Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 III 113



107 III 113

27. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8. Dezember
1981 i.S. A. & Co. AG (Rekurs) Regeste

    Fiskalische Beschlagnahme (Art. 44 SchKG).

    Können die kantonalen Steuerbehörden in jedem Stadium eines
Betreibungs- oder Konkursverfahrens mit einer Beschlagnahmeverfügung
eingreifen und gepfändete oder zur Konkursmasse gehörende
Vermögenswerte für die Deckung von Steuerforderungen gegen den Schuldner
beanspruchen? Jedenfalls kann der Verwertungserlös von den Steuerbehörden
nicht beschlagnahmt werden, da er nicht dem Schuldner gehört.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 497 der A. & Co. AG gegen F. für den Betrag
von Fr. 217'669.40 nebst Zinsen pfändete das Betreibungsamt Diepoldsau
zwei dem Schuldner gehörende Grundstücke und verwertete sie am 16.
Dezember 1980. Dabei wurde ein die grundpfandgesicherten Forderungen
übersteigender Erlös von rund Fr. 52'000.-- erzielt.

    Am 17. Dezember 1980 teilte das Gemeindesteueramt Diepoldsau dem
Betreibungsamt mit, dass aus der Verwertung der beiden Grundstücke mit
einer Grundstückgewinnsteuer zu rechnen und dafür eine Sicherstellung
von Fr. 52'000.-- zu leisten sei.

    Am 19. Januar 1981 legte das Betreibungsamt den Verteilungsplan für
die Pfandgläubiger auf, in welchem nach den Grundpfandforderungen eine
Forderung der kantonalen Steuerverwaltung von Fr. 5'129.50 bzw. eine solche
von Fr. 46'791.85 aufgeführt ist. Die betreibende Gläubigerin erhielt
davon vorerst keine Kenntnis. Hingegen wurde ihr ein Verlustschein über
Fr. 223'526.65 zugestellt.

    B.- Nachdem sich die Gläubigerin je eine Kopie der beiden
Verteilungspläne verschafft hatte, focht sie diese mit Beschwerde an den
Gerichtspräsidenten von Unterrheintal als untere kantonale Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs an. Mit Entscheid vom 23. April 1981
hiess der Gerichtspräsident die Beschwerde "im Sinne der Motive" gut. Er
hielt den Verteilungsplan sowie den Verlustschein für nichtig und wies
das Betreibungsamt an, vor Abschluss der Verteilung die definitive
Steuerveranlagung abzuwarten. Gegen diesen Entscheid rekurrierte die
Gläubigerin an die obere Aufsichtsbehörde des Kantons St. Gallen.

    C.- Inzwischen hatte die kantonale Steuerverwaltung am 1. Mai 1981
eine neue Sicherstellungsverfügung gegenüber dem Schuldner ergehen lassen
und, nachdem dieser der Verfügung nicht nachgekommen war, am 8. Mai 1981
gestützt auf Art. 142 des st. gallischen Steuergesetzes die Beschlagnahme
des Erlöses aus den Liegenschaftssteigerungen angeordnet, soweit dieser
die Forderungen der Pfandgläubiger übersteige. Gegen diese Massnahme,
die vom Betreibungsamt am 11. Mai 1981 vollzogen wurde, beschwerte sich
die Gläubigerin direkt bei der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde.

    Mit Entscheid vom 21. Oktober 1981 strich die Aufsichtsbehörde
die im Verteilungsplan aufgeführten Forderungen der kantonalen
Steuerverwaltung und hob den Pfändungsverlustschein auf. Im übrigen trat
sie auf die Beschwerde- bzw. Rekursbegehren nicht ein. Sie nahm an, das
Betreibungsamt habe sich gemäss Art. 44 SchKG zu Recht an die seitens des
Fiskus angeordnete Beschlagnahme des Pfändungserlöses gehalten. Hingegen
hätte es den vom Fiskus geltend gemachten Sicherungsanspruch nicht in
den Verteilungsplan aufnehmen und der betreibenden Gläubigerin einen
Verlustschein ausstellen dürfen.

    D.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt die Gläubigerin, in der
Betreibung Nr. 497 sei die Verteilung des Verwertungserlöses ohne
Berücksichtigung der geltend gemachten Steuerforderung bzw. der zur
Sicherstellung einer Steuerforderung verfügten Beschlagnahme anzuordnen.

    Die kantonale Steuerverwaltung beantragt die Abweisung des Rekurses.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 44 SchKG geschieht die Verwertung von Gegenständen,
welche aufgrund strafrechtlicher oder fiskalischer Gesetze mit Beschlag
belegt sind, nach den zutreffenden eidgenössischen oder kantonalen
Gesetzesbestimmungen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
dieser Vorschrift haben über die Voraussetzungen und Wirkungen einer
solchen Beschlagnahme einzig die nach diesen Gesetzen zuständigen Straf-
und Fiskalbehörden zu entscheiden. Die Betreibungs- und Konkursbehörden
sind nicht befugt, einer strafrechtlichen oder fiskalischen Beschlagnahme
eine eigene gegenteilige Verfügung entgegenzusetzen, die dann der
betreibungsrechtlichen Beschwerde unterliegen würde. Vorbehalten bleiben
immerhin Beschlagnahmen, die nach dem betreffenden Gesetz offensichtlich
unzulässig sind und von den Betreibungs- und Konkursbehörden daher
als nichtig betrachtet werden dürfen. Im übrigen aber müssen sich
die Gläubiger bzw. die Konkursverwaltung gegen solche Beschlagnahme
mit den Rechtsmitteln des Strafprozess- bzw. Fiskalrechts zur Wehr
setzen. Grundsätzlich dürfen die Kantone zwar für Steuern kein für sie
günstigeres Vollstreckungsverfahren als jenes des SchKG schaffen; auch
geniessen öffentlichrechtliche Forderungen keine anderen Privilegien
als die im Bundesrecht vorgesehenen (z.B. einzelne in Art. 219
Abs. 4 SchKG genannte Konkursprivilegien, gesetzliches Pfandrecht
nach Art. 836 ZGB). Hingegen ermächtigt Art. 44 SchKG die Kantone,
in strafrechtlichen und fiskalischen Gesetzen die Beschlagnahme von
Gegenständen vorzusehen und deren Verwertung zu regeln, allerdings nur zur
Vollziehung öffentlichrechtlicher Ansprüche, nicht etwa von Ansprüchen
des Geschädigten im Strafverfahren. Für öffentlichrechtliche Ansprüche
aber geht die Beschlagnahme einer Pfändung oder einem Konkursbeschlag
auch dann vor, wenn sie zeitlich später erfolgt (BGE 78 I 215 ff.;
vgl. auch BGE 76 I 33 und 99 ff., 53 I 386 ff., 28 I 209 und 220 ff.;
ferner BGE 105 III 1 ff., 101 IV 377 ff. E. 3, 93 III 93).

Erwägung 2

    2.- Mann kann sich fragen, ob an dieser Rechtsprechung in allen Teilen
festzuhalten sei. Sie hätte, konsequent zu Ende gedacht, zur Folge, dass
die Kantone in ihren Steuergesetzen ein Verfahren vorsehen könnten, mit
welchem sie in jedem Stadium eines Betreibungs- oder Konkursverfahrens
mit einer Beschlagnahmeverfügung eingreifen und gepfändete oder zur
Konkursmasse gehörende Vermögenswerte für die Deckung von Steuerforderungen
beanspruchen könnten. Das würde sehr weit gehen und dem Grundsatz, dass
öffentlichrechtliche Forderungen, bundesrechtliche Sondervorschriften
vorbehalten, kein Privileg geniessen dürfen, stracks zuwiderlaufen. Wenn
diese Frage bis heute zu keinen grösseren Kontroversen und zu keiner
bundesgerichtlichen Entscheidung geführt hat (die erwähnten Entscheidungen
betreffen ausschliesslich strafprozessuale Beschlagnahmen), so offenbar
nur deswegen, weil die Kantone entweder in ihren Steuergesetzen oder in
deren Anwendung die gebotene Zurückhaltung geübt haben.

    Es ist ohne weiteres einzuräumen, dass strafprozessuale
Beschlagnahmen, die der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dienen
(Beweissicherung, Beschlagnahme im Sinne von Art. 58 ff. StGB), regelmässig
ohne Rücksicht auf die zeitliche Priorität gegenüber Beschlagsrechten der
Zwangsvollstreckung den Vorrang haben müssen. Wo es aber lediglich um die
Sicherung staatlicher Kosten- oder Fiskalforderungen geht, stellt sich,
soweit kantonale Ansprüche im Spiel stehen, sofort die Frage, wie weit
das kantonale Recht vor dem übergeordneten Bundesrecht Bestand haben
kann bzw. ob das kantonale öffentliche Recht nicht die Durchsetzung des
Bundeszivilrechts (zu welchem im formellen Sinn des Art. 64 BV auch das
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht gehört) vereitelt oder in unzulässiger
Weise erschwert (vgl. dazu BGE 106 II 81 ff.). Über diese Fragen zu
entscheiden, sind aber in erster Linie jene Behörden berufen, denen die
Anwendung des in Frage stehenden eidgenössischen Rechts obliegt. Das
sind im vorliegenden Fall die Betreibungs- und Konkursämter und deren
Aufsichtsbehörden, die über die Anwendung des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts zu wachen haben. Sie haben auch dafür zu sorgen, dass die
Kantone nicht durch bundesrechtswidrige Vorschriften die Anwendung dieses
Bundesrechts vereiteln oder in unzulässiger Weise erschweren. Auch
BLUMENSTEIN, (Die Zwangsvollstreckung für öffentlichrechtliche
Geldforderungen nach schweizerischem Recht, in: Festgabe der juristischen
Fakultät der Universität Bern zur Feier des 50jährigen Bestehens des
Schweizerischen Bundesgerichts, S. 242) ist übrigens der Auffassung,
nur soweit eidgenössische Normen in Betracht fielen, gehe eine straf-
oder fiskalrechtliche Beschlagnahme einer zeitlich früher erfolgten
Pfändung vor, was in BGE 78 I 221 übersehen wurde (vgl. auch BÖRLIN,
Die strafrechtliche Beschlagnahme und das Schuldbetreibungs- und
Konkursrecht, ZSR 35/1916 S. 311; H. NIEDERER, Die Vermögensbeschlagnahme
im schweizerischen Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1968, S. 38/39).

Erwägung 3

    3.- Die Frage, wie weit an der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis
festgehalten werden kann, braucht indessen im vorliegenden Fall nicht
abschliessend entschieden zu werden, weil sich die von der Steuerverwaltung
des Kantons St. Gallen verfügte Beschlagnahme auch dann als unzulässig
erweist, wenn man dieser Praxis folgt.

    Die Steuerverwaltung stützt ihre Beschlagnahmeverfügung auf die
Art. 58, 141 und 142 des st. gallischen Steuergesetzes. Art. 58 fällt
zum vornherein ausser Betracht. Er bestimmt, dass der Grundbucheintrag
bei der Veräusserung von Grundstücken von der Sicherstellung oder
Bezahlung der Grundstückgewinnsteuer abhängig gemacht werden darf
und dürfte im übrigen ohnehin bundesrechtswidrig sein (BGE 106 II
81 ff.). Art. 141 ermächtigt die kantonale Steuerverwaltung, unter
bestimmten Voraussetzungen die Sicherstellung eines Steuerbetrags zu
verfügen, und Art. 142 (der im vorliegenden Fall in erster Linie in Frage
steht) ermöglicht, sofern der Sicherstellungsverfügung nicht nachgelebt
wird, die Beschlagnahme von Vermögenswerten. Dabei kann es sich jedoch
offensichtlich zum vornherein nur um die Beschlagnahme von Vermögenswerten
handeln, die dem Steuerpflichtigen und Steuerschuldner gehören. Der
Verwertungserlös aus einer Zwangsvollstreckung gehört nun aber nicht dem
Schuldner. Der Steigerungserlös geht mit der Bezahlung in das Eigentum
des Betreibungsamtes, also des Staates, über. Anspruch darauf haben in
erster Linie die betreibenden Gläubiger. Dem Schuldner steht ein Anspruch
auf den Erlös nur insoweit zu, als nach Deckung der Betreibungskosten und
Verteilung an die Gläubiger ein Überschuss verbleibt. Nur der Anspruch
auf einen solchen Überschuss ist ein Vermögenswert des Schuldners. Dieser
Grundsatz wird auch durch Art. 199 Abs. 2 SchKG bestätigt, wonach der
Erlös bereits verwerteter Vermögensstücke nicht in die Konkursmasse fällt,
sondern an die betreibenden Gläubiger zu verteilen ist.

    Die kantonale Steuerverwaltung hat somit einen Vermögenswert
beschlagnahmt, der ganz offensichtlich gar nicht dem Steuerpflichtigen
und Steuerschuldner, sondern einem Dritten gehörte. Das war auch nach dem
kantonalen Steuerrecht eindeutig unzulässig. Die Beschlagnahme durfte und
musste daher von den Betreibungsbehörden im Sinne von BGE 78 I 219 E. 1 in
fine als nichtig betrachtet werden. Der Rekurs ist demzufolge gutzuheissen,
der angefochtene Entscheid aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen,
die Verteilung des Verwertungserlöses ohne Rücksicht auf die von der
Steuerverwaltung erlassene Beschlagnahme durchzuführen.

Entscheid:

    Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der Entscheid der kantonalen
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen
vom 21. Oktober 1981 aufgehoben und das Betreibungsamt Diepoldsau
angewiesen, den Verwertungserlös aus der Betreibung Nr. 497 ohne Rücksicht
auf die Beschlagnahmeverfügung der kantonalen Steuerverwaltung vom 8. Mai
1981 bzw. des Gemeindesteueramtes Diepoldsau vom 17. Dezember 1980 zu
verteilen.