Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 III 122



107 III 122

29. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31. Juli
1981 i.S. Burgäzzi (Rekurs) Regeste

    Betreibung auf Grundpfandverwertung, Einstellung der Verwertung bis zur
Erledigung eines Lastenbereinigungsprozesses, der sich auf die Festsetzung
des Zuschlagspreises auswirkt (Art. 41 Abs. 1 und 53 Abs. 1 VZG)

    1. Hat ein Pfandgläubiger die Betreibung nur für einen Teil seiner
Kapitalforderung angehoben, so darf nur zugeschlagen werden, wenn der
nicht in Betreibung gesetzte Teil der Forderung überboten ist (E. 1).

    2. Hängt der Mindestzuschlagspreis vom Ergebnis eines
Lastenbereinigungsprozesses ab, so ist die Verwertung bis zur Erledigung
des Prozesses einzustellen (E. 1).

    3. Verhältnis von Art. 41 Abs. 1 VZG zu Art. 53 Abs. 1 VZG (E. 2).

    4. Im Pfändungs- und Pfandverwertungsverfahren ist eine vorzeitige
Verwertung von Grundstücken wegen drohender Wertverminderung nicht zulässig
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Hypothekar- und Handelsbank Winterthur ist Inhaberin
eines Schuldbriefes über Fr. 3'300'000.--, lastend im I. Rang auf den
Grundstücken Kat. Nrn. 2454-2461 und 2464 (8 noch nicht fertig ausgebaute
Reiheneinfamilienhäuser und eine Parkgarage) in Uitikon. Sie betreibt
den Schuldner und Pfandeigentümer Jakob Fries für den Teilbetrag von Fr.
1'116'072.-- auf Grundpfandverwertung (Grundpfandbetreibung Nr. 12 des
Betreibungsamtes Uitikon). Ruza T. Burgäzzi ist Grundpfandgläubigerin
im III. Rang mit einer Forderung von Fr. 500'000.-- nebst Zins. Sie hat
das in der erwähnten Betreibung erstellte Lastenverzeichnis mit einer Klage
angefochten, mit welcher sie die Wegweisung der Forderung der Hypothekar-
und Handelsbank im I. Rang beantragt. Der Prozess ist noch anhängig.

    B.- Mit Eingaben vom 10. und 19. September 1980 ersuchte die
Hypothekar- und Handelsbank das Betreibungsamt Uitikon um sofortige
Verwertung der Grundstücke. Sie wies darauf hin, dass mit einer
längeren Dauer des Lastenbereinigungsprozesses zu rechnen sei und dass
anderseits die noch nicht fertig erstellten Bauten einem konstanten,
witterungsbedingten Zerfall mit entsprechender Entwertung ausgesetzt
seien. Mit Verfügung vom 26. September 1980 wies das Betreibungsamt
das Gesuch ab. Gegen diese Verfügung beschwerte sich die Hypothekar-
und Handelsbank beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler
Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs mit dem Antrag,
die verlangte Verwertung sei ohne Verzug vorzunehmen. Mit Beschluss
vom 14. Januar 1981 hiess das Bezirksgericht die Beschwerde gut und
ordnete die sofortige Verwertung der Grundstücke an. Ein von Ruza T.
Burgäzzi gegen diesen Beschluss erhobener Rekurs wurde vom Obergericht des
Kantons Zürich als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 16.
Juni 1981 abgewiesen.

    C.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt Ruza T. Burgäzzi, den
Entscheid des Obergerichts aufzuheben und das von der Hypothekar- und
Handelsbank gestellte Begehren um sofortige Verwertung der Grundpfänder
abzuweisen. Ihrem Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde mit
Verfügung vom 20. Juli 1981 in dem Sinne entsprochen, dass die Verwertung
bis zum Entscheid über den Rekurs aufgeschoben wurde.

    Die Hypothekar- und Handelsbank beantragt die Abweisung des Rekurses,
während sich das Betreibungsamt nicht vernehmen liess.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 41 Abs. 1 VZG, der nach Art. 102 VZG auch in der
Betreibung auf Grundpfandverwertung gilt, ist die Versteigerung
bis zur Erledigung eines Lastenbereinigungsprozesses einzustellen,
sofern der Streit die Festsetzung des Zuschlagspreises beeinflusst oder
durch eine vorherige Steigerung sonst berechtigte Interessen verletzt
würden. Massgebend für die Festsetzung des Mindestzuschlagspreises
ist das Deckungsprinzip (Art. 156 in Verbindung mit Art. 126 und 141
SchKG). Danach muss das Angebot, damit zugeschlagen werden kann, den Betrag
der dem betreibenden Gläubiger im Range vorgehenden pfandversicherten
Forderungen übersteigen. Für die in Betreibung gesetzte Forderung gilt das
Deckungsprinzip demnach grundsätzlich nicht. Hat jedoch ein Pfandgläubiger
nur für Zinsen oder nur für einen Teil der Kapitalforderung auf Pfändung
betrieben, so darf nach Art. 54 Abs. 2 VZG nur zugeschlagen werden, wenn
der nicht in Betreibung gesetzte Teil der Forderung überboten ist. Diese
Bestimmung ist nach der Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn der
Gläubiger auf Pfandverwertung betrieben hat (BGE 58 III 16 ff. E. 2).

    Im vorliegenden Fall hat die Grundpfandgläubigerin im I. Rang von
ihrer gesamten im Lastenverzeichnis anerkannten Forderung im Betrag von Fr.
3'768'990.-- (Kapital Fr. 3'300'000.--, rückständige Zinsen Fr. 468'830.--,
Betreibungskosten Fr. 160.--) nur den Teilbetrag von Fr. 1'116'072.--
in Betreibung gesetzt. Der Mindestzuschlagspreis beträgt somit
Fr. 2'652'918.-- zuzüglich die den vertraglichen Grundpfandrechten im Range
vorgehenden gesetzlichen Grundpfandrechte, die sich für alle Liegenschaften
zusammen offenbar auf rund Fr. 58'000.-- belaufen. Wird nun aber die
Klage der Rekurrentin gegen die Hypotheken- und Handelsbank gutgeheissen,
so fällt deren Forderung ausser Betracht und der Mindestzuschlagspreis
erreicht lediglich noch den Wert der gesetzlichen Grundpfandrechte,
d.h. rund Fr. 58'000.--. Der Zuschlagspreis hängt somit vom Ergebnis
des Lastenbereinigungsprozesses ab, so dass die erste Voraussetzung des
Art. 41 Abs. 1 VZG für den Aufschub der Verwertung erfüllt ist.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 53 Abs. 1 VZG, auf den sich die Vorinstanz stützt, sind
bei der Festsetzung des Zuschlagspreises freilich auch die "eventuell noch
beim Richter anhängigen" Pfandforderungen zu berücksichtigen. Würde man
darauf abstellen, so käme es bei der Festsetzung des Zuschlagspreises
in der Tat nicht auf den hängigen Lastenbereinigungsprozess an,
und es bestünde kein Grund, mit der Verwertung zuzuwarten. Die
Bestimmung ist indessen im Hinblick auf jene von Art. 41 Abs. 1 VZG kaum
verständlich; ja, sie steht zu ihr im Widerspruch. Wenn Art. 41 Abs. 1
VZG vorschreibt, im Falle eines Prozesses über eine Forderung, die den
Mindestzuschlagspreis beeinflusst, den Austrag des Prozesses abzuwarten,
so setzt dies voraus, dass bei der Festsetzung des Zuschlagspreises auf
das Ergebnis eines allfälligen Lastenbereinigungsprozesses, der eine dem
betreibenden Gläubiger vorgehende Pfandforderung betrifft, abzustellen
ist. Demgegenüber geht Art. 53 Abs. 1 VZG davon aus, dass eine im Streit
liegende vorgehende Pfandforderung bei der Festsetzung des Zuschlagspreises
stets zu berücksichtigen ist, unabhängig vom Ergebnis des Prozesses. Wäre
der Zuschlagspreis so zu berechnen, könnte der in Art. 41 Abs. 1 VZG
geregelte Tatbestand gar nie eintreten.

    Der Widerspruch lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der VZG
erklären. Der Vorentwurf LEEMANN enthielt folgenden Art. 38 Abs. 1:

    "Wenn über einen in das Lastenverzeichnis aufgenommenen Anspruch

    Streit entsteht oder zur Zeit der Aufstellung des Lastenverzeichnisses
   bereits Prozess besteht, so ist die Versteigerung bis zum Austrag
   der Sache zu sistieren. Der Richter kann jedoch ausnahmsweise von der
   Einstellung der

    Verwertung (Art. 107 Abs. 2 SchKG) absehen und die Versteigerung der

    Liegenschaft bewilligen, wenn nur eine bar zu bezahlende Pfandforderung
   streitig ist."

    Art. 49 Abs. 1 dieses Entwurfes lautete im wesentlichen bereits gleich
wie der geltende Art. 53 Abs. 1 VZG. Bei dieser Situation hatte die in der
zweitgenannten Bestimmung enthaltene Formulierung (eventuell noch beim
Richter anhängige Forderungen) einen Sinn; sie konnte Fälle betreffen,
in welchen der Richter nach Art. 38 Abs. 1 eine Verwertung trotz eines
anhängigen Prozesses über eine Forderung bewilligt hatte.

    Im Laufe der Beratungen wurde Art. 38 Abs. 1 vorerst dahin
modifiziert, dass nicht der Richter, sondern das Betreibungsamt bzw. die
Aufsichtsbehörde von der Einstellung der Verwertung absehen konnte. Der
entsprechende Art. 40 Abs. 1 des Entwurfes der Expertenkommission lautete
sodann folgendermassen:

    "Wenn über einen..., so ist die Versteigerung bis zum Austrag der

    Sache zu sistieren. Sie kann jedoch ausnahmsweise vorgenommen werden,
wenn
   nur eine bar zu bezahlende Forderung streitig ist oder wenn im übrigen
   berechtigte Interessen nicht verletzt werden."

    Eine Versteigerung konnte somit auch angeordnet werden, wenn zwar keine
nicht bar zu bezahlende Pfandforderung streitig war, jedoch "im übrigen
berechtigte Interessen nicht verletzt" wurden. Auch in einem solchen Fall
war die Fassung des heutigen Art. 53 Abs. 1 VZG sinnvoll: Die streitige
Pfandforderung musste in den Mindestzuschlagspreis eingerechnet werden,
d.h. es durfte nur zugeschlagen werden, wenn das Angebot auch für diese
Pfandforderung Deckung ergab.

    Der Entwurf der Expertenkommission wurde in der Folge von einer
Redaktionskommission überarbeitet und hierauf dem Gesamtbundesgericht
vorgelegt. Dieses setzte zur Prüfung des Entwurfes seinerseits
eine Kommission ein, welche vorschlug, den heutigen Art. 41 Abs. 1
VZG allgemeiner zu fassen. Insbesondere sollte der Fall der bar zu
bezahlenden Forderungen nicht ausdrücklich angeführt werden, sondern
es sollte darauf abgestellt werden, ob der Ausgang des Streites die
Festsetzung des Zuschlagspreises beeinflusse. Diesem Vorschlag wurde bei
der endgültigen Redaktion Rechnung getragen, wobei die Voraussetzungen
für eine vorzeitige Verwertung aus nicht ersichtlichen Gründen nicht mehr
positiv, sondern negativ umschrieben wurden.

    Damit hatte sich aber materiell etwas geändert. Die geltende Fassung
von Art. 41 Abs. 1 VZG lässt nämlich eine Versteigerung vor Austrag der
Sache nur zu, wenn der Streit die Festsetzung des Mindestzuschlagspreises
nicht beeinflusst, und auch dann nur, wenn sonst keine berechtigten
Interessen verletzt werden. Demgegenüber hatte die Formulierung in den
Entwürfen eine vorzeitige Verwertung zugelassen, wenn entweder keine
Beeinflussung des Zuschlagspreises (bzw. nur eine bar zu bezahlende
Forderung) oder keine sonstige Verletzung berechtigter Interessen
vorlag. Der heutige Wortlaut von Art. 41 Abs. 1 VZG lässt somit bei
der Festsetzung des Mindestzuschlagspreises keinen Raum mehr für die
Berücksichtigung "eventuell noch beim Richter anhängiger" Pfandforderungen.

    Es wurde indessen - offensichtlich aus Versehen - unterlassen, Art. 53
Abs. 1 VZG an diese Änderung anzupassen. Der Bestimmung, es müssten bei der
Festsetzung des Mindestzuschlagspreises auch vorgehende Pfandforderungen,
die im Streite liegen, berücksichtigt werden, kann deshalb im Verhältnis zu
Art. 41 Abs. 1 VZG keine Bedeutung zukommen. Eine vorzeitige Verwertung
zuzulassen, obwohl noch ein Streit über eine Last hängig ist, dessen
Ausgang den Mindestzuschlagspreis beeinflusst, könnte höchstens dann in
Frage kommen, wenn entweder alle Beteiligten damit einverstanden sind
oder wenn eine im Verhältnis zum Schätzungswert nur ganz untergeordnete
Differenz bleibt. Davon kann im vorliegenden Fall jedoch keine Rede
sein, nachdem der Mindestzuschlagspreis bei einem Schätzungswert von 4,4
Millionen Franken je nach dem Ergebnis des Lastenbereinigungsprozesses
um nicht weniger als rund 2,6 Millionen Franken variiert. Die Verwertung
muss daher bis zur rechtskräftigen Bereinigung des Lastenverzeichnisses
aufgeschoben werden, ohne dass geprüft werden müsste, ob durch eine
vorherige Versteigerung "sonst berechtigte Interessen verletzt würden".

Erwägung 3

    3.- Der Umstand, dass die Pfandobjekte nach den Behauptungen
der betreibenden Pfandgläubigerin einer Wertverminderung ausgesetzt
sind, vermag keine andere Lösung zu rechtfertigen. Im Unterschied zum
Konkursverfahren ist im Pfändungs- und Pfandverwertungsverfahren eine
vorzeitige Verwertung von Grundstücken wegen drohender Wertverminderung
nicht möglich. Im Pfändungsverfahren ist ein vorzeitiger Verkauf
zwar bei der Verwertung von Fahrnis (Art. 124 SchKG) vorgesehen,
nicht aber bei der Verwertung von Grundstücken (Art. 133 ff. SchKG).
Die gleiche Regelung gilt für die Betreibung auf Grundpfandverwertung
(Art. 156 SchKG). Demgegenüber wird in Art. 128 Abs. 2 VZG im Konkurs eine
Verwertung von Grundstücken vor erfolgter Lastenbereinigung bei sogenannter
"Überdringlichkeit" (vgl. hiezu BGE 96 III 83 ff.) ausnahmsweise als
zulässig erklärt.

Entscheid:

    Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des
Kantons Zürich als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung
und Konkurs vom 16. Juni 1981 aufgehoben und das Betreibungsamt Uitikon
angewiesen, die Verwertung in der Grundpfandbetreibung Nr. 12 bis zur
rechtskräftigen Bereinigung des Lastenverzeichnisses aufzuschieben.