Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 III 1



107 III 1

1. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 11. März
1981 i.S. K. AG (Rekurs) Regeste

    Beschwerdeverfahren.

    Art. 8 ZGB ist im Beschwerdeverfahren nach Art. 17 und Art. 18 SchKG
analog anwendbar. Dabei dürfen nicht so strenge Anforderungen an das
Anerbieten von Beweisen gestellt werden wie in einem Zivilprozess.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. 551.80 der G. AG gegen die K. AG über
Fr. 2'400.- nebst Zins stellte das Betreibungsamt Rheineck der Schuldnerin
am 4. November 1980 die Konkursandrohung zu. Dagegen beschwerte sich
die Schuldnerin beim Bezirksgerichtspräsidenten von Unterrheintal als
unterer kantonaler Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs mit
der Begründung, ein entsprechender Zahlungsbefehl sei ihr nie zugestellt
worden. Der Bezirksgerichtspräsident wies die Beschwerde mit Entscheid
vom 1. Dezember 1980 ab. Er stellte fest, das Betreibungsamt habe den
Nachweis erbracht, dass der Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 551.80
der Schuldnerin zugestellt worden sei. Der zustellende Beamte habe nämlich
auf dem Zahlungsbefehl unterschriftlich vermerkt, dass er die Urkunde
am 1. September 1980 Herrn K. ausgehändigt habe. Ein Rekurs gegen den
Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten wurde von der oberen kantonalen
Aufsichtsbehörde des Kantons St.Gallen am 15. Januar 1981 abgewiesen.

    B.- Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Schuldnerin an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit dem Antrag,
die Betreibung bzw. die Konkursandrohung aufzuheben.

    Die Gläubigerin und das Betreibungsamt liessen sich innert der ihnen
gesetzten Frist nicht vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ob der Zahlungsbefehl der Rekurrentin zugestellt worden ist oder
nicht, ist eine Tatfrage. Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörden
über derartige Fragen sind nach Art. 63 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 81
OG im Rekursverfahren für das Bundesgericht verbindlich, es sei denn, dass
sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen
sind oder offensichtlich auf Versehen beruhen. Das Bundesrecht enthält
nun keine ausdrücklichen Bestimmungen darüber, auf welche Weise die
kantonalen Aufsichtsbehörden im Beschwerdeverfahren nach Art. 17/18 SchKG
den Sachverhalt zu ermitteln haben. Nach der Rechtsprechung gilt jedoch
in gewissen Fällen von Bundesrechts wegen die Offizialmaxime, so wenn
Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Betriebenen bestehen (BGE 104 III 6/7)
oder bei der Ermittlung der für die Beschränkungen der Pfändbarkeit nach
Art. 92/93 SchKG massgebenden tatsächlichen Verhältnisse (BGE 106 III 13,
102 III 15, 97 III 11/12, 87 III 104, 82 III 106). Im übrigen findet
im Beschwerdeverfahren Art. 8 ZGB, aus dem die Rechtsprechung einen
bundesrechtlichen Anspruch auf Abnahme anerbotener Beweise ableitet
(BGE 97 II 196/197, mit Hinweisen), analoge Anwendung (BGE 102 III 13,
97 III 14/15 E. 2a; vgl. auch BGE 54 III 191).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall hat die Rekurrentin im kantonalen
Verfahren geltend gemacht, es müsse eine Verwechslung vorliegen, denn
der Zustellbeamte Leemann, bei dem es sich nicht um den ordentlichen
Weibel, sondern um dessen nur gelegentlich tätigen Stellvertreter handle,
habe Herrn K. am 1. September 1980 tatsächlich einen Zahlungsbefehl
überbracht, der aber eine andere Betreibung betreffe. Das läuft praktisch
auf den Antrag hinaus, diesen Zustellbeamten als Zeugen zu befragen. Im
Beschwerdeverfahren nach Art. 17/18 SchKG dürfen nicht so strenge
Anforderungen an das Anerbieten von Beweisen gestellt werden wie in einem
Zivilprozess. Das muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier streitig
ist, ob ein Zahlungsbefehl zugestellt worden ist oder nicht. Diese Frage
ist für den Betriebenen von entscheidender Bedeutung. Wird sie nämlich
zu Unrecht bejaht, so ist dieser der Möglichkeit beraubt, Rechtsvorschlag
zu erheben, und die Betreibung kann - von dem an strenge Voraussetzungen
geknüpften nachträglichen Rechtsvorschlag abgesehen - nicht mehr gehemmt
werden. Dass der Zustellbeamte nicht als Zeuge einvernommen wurde, lässt
sich daher zwangslos als Verletzung von Art. 8 ZGB bezeichnen. Wohl schafft
die Bescheinigung auf dem Zahlungsbefehl Beweis für die Zustellung; aber
den Parteien steht das Recht zum Gegenbeweis zu. Die Ausführungen der
Vorinstanz darüber, weshalb eine Nichtzustellung als unwahrscheinlich
erscheine, genügten jedenfalls nicht, einen entsprechenden Beweisantrag
abzulehnen, zumal das Betreibungsamt vor keiner Instanz eine Vernehmlassung
eingereicht hat, in welcher es ausdrücklich bestätigt hätte, dass die
Aushändigung des Zahlungsbefehls an K. erfolgt sei. Die Sache ist
daher zur Einvernahme des Zustellbeamten Leemann an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.