Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 III 11



107 III 11

4. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25. Juni
1981 i.S. X. (Rekurs) Regeste

    Zustellung eines Zahlungsbefehls in der Bundesrepublik Deutschland.

    Die Anerkennung der Zustellung eines Zahlungsbefehls in der
Bundesrepublik Deutschland durch Niederlegung beim zuständigen Amtsgericht
im Sinne von § 182 der deutschen Zivilprozessordnung verstösst nicht
gegen den schweizerischen ordre public.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit dem Rekurs im Sinne der Art. 19 SchKG und 78 ff. OG kann
nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf
einer Verletzung des Bundesrechts mit Einschluss von Staatsverträgen des
Bundes; wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger bleibt die
staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten (Art. 43 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 81 OG). Soweit der Rekurrent einen Verstoss gegen Art. 4 BV
rügt, wäre demnach auf den Rekurs an sich nicht einzutreten. Indessen
läuft die Argumentation des Rekurrenten bei richtiger Betrachtung auf
die Rüge hinaus, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt. ob und wie
ein schweizerischer Zahlungsbefehl im Ausland zugestellt werden könne,
ist eine Frage der Anwendbarkeit und der Tragweite von Art. 66 Abs. 3
SchKG, mithin des schweizerischen Gesetzesrechts. Ausschliesslich danach
beurteilt sich auch, ob die Anerkennung einer Zustellung im Ausland
allenfalls gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstosse.

Erwägung 2

    2.- Mit Recht hat die Vorinstanz festgehalten, die Zustellung von
Betreibungsurkunden in der Bundesrepublik Deutschland richte sich nach den
dort geltenden Vorschriften. Dies wird vom Rekurrenten denn auch nicht
bestritten, so dass einzig zu beurteilen bleibt, ob die Zustellung des
Zahlungsbefehls als rechtsgültig erfolgt anzuerkennen sei. Letzteres wäre
dann zu verneinen, wenn die Anerkennung der Zustellung durch Niederlegung
im Sinne von § 182 der deutschen Zivilprozessordnung (DZPO) im gegebenen
Fall gegen den schweizerischen ordre public verstossen sollte, d.h. wenn
dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung
missachtet würden und das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher
Weise verletzt würde (vgl. BGE 103 Ia 204 E. 4a mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Für den Fall, dass sich die Zustellung nach den übrigen
Vorschriften nicht durchführen lässt, sieht § 182 DZPO vor, dass die
Zustellung unter anderem dadurch erfolgen kann, dass das zu übergebende
Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk
der Ort der Zustellung gelegen ist, niedergelegt und eine schriftliche
Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in
der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben oder, falls dies
nicht tunlich ist, an die Tür der Wohnung befestigt oder einer in der
Nachbarschaft wohnenden Person zur Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt
wird. Dieser Zustellungsform stellt die Vorinstanz die Zustellung durch die
Post im Sinne von Art. 72 Abs. 1 SchKG, genauer gesagt den Fall gegenüber,
da bei der postalischen Zustellung einer eingeschriebenen Sendung oder
einer Betreibungsurkunde kein Bezugsberechtigter anzutreffen ist. Sie
weist darauf hin, dass bei dieser Sachlage gemäss Art. 157 der Verordnung
(1) zum Postverkehrsgesetz (VO (1) zum PVG; SR 783.01) der Postbote eine
Abholungseinladung mit Fristangabe zu hinterlassen habe und dass bei nicht
rechtzeitiger Abholung durch den Empfänger die Sendung nach Art. 169 Abs. 1
lit. d der gleichen Verordnung als unzustellbar gelte. Unter Berufung
auf verschiedene Entscheide des Bundesgerichts führt die Vorinstanz
schliesslich aus, die höchstrichterliche Rechtsprechung knüpfe an die
Unterlassung der Abholung die rechtliche Konsequenz, dass die Zustellung
als am letzten Tag der auf der Abholungseinladung vermerkten Frist erfolgt
zu betrachten sei. Es handle sich dabei ebenfalls um eine Fiktion, und
der Unterschied zur Zustellung durch Niederlegung des deutschen Rechts
bestehe einzig darin, dass die Zustellung nicht bereits mit der Abgabe
der Abholungsanzeige, sondern erst am letzten Tag der Abholungsfrist als
erfolgt gelte.

    Ob an der erwähnten Rechtsprechung (vgl. BGE 100 III 5 E. 2 mit
Hinweisen) festgehalten werden könne oder ob sie im Sinne der in BGE
98 Ia 138 f. E. 4 geäusserten Bedenken aufzugeben sei, braucht hier
nicht erörtert zu werden. Indessen ist darauf hinzuweisen, dass es bei
keinem der von der Vorinstanz angeführten Entscheide um die Zustellung
von Betreibungsurkunden ging. Was diese betrifft, so sieht Art. 64 Abs. 2
SchKG vor, dass, wenn keine zum Empfang befugte Person angetroffen werde,
die Betreibungsurkunde einem Gemeinde- oder Polizeibeamten zur Zustellung
an den Schuldner zu übergeben sei. Für den Standpunkt des Rekurrenten
lässt sich daraus jedoch nichts ableiten.

Erwägung 4

    4.- Sollte die Zustellung des Zahlungsbefehls durch Niederlegung im
Sinne von § 182 DZPO anzuerkennen sein, hätte dies zur Folge, dass die
Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlages ungenützt verstrichen wäre.
Für den Fall der nicht verschuldeten Versäumnis einer Frist schafft
das deutsche Zivilprozessrecht mit der in § 233 DZPO geregelten
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Möglichkeit, die versäumte
Rechtshandlung nachzuholen. Die Wiedereinsetzung wird insbesondere
dann gewährt, wenn der Betroffene glaubhaft zu machen vermag, dass
er eine Verfügung, durch deren Zustellung eine Frist ausgelöst wurde,
nicht rechtzeitig erhalten habe, wobei an die Glaubhaftmachung bzw. den
Nachweis dieser Behauptung nicht allzu strenge Anforderungen gestellt
werden (vgl. BVerfGE 26, Nr. 24, und 25, Nr. 19). Eine Wiedereinsetzung
nach deutschem Recht kommt im Falle des Rekurrenten freilich von
vornherein nicht in Frage, da es hier um die Versäumnis einer Frist
des schweizerischen Rechts geht, die auch in der Schweiz hätte gewahrt
werden müssen.

    Dem Betriebenen, der ohne seine Schuld verhindert war, innert Frist
Recht vorzuschlagen, stellt indessen auch das schweizerische Recht einen
Rechtsbehelf zur Verfügung. Er kann gemäss Art. 77 Abs. 1 und 2 SchKG
noch nachträglich - binnen drei Tagen seit dem Wegfall des Hindernisses -
beim Richter den Rechtsvorschlag anbringen. solange die Verwertung noch
nicht vollzogen bzw. der Konkurs noch nicht eröffnet worden ist. Der
nachträgliche Rechtsvorschlag ist in der Praxis etwa dann zugelassen
worden, wenn der Zahlungsbefehl durch Übergabe an eine Drittperson im Sinne
von Art. 64 Abs. 1 zweiter Satz SchKG, durch Übergabe an das Mitglied einer
Erbengemeinschaft, das nicht als deren Vertreter amtet (Art. 65 Abs. 3
SchKG), oder durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne von Art. 66 Abs. 4
SchKG zwar rechtsgültig zugestellt worden war, der Betriebene bzw. die
übrigen Mitglieder der betriebenen Erbengemeinschaft aus irgendeinem Grund
ohne eigenes Verschulden jedoch erst nach Ablauf der Frist zur Erhebung
des Rechtsvorschlages vom Zahlungsbefehl persönlich Kenntnis erhielten
(zum ersten Fall vgl. BlSchK 42/1978 S. 145 ff. und BlSchK 38/1974 S.
114 f.; zum zweiten Fall vgl. BlSchK 13/1949 S. 154 f.; zum dritten
Fall vgl. ZR 51/1952 Nr. 163 und ZBJV 64/1928 S. 81 f.). Dieser weiten
Auslegung des Art. 77 SchKG ist beizupflichten (im gleichen Sinne auch
das Schrifttum; vgl. JAEGER und JAEGER/DAENIKER, je N. 2 zu Art. 77
SchKG; BRAND, Der Rechtsvorschlag, SJK Nr. 979, S. 11 f.; FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, 2. A., I. Bd., S. 131; FAVRE, Droit des
poursuites, 3. A., S. 140 f.; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, S. 116).

    Aus dem Gesagten erhellt, dass sich die Rechtslage in der
Bundesrepublik Deutschland nicht wesentlich von derjenigen in der Schweiz
unterscheidet, so dass nicht gesagt werden kann, die Anerkennung der
Zustellung des Zahlungsbefehls an den Rekurrenten durch Niederlegung beim
Amtsgericht verstosse gegen den schweizerischen ordre public. Einerseits
bieten verschiedene der in der Schweiz vorgesehenen Zustellungsformen
(Aushändigung an einen erwachsenen Hausgenossen oder an einen Angestellten;
öffentliche Bekanntmachung) im Verhältnis zur Zustellung durch Niederlegung
im Sinne von § 182 DZPO keine grössere Gewähr dafür, dass der Betriebene
persönlich vom Zahlungsbefehl tatsächlich Kenntnis erlange. Andererseits
kann der Betriebene, der ohne seine Schuld vom Zahlungsbefehl keine
Kenntnis erhalten hat, um Zulassung des nachträglichen Rechtsvorschlages
nachsuchen, was dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand des
deutschen Rechts entspricht.