Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IB 334



107 Ib 334

59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23.
Dezember 1981 i.S. Fischer gegen Gemeinde Marthalen und Regierungsrat
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4, 22ter BV. Auszonung zur Verkleinerung des Baugebiets.

    1. Massgebende Gesichtspunkte für die Abwägung zwischen dem
öffentlichen Interesse an der Verkleinerung der Bauzone und den
entgegenstehenden Interessen eines von der Auszonung betroffenen
Grundeigentümers (E. 2 u. 3).

    2. Bedeutung der Rechtsgleichheit mit Bezug auf die nicht ausgezonten
Grundstücke. Verletzung des Gleichheitsprinzips im konkreten Fall bejaht
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit Beschluss vom 28. März 1977 erliess die Gemeindeversammlung
Marthalen eine neue Bauordnung mit einem neuen Zonenplan und genehmigte
zugleich einen Siedlungs- und Landschaftsrichtplan. Die Walter Fischer
gehörenden Grundstücke Nrn. 605, 606, 607 und 608 im Gebiet "auf der
Breiten", welche in der Wohn- und Gewerbezone für zweigeschossige
Bauten (WG 2) lagen, wurden ins übrige Gemeindegebiet ausgezont. Gegen
diese Auszonung rekurrierte Walter Fischer erfolglos an den Bezirksrat
Andelfingen. Er zog dessen Entscheid an den Regierungsrat des Kantons
Zürich weiter, der die Beschwerde am 20. August 1980 abwies.

    Walter Fischer führt gegen den Entscheid des Regierungsrats
staatsrechtliche Beschwerde. Er erblickt in der Auszonung einen Verstoss
gegen die Eigentumsgarantie und das Willkürverbot. Sinngemäss rügt er
ausserdem eine Verletzung der Rechtsgleichheit.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich, der Bezirksrat Andelfingen und
der Gemeinderat Marthalen beantragen die Abweisung der Beschwerde. Eine
Delegation des Bundesgerichts nahm am 26. August 1981 einen Augenschein
vor.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Eigentumsgarantie steht einer nachträglichen
Änderung oder Beschränkung der aus einer bestimmten Zoneneinteilung
folgenden Nutzungsmöglichkeit nicht grundsätzlich entgegen (BGE 107
Ia 36 mit Hinweisen). Eine solche Massnahme stellt indessen eine
Eigentumsbeschränkung dar, die gemäss Art. 22ter BV nur zulässig ist, wenn
sie auf gesetzlicher Grundlage beruht und im öffentlichen Interesse liegt.

    b) Die gesetzliche Grundlage der Auszonung ist mit Recht nicht
bestritten. Streitig ist nur, ob an der Auszonung der Parzellen des
Beschwerdeführers ein hinlängliches öffentliches Interesse besteht. Die
Gemeinde Marthalen beruft sich für die Massnahme einzig auf die
Notwendigkeit, die im früheren Zonenplan viel zu grosszügig bemessene
Bauzone zu verkleinern. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung besteht
ein erhebliches öffentliches Interesse an Massnahmen, die das Entstehen
überdimensionaler Bauzonen verhindern oder solche verkleinern (BGE 105
Ia 235 E. 3c lit. cc; 103 Ia 252 E. 2b mit Hinweisen). In diesem Sinn
gebietet das Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG), dass die Siedlungen
nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und in ihrer Ausdehnung
zu begrenzen seien (Art. 3 Abs. 3 RPG). Demgemäss sollen die Bauzonen Land
umfassen, das sich für die Überbauung eignet und voraussichtlich innert 15
Jahren benötigt und erschlossen wird (Art. 15 RPG). Das geltende Zürcher
Planungs- und Baugesetz vom 7. September 1975 (PBG) spricht den gleichen
Grundsatz in § 47 Abs. 2 aus.

    Die Gemeinde Marthalen hat heute rund 1350 Einwohner. Seit 100
Jahren ist die Einwohnerzahl praktisch unverändert geblieben. Bei der
Revision des Zonenplans zeigte es sich, dass die Baulandreserven - wie
fast überall im Kanton (vgl. dazu den kantonsrätlichen Begleitbericht
zum kantonalen Gesamtplan vom 10. Juli 1978, S. 10) - den erwarteten
Bedarf um ein Vielfaches überstiegen und deshalb bedeutende Abstriche am
eingezonten Baugebiet vorgenommen werden mussten. Beim Zonenplan von 1965
hatte die Gemeinde noch mit einem Baulandbedarf für rund 4500 Einwohner
gerechnet. Angesichts der Einwohnerzahlen und der Bevölkerungsentwicklung
lag eine Verkleinerung der Bauzone zweifellos im öffentlichen
Interesse. Diese grundsätzliche Notwendigkeit der Redimensionierung und
das öffentliche Interesse daran anerkennt auch der Beschwerdeführer. Er
macht indessen geltend, mit Bezug auf seine Parzellen überwögen seine
privaten Interessen das öffentliche Interesse an der Auszonung.

    c) Ob die mit der Auszonung verbundene Eigentumsbeschränkung durch ein
ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt ist, hängt nicht nur davon
ab, dass an der Massnahme ein solches besteht; dieses muss ausserdem die
entgegenstehenden privaten Interessen überwiegen. Das Bundesgericht
überprüft diese verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung
grundsätzlich frei. Es auferlegt sich lediglich Zurückhaltung, soweit
die Beurteilung von der Würdigung örtlicher Verhältnisse abhängt, welche
die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken, und soweit sich
ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 107 Ia 38 E. 3c; 104 Ia 126
E. 2a mit Hinweisen). Bei der Beurteilung sind namentlich das Ausmass und
die konkrete Lage der umstrittenen Parzellen, deren Erschliessung sowie
die Interessen des Beschwerdeführers zu würdigen.

Erwägung 3

    3.- a) Die Überbauung der Parzellen des Beschwerdeführers als
solche verstösst nicht gegen die Planungsabsichten der Gemeinde oder des
Kantons. Aus dem gegenwärtigen Planungsstand geht vielmehr hervor, dass die
Grundstücke in einem späteren Zeitpunkt eingezont werden sollen. Gemäss
dem von der Gemeinde genehmigten Siedlungs- und Landschaftsrichtplan vom
28. März 1977 befinden sich die Parzellen im Baugebiet. Nach dem kantonalen
Gesamtplan liegen sie im sog. Anordnungsspielraum, d.h. im Grenzgebiet
zwischen Siedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet, dessen parzellenscharfe
Abgrenzung der nachgeordneten Planung überlassen ist. Eine Zuweisung der
Parzellen in eine Bauzone würde somit den Grundsatz der Verbindlichkeit
der Planungen gemäss § 16 PBG nicht verletzen. Die Interessenabwägung
reduziert sich daher praktisch auf die Frage, ob die Auszonung im
Hinblick auf den voraussichtlichen Baulandbedarf innerhalb der für
die Nutzungsplanung massgebenden Zeitspanne von 15 Jahren heute als
gerechtfertigt bezeichnet werden darf.

    b) Die Parzellen des Beschwerdeführers umfassen eine Fläche von
rund 1 ha. Eine Überbauung ergäbe nach den vom kantonalen Amt für
Raumplanung verwendeten Schätzungswerten Wohnraum für 40-50 Personen. Die
ausgezonte Fläche ist verglichen mit dem eingezonten Gemeindegebiet und der
Gesamteinwohnerzahl somit eher gering. Eine Überschreitung der im Hinblick
auf die Änderung des Zonenplans ermittelten Baulandreserven um 1 ha fällt
bei der Unsicherheit, die erfahrungsgemäss allen Prognosen anhaftet,
nicht besonders schwer ins Gewicht. Die mit der Änderung des früheren
Zonenplans beabsichtigte wesentliche Verkleinerung der Bauzone würde
in dieser Hinsicht durch die Belassung der Grundstücke in der Bauzone
nicht in Frage gestellt. Der Eignung des Landes als Siedlungsgebiet,
seiner Lage im Verhältnis zum überbauten Gebiet und den Bauzonen sowie
den Erschliessungsverhältnissen kommt unter diesen Umständen grösseres
Gewicht zu.

    c) Der Augenschein hat bestätigt, dass eine Überbauung der umstrittenen
Fläche unter dem Gesichtspunkt der geordneten Siedlungsentwicklung
keineswegs als unzweckmässig bezeichnet werden kann. Die Fläche stösst
auf drei Seiten an Bauzonenland an, das zum Teil bereits überbaut ist. Es
handelt sich um ein ebenes Areal, das sich für eine Überbauung nicht
weniger eignet als die angrenzenden Flächen. Angesichts der Überbauung
auf den Nachbargrundstücken lässt sich die Gefahr der Verhinderung der
Streubauweise und der ungeordneten Überbauung nicht als Grund für die
Auszonung anführen. Eine Belassung der Parzellen des Beschwerdeführers
in der Bauzone kann auch unter diesem Gesichtspunkt als sachgerecht
bezeichnet werden.

    d) Die Groberschliessung, wie sie das kantonale Recht und
die Gemeindebauordnung verlangen, ist vorhanden. Das Anliegen, die
Infrastrukturanlagen rationell zu nutzen, spricht klarerweise für den
baldigen Anschluss von Bauten, die auf dem grob erschlossenen Areal
erstellt werden. Die Feinerschliessung obliegt dem Beschwerdeführer und
belastet die Gemeinde nicht. Die bereits vorhandene infrastrukturelle
Erschliessung vermindert das planerische Interesse an der Auszonung, da
dadurch die sonst primär der Gemeinde obliegenden Erschliessungskosten
wegfallen. Diese Betrachtungsweise entspricht auch den Überlegungen, die
dem kantonalen Gesamtplan zugrunde liegen; danach sollen nur Bauzonen
zurückgezont werden, in denen die Groberschliessung mindestens zur
Hauptsache noch fehlt (vgl. den kantonsrätlichen Begleitbericht zum
kantonalen Gesamtplan vom 10. Juli 1978, S. 11).

    e) Der Verzicht auf die Auszonung der Parzellen des Beschwerdeführers
hätte auch nicht zur Folge, dass eine Anzahl weiterer Grundstücke,
die ebenfalls ausgezont wurden, aus Gründen der Rechtsgleichheit hätten
eingezont bleiben müssen. Soweit die übrigen Gebiete die 1977 ausgezont
wurden, ähnliche "Auszackungen" in der Bauzone zur Folge hatten wie
die Grundstücke des Beschwerdeführers, gehen jene Auszonungen entweder
auf Zustimmung der betroffenen Eigentümer zurück oder es konnte damit
eine Grossüberbauung verhindert werden. Auch der in den Akten erwähnte
Fall von S., dem die Parzelle Nr. 317 gehört, deren südlicher Teil dem
übrigen Gemeindegebiet zugewiesen wurde, hat keine Berührungspunkte mit
dem Fall des Beschwerdeführers; die Auszonung erfolgte dort aufgrund des
Ortsbildschutzes und ist auch im übrigen nicht vergleichbar.

    f) Der Beschwerdeführer beabsichtigt seit Jahren, seine Grundstücke zu
überbauen. Der Gemeinde Marthalen war dies bekannt. Er liess verschiedene
Projekte ausarbeiten. In zwei Vorentscheiden von 1972 nahm die Gemeinde
dazu grundsätzlich positiv Stellung, unter ausdrücklichem Vorbehalt einer
abschliessenden Stellungnahme bei Vorlegung des endgültigen Baugesuchs. In
einem weiteren Entscheid vom 1974 trat sie auf ein erneutes Gesuch um
einen Vorentscheid zu einem Überbauungsprojekt vor allem wegen der
noch offenen Frage der Zufahrtsstrasse nicht ein; gleichzeitig lud
sie den Beschwerdeführer ein, sein Baugesuch bis zum Vorliegen eines
von der Gemeinde überarbeiteten Bebauungsplans zurückzustellen. Der
Beschwerdeführer behauptet zwar zu Recht nicht, es liege eine verbindliche
Zusicherung vor, die ihm bereits gestützt auf den Grundsatz von Treu und
Glauben einen Anspruch auf Belassung in der Bauzone gäbe. Angesichts der
von ihm ausgearbeiteten Überbauungsprojekte, die nicht zuletzt wegen der
inzwischen erfolgten strassenmässigen Erschliessung aufgeschoben wurden,
ist aber durch die Vorgeschichte ein erhebliches konkretes Interesse an
der Belassung der Parzellen in der Bauzone ausgewiesen.

Erwägung 4

    4.- Alle diese Gesichtspunkte sprechen nicht für, sondern gegen eine
Auszonung. Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt, der die Auszonung
verfassungsrechtlich auf jeden Fall nicht mehr als zulässig erscheinen
lässt. Im Unterschied zu den Parzellen des Beschwerdeführers hat die
Gemeinde das südlich an seine Grundstücke angrenzende Gebiet Oberhausen
nicht ausgezont. Der Beschwerdeführer hält die Auszonung seiner Parzellen
aus diesem Grund für besonders ungerechtfertigt.

    a) Dem Gleichheitsprinzip kommt bei Planungsmassnahmen nur eine
abgeschwächte Bedeutung zu. Es liegt im Wesen der Ortsplanung, dass
Zonen gebildet und irgendwo abgegrenzt werden müssen und das Grundstücke
ähnlicher Lage und ähnlicher Art bau- und zonenrechtlich völlig verschieden
behandelt werden können. Immerhin darf die Abgrenzung nicht willkürlich
erfolgen; sie muss sich vielmehr durch vernünftige planerische Gründe
rechtfertigen lassen (BGE 103 Ia 257 E. 4 mit Hinweisen). Das ist
namentlich nicht mehr der Fall, wenn die ungleiche Behandlung der
betroffenen Parzellen jeder vernünftigen Planung widerspricht oder wenn
dem Vorgehen der Behörde offensichtlich unzulässige sachfremde Überlegungen
zugrunde liegen.

    b) Das Gebiet von Oberhausen umfasst rund 9 ha. Davon gehören
2 ha der Gemeinde. Diese hat das Land gekauft, um Bauparzellen für
Eigenheime bereitstellen zu können. Nach Angaben der Gemeindevertreter
am Augenschein sollen diese vorzugsweise an Leute aus der Gemeinde
abgegeben werden. Das Gebiet ist weiter vom Ortskern entfernt als die
Parzellen des Beschwerdeführers. Unter dem Gesichtspunkt der geordneten
Siedlungsentwicklung hätte es zweifellos näher gelegen, diese Fläche um
1 ha zu verkleinern, anstatt die an den Ortskern angrenzenden Grundstücke
des Beschwerdeführers auszuzonen. Daran ändert auch der von der Gemeinde
hervorgehobene Umstand nichts, dass das Gebiet mit Rücksicht auf den zur
Zeit der Revision des Zonenplans vorliegenden Quartierplan in der Bauzone
belassen worden sei. Angesichts der vom Beschwerdeführer ausgearbeiteten
Projekte bestand in dieser Hinsicht planungsrechtlich kein wesentlicher
Unterschied. Der weitere Umstand, dass die Gemeinde zufolge ihrer Stellung
als Eigentümerin die sich in Oberhausen niederlassenden Personen in
gewissem Mass auswählen kann während sie die Erwerber bzw. allfälligen
Neuzuzüger im Gebiet des Beschwerdeführers nicht mitbestimmen kann, war
kein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der beiden
Gebiete bei der Auszonung.

    c) Aus dem Vergleich erhellt, dass die planerischen Gesichtspunkte
eher mehr, jedenfalls aber nicht weniger für die Belassung der Parzellen
des Beschwerdeführers in der Bauzone sprachen als für die Beibehaltung der
Bauzone im Gebiet Oberhausen. Wenn die Gemeinde deshalb mit Rücksicht auf
den Stand der Planung und die Überbauungsabsichten davon abgesehen hat,
das Gebiet Oberhausen auszuzonen, so musste sie die gleiche Rücksicht
auch gegenüber dem Beschwerdeführer walten lassen. Es war unter den
geschilderten Umständen sachlich nicht haltbar, dass seine Grundstücke
nicht ebenfalls eingezont blieben. Indem die Gemeinde keine Verkleinerung
des angrenzenden Gebiets Oberhausen, wo sie selber über einen Landbesitz
von rund 2 ha verfügt, vorgenommen hat, hat sie das Rechtsgleichheitsgebot
verletzt. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und der Entscheid des
Regierungsrats aufzuheben.