Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IB 29



107 Ib 29

8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 3. April 1981 i.S. Justiz- und Polizeidirektion des
Kantons Zug gegen Bortis und Verwaltungsgericht des Kantons Zug
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Vorzeitige bedingte Wiedererteilung des Führerausweises (Art.
17 Abs. 3 SVG).

    Die vorzeitige bedingte Wiedererteilung des Führerausweises nach sechs
Monaten ist auch dann zulässig, wenn der Ausweis gestützt auf Art. 17
Abs. 1 lit. d (Fahren in angetrunkenem Zustand, Rückfall) für mindestens
1 Jahr entzogen werden musste (E. 1); Voraussetzungen hiefür (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Emil Bortis wurde im Sommer 1978 der Führerausweis wegen Fahrens
in angetrunkenem Zustand im Rückfall für die Dauer von zwölf Monaten
entzogen. Anfangs Januar 1979 wies die Justiz- und Polizeidirektion des
Kantons Zug sein Gesuch um vorzeitige Wiedererteilung des Ausweises
nach Art. 17 Abs. 3 SVG ab. Bortis wandte sich gegen diese Verfügung
mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug. Mit Urteil vom
15. März 1979 ordnete dieses an, dem Beschwerdeführer sei der Ausweis ab
2. April bedingt wiederzuerteilen, sofern er sich bis zu diesem Zeitpunkt
gegenüber der Justiz- und Polizeidirektion schriftlich verpflichte, sich
während des Rests der verfügten Entzugsdauer jeglichen Alkoholgenusses
zu enthalten.

    Gegen dieses Urteil reichte die Justiz- und Polizeidirektion des
Kantons Zug Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht ein. Sie
verlangte, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und
der Führerausweisentzug gegenüber Emil Bortis wiederherzustellen. Zur
Begründung führte sie aus, die vorzeitige Wiederaushändigung des
Führerausweises nach Art. 17 Abs. 3 SVG sei bei Entzügen, die wegen
Fahrens in angetrunkenem Zustand im Rückfall verfügt wurden, vor Ablauf
der gesetzlichen Minimaldauer von einem Jahr (Art. 17 Abs. 1 lit. d
SVG) nicht zulässig. Überdies seien die gesetzlichen Voraussetzungen im
konkreten Fall nicht erfüllt.

    Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und hob das Urteil des
Verwaltungsgerichtes auf, da die Voraussetzungen für die vorzeitige
Wiedererteilung des Ausweises im konkreten Fall nicht erfüllt waren. Von
der Vollstreckung des Führerausweisentzuges für die noch ausstehende Zeit
wurde aus anderen Gründen abgesehen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Auffassung der beschwerdeführenden Polizeidirektion kann
die vorzeitige bedingte Rückgabe des Führerausweises nach Ablauf von
mindestens sechs Monaten nur bei Sicherungsentzügen in Frage kommen. Würde
die Vorschrift von Art. 17 Abs. 3 SVG auch bei Warnungsentzügen für
rückfällige angetrunkene Fahrer angewendet, so würde Art. 17 Abs. 1 lit. d
SVG, der für solche Fälle zwingend eine minimale Entzugsdauer von einem
Jahr vorsieht, jede Bedeutung verlieren. Die Entstehungsgeschichte der
Bestimmung über die vorzeitige Rückgabe sei nicht eindeutig und spreche
nicht für die Gegenauffassung. Aus den strafrechtlichen Bestimmungen über
die bedingte Entlassung (Art. 38 StGB) lasse sich nichts ableiten, weil man
administrative Massnahmen nicht mit Strafen vergleichen dürfe. Sowenig
man beim differenzierten Entzug (Art. 34 Abs. 2 der Verordnung über
die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr; VZV)
die minimale Entzugsdauer von einem Jahr für rückfällige angetrunkene
Fahrer bei der einen oder andern Ausweiskategorie unterschreiten dürfe
(BGE 104 Ib 57), sowenig komme eine vorzeitige bedingte Rückgabe des
Ausweises vor Ablauf der gesetzlichen Mindestdauer von einem Jahr in Frage.

    Entgegen diesen Darlegungen kann aus BGE 104 Ib 57 für das vorliegende
Problem kein Argument gewonnen werden. In jenem Fall ist entschieden
worden, dass ein Fahrer, der innerhalb der Rückfallfrist das zweite
Mal angetrunken einen Personenwagen führt, auch hinsichtlich seines
Lastwagen-Führerausweises als rückfälliger angetrunkener Fahrzeuglenker
zu gelten hat und auch diesen Ausweis für die minimale Entzugsfrist von
einem Jahr (Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG) abgeben muss. Ob innerhalb dieser
Jahresfrist eine bedingte vorzeitige Rückgabe des Lastwagen- oder des
Personenwagen-Führerausweises nach Art. 17 Abs. 3 SVG in Frage käme, stand
nicht zur Diskussion. Aus dem erwähnten Urteil kann auch nicht gefolgert
werden, die in Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG vorgesehene Minimaldauer, die auch
beim differenzierten Entzug nach Art. 34 Abs. 2 VZV zu beachten ist, sei
streng zu handhaben, d.h. könne nicht durch Art. 17 Abs. 3 SVG entschärft
werden. Im Unterschied zu Art. 34 Abs. 2 VZV, der ausdrücklich auf die
gesetzliche Mindestdauer verweist ("unter Einhaltung der gesetzlichen
Minimaldauer für alle Kategorien"), bestimmt nämlich Art. 17 Abs. 3
SVG nur, dass ein für längere Zeit entzogener Ausweis "nach Ablauf von
mindestens sechs Monaten" unter bestimmten Voraussetzungen zurückgegeben
werden kann.

    Die Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 3 SVG spricht, wie das
Bundesamt für Polizeiwesen in seiner Vernehmlassung darlegt, recht
deutlich dafür, dass die bedingte Wiedererteilung nach sechs Monaten
grundsätzlich auch bei den Entzügen möglich ist, für die das Gesetz
eine Minimaldauer von einem Jahr vorsieht. Die Bestimmung ist von der
ständerätlichen Kommission angeregt worden; von Anfang an dachte man an
eine bedingte Wiedererteilung gegen "Abgabe einer Abstinenzverpflichtung"
(Sten.Bull. 1958 S. 94). Dass die bedingte Wiedererteilung frühestens
nach sechs Monaten Entzug (und nicht wie zuerst vorgesehen - nach einem
Jahr oder nach Ablauf von einem Drittel der Entzugsdauer) erfolgen kann,
hat die nationalrätliche Kommission im Frühjahr 1958 vorgeschlagen
(Sten.Bull. 1958 N 465 f.); ein Kommissionsmitglied hatte erklärt,
es seien mit dieser Massnahme schon bei einer Entzugsdauer von weniger
als einem Jahr gute Erfahrungen gemacht worden. Der Gesetzgeber dachte
also mit Sicherheit auch an Warnungsentzüge und hat die "Wartefrist"
vor der bedingten Wiedererteilung für Fälle aller Art auf sechs Monate
gesenkt. Das EJPD hat - wie das Bundesamt für Polizeiwesen ausführt -
in seiner Rekurspraxis seit Inkrafttreten des Gesetzes die Auffassung
vertreten, das Gesetz habe die vorzeitige bedingte Wiedererteilung auch für
Entzüge mit einer gesetzlichen Mindestdauer von einem Jahr vorsehen wollen.

    Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die bedingte
Entlassung bei Freiheitsstrafen können nicht unbesehen auf den
Führerausweisentzug angewendet werden, handelt es sich dabei doch um
eine Verwaltungsmassnahme. Allerdings liegt auch dem Art. 17 Abs. 3 SVG
der Gedanke der Besserung (vgl. Art. 37 Abs. 1 StGB) zugrunde. Art. 17
Abs. 3 SVG erlaubt, dass die Sanktion unter bestimmten Voraussetzungen
abgebrochen werden kann, wenn genügend Anlass zur Annahme besteht, sie habe
ihren Zweck erreicht. Der Umstand, dass der Abbruch nur bedingt erfolgt
- werden die erteilten Auflagen missachtet oder täuscht der Führer in
anderer Weise das in ihn gesetzte Vertrauen, so ist der Ausweis wieder zu
entziehen - bildet für den Betroffenen überdies ein starkes Bewährungsmotiv
für die Zukunft. So betrachtet kann die bedingte Suspendierung einer
Massnahme nicht weniger zweckmässig sein als der ungebrochene Vollzug. In
dieser Optik scheint die Befürchtung unbegründet, die Wirksamkeit der
Massnahmen für rückfällige angetrunkene Motorfahrzeugführer werde durch
die Möglichkeit der vorzeitigen Rückgabe beeinträchtigt und die zwingend
vorgeschriebene Minimalfrist von einem Jahr illusorisch gemacht.

Erwägung 2

    2.- Art. 17 Abs. 3 SVG gestattet die vorzeitige bedingte
Wiedererteilung des Führerausweises dann, "wenn angenommen werden darf,
die Massnahme habe ihren Zweck erreicht". Mit Recht betonen die Justiz-
und Polizeidirektion des Kantons Zug und das Bundesamt für Polizeiwesen,
die vorzeitige Rückgabe des Ausweises sei an strenge Voraussetzungen zu
knüpfen. Es darf nicht leichthin angenommen werden, der Zweck der Massnahme
sei vor Ablauf der verfügten Entzugsdauer erreicht worden. Die berufliche
Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug führen zu dürfen und der allgemein gute
Leumund des Fahrzeugführers allein rechtfertigen eine solche Vermutung
noch nicht.

    Wurde der Führerausweisentzug wegen Fahrens in angetrunkenem
Zustand im Rückfall verfügt, so kann der betroffene Fahrzeugführer
seine Einsichtigkeit und den ernsten Willen, einer weiteren Wiederholung
vorzubeugen, wohl kaum anders als durch den Schritt beweisen, an den schon
der Gesetzgeber dachte, nämlich durch ein Abstinenzversprechen, das er
nachweislich während einiger Zeit eingehalten hat. Ein erst anlässlich
des Gesuchs um vorzeitige Rückgabe des Ausweises abgegebenes Versprechen
kann nicht genügen, weil fast jeder um des momentanen Zwecks willen eine
solche Verpflichtung auf sich nehmen würde. Ein erst in diesem Moment
abgegebenes Abstinenzversprechen bietet auch keinerlei Gewähr dafür,
dass sich der Lenker in Zukunft entsprechend den Verkehrsvorschriften
verhalten wird. Es muss daher verlangt werden, dass sich der Lenker einige
Zeit vor der Einreichung des Gesuchs um vorzeitige Wiedererteilung des
Führerausweises zu Abstinenz verpflichtet hat. Ob diese Verpflichtung
sofort beim Entzug des Ausweises, bei Eintritt der Rechtskraft der
Verfügung oder - bei längerer Entzugsdauer - erst in einem späteren
Zeitpunkt eingegangen wurde, spielt dabei keine Rolle; wesentlich ist,
dass das Abstinenzversprechen unter Kontrolle des sozialmedizinischen
Dienstes, des Blauen Kreuzes oder einer ähnlichen Organisation während
eines bestimmten Zeitraumes - angemessen scheint eine Dauer von fünf
bis sechs Monaten - eingehalten worden ist. Unter diesen Umständen darf
vermutet werden, die Massnahme habe ihren Zweck bereits erreicht und die
vorzeitige Rückgabe des Ausweises sei daher gerechtfertigt. Ein Anspruch
auf vorzeitige Wiedererteilung des Führerausweises besteht aber auch
dann nicht. Zweifelt die Behörde daran, dass aufgrund dieser Vorleistung
eine günstige Prognose für das künftige Verhalten des Gesuchstellers
im Strassenverkehr zu stellen ist, so wird sie die vorzeitige Rückgabe
verweigern. Nach Art. 17 Abs. 3 SVG kann und soll sie die vorzeitige
Rückgabe mit der Auflage verbinden, dass die Abstinenz während eines
beistimmten Zeitraumes weiterhin unter Kontrolle einzuhalten sei. Wird
diese Auflage missachtet, so muss der Führerausweis für so lange wieder
entzogen werden, bis die gesamte verfügte Entzugsdauer erreicht ist.