Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IB 50



107 Ib 50

12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
11. März 1981 i.S. Gemeinde N. gegen M. und Regierungsrat des Kantons
Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Waldqualität; Art. 1 FPolV.

    Bedeutung der Mindestfläche einer Bestockung für die Bejahung der
Waldeigenschaft (E. 3c und 4). Es bedeutet eine allzu schematische,
bundesrechtswidrige Anwendung einer kantonalen Mindestmassvorschrift,
wenn ein ausgedehntes Bachufergehölz nur deshalb nicht als Wald bezeichnet
wird, weil es eine bundesrechtlich nicht vorgeschriebene Mindestbreite
unwesentlich unterschreitet (E. 4b). Die Anwendung der kantonalen
Mindestmassvorschrift ist auch dann bundesrechtswidrig, wenn der fragliche
Baumbestand nicht im Zusammenhang mit anschliessenden Bestockungen gesehen
wird (E. 4a). Bei der rechtlichen Gesamtbeurteilung nach Art. 1 FPolV haben
die Behörden auch den Aspekt des Landschaftsschutzes einzubeziehen (E. 5).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- ... (lit. a und b: Die Voraussetzungen der Bestockung mit
Waldbäumen und der typischen Waldfunktionen sind beim fraglichen Areal
erfüllt).

    c) Von besonderer Bedeutung ist hier die Frage, ob das streitige
Areal als (hinlänglich grosse) "Fläche" im Sinne von Art. 1 Abs. 1 FPolV
zu betrachten ist. Die erforderliche Minimalfläche ist bundesrechtlich
nicht bestimmt. Damit ist den Kantonen und der Praxis ihrer Forstbehörden
ein erheblicher Beurteilungsspielraum überlassen. Die Kantone wenden
unterschiedliche Minimalmasse und Messmethoden an. Der Kanton Aargau
beispielsweise erachtet eine Fläche von über 100 m2 Ausdehnung
(ab Stockgrenze, horizontal gemessen) als Wald (vgl. Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 29. August 1977, in ZBl 79/1978, S. 76 E. 1d). Die
Behörden des Kantons Graubünden gehen ebenfalls von einer Minimalfläche
von 100 m2 aus, messen diese jedoch - mit Rücksicht auf die Baumkronen
- unter Beachtung eines Abstandes von 2 m von den äussersten Stämmen,
wodurch bereits kleinere Flächen als im Aargau als Wald gelten (vgl.
nicht veröffentlichter BGE Heinz vom 9. Juli 1980, E. 2). Im Kanton
Zürich wird zunächst eine bestockte Mindestbreite von 6 m, gemessen von
der Stamm-Mitte der äussersten Bäume, und zusätzlich eine Mindestfläche
von 150 m2, berechnet aufgrund der bestockten Breite zuzüglich eines
beidseitigen Saumes von je 2 m verlangt; hier gilt also eine nicht
unbedeutend grössere Fläche als Norm.

    Derartige kantonale Regeln sind teils schriftlich festgelegt, teils
entsprechen sie einfach der Forstpraxis. Im Kanton Zürich sind sie in einer
nicht veröffentlichten Wegleitung des Oberforstamtes und des Tiefbauamtes
vom Mai 1978 (mit späterer Abänderung) niedergelegt. Es handelt sich
dabei um verwaltungsinterne Richtlinien vorwiegend technischer Art, die
im Interesse einer einheitlichen und rechtsgleichen Verwaltungspraxis
aufgestellt worden sind. Solche Richtlinien stellen zwar keine
Rechtssätze dar und sind für das Bundesgericht nicht verbindlich. Doch
sind sie in der Regel Ausdruck des Wissens und der Erfahrung bewährter
Fachstellen, so dass sich das Bundesgericht meistens seinerseits an sie
hält (vgl. IMBODEN-RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I,
Nr. 9, S. 55 III d; BGE 98 Ib 436).

Erwägung 4

    4.- Die Rechtsprechung des Bundesgerichtes hat sich - was die
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "Fläche" anbelangt - bis anhin
sehr zurückgehalten und den kantonalen Forstbehörden einen erheblichen
Beurteilungspielraum zugestanden. Eine Überprüfung dieser Rechtsprechung
erweist sich als notwendig, weil mit der zunehmenden Baulandverknappung
die Fragen, welche Bestockungen bewilligungslos gerodet werden dürfen
und von welchen Bestockungen an die gesetzlichen Waldabstände beim Bauen
einzuhalten sind, immer mehr Gewicht erhalten und weil die kantonalen
Behörden mitunter zu schematisch vorgehen.

    Im vorliegenden Fall überschreitet das streitige Areal (im Halte
von etwa 600 m2) die von der forstamtlichen Praxis im Kanton Zürich
geforderte Mindestfläche von 150 m2 beträchtlich, doch erreicht es
die forstamtlich geforderte Breite von 6 m nicht; im obersten und im
untersten Teil erreicht es sie fast, auf der übrigen Strecke jedoch ist
der Streifen schmäler. Die kantonalen Behörden haben daher das Vorliegen
einer bestockten "Fläche" im Sinne von Art. 1 Abs. 1 FPolV verneint. Zu
prüfen ist, ob diese Betrachtungsweise vor dem Bundesrecht standhält.

    a) Ufergehölze sind in Art. 1 Abs. 2 FPolV als Beispiel, nämlich als
besondere Erscheinungsform von Wald ausdrücklich genannt. Sie würden
daher nur dann nicht als Wald gelten, wenn es sich bei der Bestockung
wegen ihrer geringen Ausdehnung um Einzelbäume im Sinne von Art. 1 Abs. 3
FPolV handelte. (...)

    Im vorliegenden Fall hat die vorhandene Bestockung wegen der
Strauchschicht neben den Bäumen und wegen der auch in den Einengungen
und Lücken durch das Gehölz beeinflussten Bodenvegetation nach Ansicht
des beigezogenen Experten eindeutig den Charakter eines Ufergehölzes
und nicht den von beidseitig der Ufer stehenden Einzelbäumen. Daraus
folgt, dass die Bestockung aufgrund ihrer Eigenart als Ufergehölz den
Flächenerfordernissen der bundesrechtlichen Walddefinition zu genügen
vermag und nicht bloss als eine Mehrzahl von Einzelbäumen erscheint.

    Dieses Ergebnis wird dadurch erhärtet, dass - was die kantonalen
Behörden ausser acht gelassen haben - die streitige Fläche im Zusammenhang
mit den benachbarten Waldbeständen gesehen werden muss. Der Zusammenhang
mit dem oben anschliessenden Reservoirwald besteht darin, dass die ganze
Tobelbachbestockung entstehungsgeschichtlich und landschaftlich als
verbliebener Ausläufer jenes kompakten Waldes zu betrachten ist. Der
Zusammenhang mit dem unteren, vom Kanton selber als Wald anerkannten
Abschnitt der Tobelbachbestockung ist in jeder Beziehung zu bejahen.
   b) ... (Bestätigung der Ausführungen des Gutachtens).

    Den Überlegungen der kantonalen Behörden könnte selbst dann nicht
gefolgt werden, wenn eine Einhaltung der genannten Mindestmassvorschriften,
an die das Bundesgericht nicht gebunden ist, hier zu verneinen wäre. Das
Gutachten zeigt, dass die kantonale Mindestmass-Regelung dem Bundesrecht
nur ungenügend zu dienen vermag. Ihre Anwendung führt im vorliegenden
Fall zu einem dem Forstpolizeirecht fremden Schematismus. In der Tat ist
nicht erkennbar, welchem Anliegen des Forstpolizeirechtes es dienlich sein
könnte, einen weiten Teil eines ausgedehnten Ufergehölzes nur deshalb nicht
als Wald zu betrachten, weil er eine im Bundesrecht nicht vorgeschriebene
Vegetationsbreite von 6 m unwesentlich unterschreitet.

Erwägung 5

    5.- Die vom kantonalen Oberforstmeister am Augenschein erklärte
Auffassung, der Landschaftsschutz sei nach zürcherischer Praxis nicht
Sache der Forstorgane, geht fehl. Vorliegend ergab sich eine klare
Bejahung der Waldeigenschaft schon aus einer sinnvollen Anwendung der
Bemessungsgrundsätze und aus der forstkundlich erforderlichen Betrachtung
der gesamten Bachbestockung. Wäre die Antwort aber weniger eindeutig
ausgefallen, so hätte bei der rechtlichen Gesamtbeurteilung gemäss Art. 1
FPolV der Aspekt des Landschaftsschutzes, der zu den Wohlfahrtswirkungen
des Waldes gehört, einbezogen werden müssen (vgl. Art. 26 Abs. 4
FPolV). Eine solche Gesamtbeurteilung ist nach dem Forstpolizeirecht
Aufgabe der es anwendenden Behörden. (...)