abs. 1 SchKG erlaube. Des
näheren geht es um die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch blosse
Parteiabrede und ohne Genehmigung des Richters von der Geltendmachung
der ihren Kindern zustehenden Unterhaltsansprüche absehen konnte.

    Die Möglichkeit, ausser durch Änderungsurteil auch ohne Genehmigung
des Richters durch Parteiabrede die Nebenfolgen der Scheidung zu ändern,
wird als unbestritten bezeichnet, sofern es lediglich um eine Abänderung
vermögensrechtlicher Beziehungen zwischen geschiedenen Ehegatten geht
(BÜHLER-SPÜHLER, N. 167 zu Art. 158 ZGB). Als kontrovers jedoch wird die
Frage der Genehmigungsbedürftigkeit einer nachträglichen Vereinbarung der
geschiedenen Ehegatten über die Kinderbelange gesehen (BÜHLER-SPÜHLER,
N. 170 zu Art. 158 ZGB). Im Lichte des neuen Kindsrechts erscheint sogar
einzig die Auffassung richtig, dass die Änderung von Besuchsrecht und
Unterhaltsbeitrag an die Kinder auch bei Vorliegen einer Vereinbarung der
Eltern der richterlichen Genehmigung unterliege (BÜHLER-SPÜHLER, N. 200 zu
Art. 158 ZGB, HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, S. 86 und 90) und dass
diese Genehmigung Gültigkeitserfordernis sei (BÜHLER-SPÜHLER, N. 171 zu
Art. 158 ZGB; STORRER, Unterhaltsbeiträge in der Zwangsvollstreckung,
Zürcher Diss. 1979, S. 16). Mit der Genehmigung der Vereinbarung durch
den Richter soll sichergestellt werden, dass diese den Interessen des
Kindes entspricht (BGE 94 II 1). Weil es um die Interessen Dritter
geht, ist die Regelung der Kinderbelange - im Gegensatz zu den nur die
scheidenden Ehegatten treffenden Nebenfolgen - schon im Zeitpunkt des
Scheidungsurteils der freien Verfügungsbefugnis der Parteien entzogen
(STAEHELIN, Rechtsnatur und Anfechtung der Scheidungskonvention, in:
Familienrecht im Wandel, Festschrift für Hans Hinderling, S. 286);
die Verfügungsbefugnis kann nicht wieder aufleben, nachdem das
Scheidungsurteil ausgesprochen ist. Schliesslich widerspräche es der
Absicht des Gesetzgebers, der in Art. 286 Abs. 2 ZGB das Rechtsmittel für
die Neufestsetzung des Unterhaltsbeitrages bei veränderten Verhältnissen
zur Verfügung stellt, wenn eine vom Scheidungsurteil abweichende Regelung
durch blosse Übereinkunft zwischen den Parteien herbeigeführt werden
könnte. Daran, dass der Richter bei der Festsetzung oder Abänderung des
Unterhaltsbeitrages für die Kinder geschiedener Eltern mitzuwirken hat, ist
deshalb festzuhalten (Art. 158 Ziff. 5 bzw. Art. 157 und 286 Abs. 2 ZGB).

    Im vorliegenden Fall, wo von einem Verzicht auf Unterhaltsleistungen
gesprochen wird, geht es indessen gar nicht um eine Abänderung des im
Scheidungsurteil den Kindern zugesprochenen Unterhaltsbeitrages. Vielmehr
handelt es sich, nachdem die Beschwerdeführerin als Inhaberin der
elterlichen Gewalt der Unterbringung der Kinder beim andern Elternteil
zugestimmt hat und dieser für deren Unterhalt in natura aufgekommen
ist, um einen Erlass der während der Obhut des beitragspflichtigen
Elternteils fällig werdenden Beiträge (HEGNAUER, Zur Erfüllung der
Unterhaltsbeitragspflicht geschiedener Eltern, ZVW 35/1980, S. 101). Die
Zulässigkeit einer Vereinbarung, wie sie die Parteien unter dem Datum
des 23. Februar 1978 getroffen haben, wird denn auch durch das Gesetz
bestätigt, welches sagt, dass der Unterhalt durch Pflege und Erziehung
oder, wenn das Kind nicht unter der Obhut der Eltern steht, durch
Geldzahlung geleistet werde (Art. 276 Abs. 2 ZGB). Das Kindeswohl
wurde durch diese Übereinkunft nicht gefährdet. Noch kann gesagt
werden, dass dadurch der weitere Zweck der richterlichen Genehmigung
von Scheidungskonventionen, nämlich der Schutz namentlich der Ehefrau
vor Übervorteilung (BÜHLER-SPÜHLER, N. 158 und 167 zu Art. 158 ZGB,
N. 231 zu Art. 156 ZGB), vereitelt worden wäre. Die Beschwerdeführerin
war sich zweifellos im klaren, was die als Verzicht auf Geltendmachung
von Unterhaltsbeiträgen für die Zeit vom 16. September 1977 bis und
mit Februar 1978 formulierte Vertragsbestimmung praktisch bedeutete. Es
kann deshalb in dem Entscheid des Obergerichts, welches die betriebene
Forderung als getilgt im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG erkannte, keine
Willkür erblickt werden.