Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IB 243



107 Ib 243

44. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
26. Mai 1981 i.S. Hans Merz gegen Regierungsrat des Kantons Luzern
(verwaltungsgerichtliche Beschwerde) Regeste

    Eidg. Fleischschauverordnung (EFV) vom 11. Oktober 1957.

    1. Regelung des Verkaufs von "Hamburgern" an Grill-Ständen durch die
EFV (Erw. 3).

    2. Soweit Art. 75 Abs. 5 EFV den Handverkauf von Fleischwaren zum
sofortigen Verzehr auf das Innere von Bahnhofanlagen und auf besondere
Anlässe im Freien beschränkt, ist er nicht gesetz- und verfassungsmässig
(Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Hans Merz betreibt beim Eingang zum Einkaufszentrum "Pilatusmarkt"
in Kriens einen mobilen, als Grill-Stand eingerichteten Verkaufsstand. Das
Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Luzern erteilte ihm gestützt auf
das kantonale Wirtschaftsgesetz eine "provisorische Wirtschaftsbewilligung
für eine beschränkte alkoholfreie Wirtschaft (Kioskbetrieb)". Es erlaubte
ihm die "Abgabe von kalten, heissen oder grillierten Würsten (inkl. Hot
dogs), Chäschüechli, Pommes-frites, Brot, Mutschli und alkoholfreien
Getränken in Gebinden (ohne Trinkgefässe)", machte aber ausdrücklich
darauf aufmerksam, dass nach der Eidg. Fleischschauverordnung der Verkauf
von Hamburgern unzulässig sei.

    Hans Merz verlangte mit Verwaltungsbeschwerde beim Regierungsrat
des Kantons Luzern, an seinem Stand neben Bratwürsten auch Hamburger
verkaufen zu dürfen. Der Regierungsrat wies die Beschwerde ab und
bestätigte das auf die Eidg. Fleischschauverordnung gestützte Verbot
des Verkaufs von Hamburgern.

    Hans Merz erhob gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons
Luzern verwaltungsgerichtliche Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- (Feststellung, dass Hamburger ebenso wie Bratwürste
leichtverderbliche Fleischwaren im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Eidg.
Fleischschauverordnung darstellen.)

Erwägung 3

    3.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat dem Beschwerdeführer
den Verkauf von Hamburgern gestützt auf Art. 90 der Eidg.
Fleischschauverordnung vom 11. Oktober 1957 (EFV, SR 817.191)
untersagt. Im folgenden ist vorerst zu prüfen, ob und in welchem
Rahmen die Fleischschauverordnung den Verkauf von Hamburgern an dem vom
Beschwerdeführer betriebenen Grill-Stand zulässt.

    a) Nach Art. 75 Abs. 1 EFV ist der Verkauf von Fleisch und Fleischwaren
nur innerhalb von solchen Räumen erlaubt, die den Anforderungen der
Verordnung entsprechen. Die Verordnung zählt im einzelnen die Arten von
Verkaufsräumen auf und bezeichnet das zulässige Fleischwarenangebot: Der
Verkauf ist zulässig in Metzgereien (Art. 80 EFV), in Pferdemetzgereien
(Art. 83 EFV), in Comestibles- und Traiteurgeschäften (Art. 84 EFV),
in Lebensmittelgeschäften (Art. 88 EFV) und in Kiosken (Art. 90
EFV). Sodann ist der Verkauf vorgesehen an Automaten (Art. 75 Abs. 3
EFV), an bestehenden Verkaufsständen im Freien an den üblichen Markttagen
(Art. 75 Abs. 4 EFV) und ab Fahrzeugen (Art. 75 Abs. 6 EFV).

    Für den Verkauf von Hamburgern erfüllt der Grill-Stand des
Beschwerdeführers keine dieser abschliessenden Bedingungen. Er stellt
eindeutig keine Metzgerei, kein Comestibles- oder Traiteurgeschäft und
auch kein Lebensmittelgeschäft dar. Würde er einem Kiosk gleichgestellt,
wie dies der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid tat, so könnten
nicht nur die als leichtverderblich zu qualifizierenden Hamburger
nicht verkauft werden, sondern auch Bratwürste nicht, weil Art. 90
Abs. 2 EFV den Verkauf von leichtverderblichen Fleischwaren an Kiosken
nicht zulässt. Der Grill-Stand stellt auch keinen Automaten im Sinne der
Verordnung dar. Den Grill-Stand als Fahrzeug zu bezeichnen, kann ebenfalls
nicht zur Bewilligung führen, weil das Warenangebot nach Art. 75 Abs. 6
EFV den Verkauf von leichtverderblichen Fleischwaren ausschliesst. Der
Grill-Stand ist schliesslich auch nicht als bestehender Verkaufsstand im
Sinne von Art. 75 Abs. 4 EFV zu betrachten; zudem ist der Verkauf nicht
nur an den üblichen Markttagen, sondern immer während der Öffnungszeit des
"Pilatusmarktes" vorgesehen.

    b) Neben dem erwähnten traditionellen Verkauf von Fleisch und
Fleischwaren, die zu Hause zubereitet und zu sich genommen werden, enthält
die Fleischschauverordnung auch Bestimmungen über den Handverkauf von
Fleischwaren zum sofortigen Verzehr. Dieser ist nach Art. 75 Abs. 5 EFV
im Innern von Bahnhofanlagen und bei besonderen Anlässen gestattet. Im
übrigen behält die Verordnung die kantonalen Wirtschaftsgesetze vor.

    Diese Regelung des Handverkaufs zum sofortigen Verzehr erscheint in
dem Sinne abschliessend, als nur die beiden vorgesehenen Formen zugelassen
sein sollen; Reisende in Bahnhöfen und Besucher von besondern Anlässen
allein sollen sich auf diese Weise verpflegen können. Andere Formen des
Handverkaufs von Fleischwaren zum sofortigen Verzehr werden demnach von
der Fleischschauverordnung ausgeschlossen. Vorbehalten bleiben aber
die traditionellen Wirtschaften und Restaurants, die der kantonalen
Wirtschaftsgesetzgebung unterliegen.

    Der Grill-Stand des Beschwerdeführers ist für den Verkauf von
Fleischwaren zum sofortigen Verzehr eingerichtet. Da er sich nicht im
Innern einer Bahnhofanlage befindet und nicht nur bei besondern Anlässen
geöffnet ist, kann er unter dem Titel von Art. 75 Abs. 5 EFV nicht
zugelassen werden. Es liesse sich fragen, ob der Grill-Stand nicht zu
den traditionellen Wirtschaften zu zählen ist, damit der vorbehaltenen
kantonalen Wirtschaftsgesetzgebung unterliegt und somit vom Verbot von
Art. 75 Abs. 5 EFV gar nicht erfasst wird; doch kann diese Frage offen
gelassen werden, wenn sich die Regelung der Fleischschauverordnung als
gesetz- und verfassungswidrig erweisen sollte (unten Erw. 4).

    c) Diese Überlegungen zeigen, dass die Fleischschauverordnung
den Verkauf von Hamburgern am Grill-Stand des Beschwerdeführers nicht
zulässt. Es stellt sich indessen im folgenden die Frage der Gesetz-
und Verfassungsmässigkeit der in der Fleischschauverordnung enthaltenen
Regelung.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer bezeichnet das ihm auferlegte Verbot des
Verkaufs von Hamburgern als unverhältnismässig, ohne aber die Gesetz-
und Verfassungsmässigkeit der Fleischschauverordnung selber in Frage
zu stellen. Die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit der Verordnung ist
indessen von Amtes wegen zu beurteilen (BGE 105 Ib 369 E. 11b).

    Das Bundesgericht kann Verordnungen des Bundesrates auf ihre
Rechtmässigkeit hin überprüfen (BGE 106 Ib 186, 105 Ib 369 E. 11b,
104 Ib 420). Bei Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation
stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz
eingeräumten Befugnisse halten. Soweit das Gesetz den Bundesrat ermächtigt,
von der Verfassung abzuweichen, schliesst die Bindung an die Bundesgesetze
die Prüfung der Verfassungsmässigkeit der Verordnungen aus; soweit der
Bundesrat nicht befugt ist, von der Verfassung abzuweichen, befindet das
Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der Verordnung (BGE 106 Ib 186,
105 Ib 369 E. 11b, 104 Ib 420 E. c, 423 E. 5a, mit Hinweisen).

    Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter
Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt,
ist dieser Spielraum für das Bundesgericht nach Art. 113 Abs. 3/Art. 114bis
Abs. 3 BV verbindlich. Das Bundesgericht darf in diesem Fall bei der
Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle
desjenigen des Bundesrates setzen. Das dem Bundesrat eingeräumte Ermessen
verbietet dem Bundesgericht insbesondere, über die Zweckmässigkeit der
bundesrätlichen Verordnung zu befinden. Die Prüfung des Bundesgerichts
beschränkt sich dann vielmehr auf die Frage, ob die Verordnung den Rahmen
der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt
oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist. Dabei ist zu
untersuchen, ob mit der bundesrätlichen Verordnung der im Gesetz genannte
Zweck erfüllt werden kann und ob der Bundesrat sein Ermessen nach dem
Grundsatz der Verhältnismässigkeit ausgeübt hat. Dies kann bejaht werden,
wenn die in der Verordnung vorgesehenen Mittel in einem vernünftigen
Verhältnis zu dem im Gesetz vorgesehenen Zweck stehen (BGE 105 Ib 369
E. 11b, 104 Ib 425 E. b). Eine strengere Kontrolle über die Einhaltung des
Verhältnismässigkeitsgrundsatzes übt das Gericht indessen bei Eingriffen
in die Rechtsstellung der Bürger aus, bei denen den Behörden kein oder
nur ein geringer Ermessensspielraum zusteht (BGE 104 Ib 427).

    a) Die Fleischschauverordnung stützt sich auf das Bundesgesetz
betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom
8. Dezember 1905 (Lebensmittelgesetz; SR 817.0). Das Lebensmittelgesetz
umschreibt in Art. 1 den Geltungsbereich und bestimmt, dass der Verkehr mit
Lebensmitteln und der Verkehr mit Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen,
soweit diese das Leben oder die Gesundheit gefährden können, der
Beaufsichtigung unterliegen. Im weitern ordnet es die kantonale und
die eidgenössische Aufsicht (Art. 3 ff., Art. 25 ff.) und enthält
die Strafbestimmungen (Art. 36 ff.). In den Schlussbestimmungen wird
dem Bundesrat mit Art. 54 Abs. 1 die generelle Kompetenz eingeräumt,
zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschung die nötigen
Vorschriften zu erlassen. Das Lebensmittelgesetz schreibt somit nicht vor,
in welcher Weise der Verkauf von Fleisch und Fleischwaren zu ordnen ist,
sondern überlässt die Regelung unter Hinweis auf den Schutzzweck ganz dem
Bundesrat. Dem Bundesrat wird damit ein sehr weiter Spielraum des Ermessens
eingeräumt, indessen ohne dass ihn das Lebensmittelgesetz ermächtigen
würde, eine von der Bundesverfassung abweichende Regelung zu treffen.

    b) Nach Art. 54 Abs. 1 Lebensmittelgesetz hat der Bundesrat die
zum Schutze der Gesundheit notwendigen Vorschriften zu erlassen. Die
von ihm in der Fleischschauverordnung getroffene Regelung ist an dieser
Zielsetzung zu messen und auf ihre Verhältnismässigkeit hin zu prüfen:
Die Fleischschauverordnung sieht in Art. 75 Abs. 5 EFV den Handverkauf von
Fleischwaren zum sofortigen Verzehr lediglich im Innern von Bahnhofanlagen
und bei besonderen Anlässen vor, schliesst ihn aber im übrigen aus (oben
Erw. 3b). Diese einschränkende Regelung erweist sich aus folgenden Gründen
für den Schutz der Gesundheit als zu eng und unverhältnismässig: Zum einen
bieten das Innere von Bahnhofanlagen und besondere Anlässe keine derart
hohen hygienischen Garantien, als dass der Handverkauf zum sofortigen
Verzehr nicht auch bei anderer Gelegenheit zugelassen werden könnte. Zum
andern erscheint das Verbot, bei anderer Gelegenheit Fleischwaren
zum sofortigen Verzehr zu verkaufen, zum Schutze der Gesundheit nicht
erforderlich: Mit geeigneten hygienischen Massnahmen und bei Verwendung
der heute bestehenden technischen Einrichtungen kann die Gesundheit
des Konsumenten auch auf andere Weise wirksam geschützt werden. Für
die Erreichung des gesetzlichen Zieles genügt anstelle der in der
Verordnung enthaltenen Verbotsregelung die Möglichkeit von Bewilligungen
mit entsprechenden Auflagen und Bedingungen. Bei solchen Auflagen und
Bedingungen ist etwa zu denken an die Beachtung von Reinlichkeit, Sorgfalt
und Ordnung (vgl. Art. 61 Abs. 1 EFV) oder an den Schutz der Fleischwaren
vor schädlichen Witterungseinflüssen, Staub, Ungeziefer, Verunreinigungen
und andern nachteiligen Einwirkungen (vgl. Art. 75 Abs. 4 EFV). Je nach
dem im Einzelfall vorliegenden Warenangebot und je nach den konkreten
Verhältnissen können zum Schutze der Gesundheit Kühleinrichtungen für die
Aufbewahrung von Fleischwaren (vgl. Art. 5 Abs. 3 EFV), Wasseranschlüsse,
bauliche Massnahmen oder andere Einrichtungen notwendig sein. Kann die
Gesundheit auf diese Weise mit geeigneten - ihrerseits verhältnismässigen -
Auflagen und Bedingungen ebenso gut garantiert werden, so erscheint die
in der Fleischschauverordnung enthaltene Beschränkung des Handverkaufs
von Fleischwaren zum sofortigen Verzehr für die Erreichung des
gesetzlichen Zieles nicht notwendig und sprengt damit den Rahmen,
der dem Verordnungsgeber durch das Lebensmittelgesetz eingeräumt
ist. Da der polizeiliche Eingriff in das Freiheitsrecht der Handels- und
Gewerbefreiheit weiter reicht, als dies zum Schutze des Polizeigutes der
Gesundheit notwendig ist, steht die Regelung der Fleischschauverordnung
nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zum gesetzlichen Zweck. Damit
erweist sie sich gesetz- und verfassungswidrig. Sie kann daher im
vorliegenden Fall nicht angewendet werden, und das auf sie gestützte
Verbot, am Grill-Stand des Beschwerdeführers Hamburger zu verkaufen,
ist unter Gutheissung der Beschwerde im Sinne der Erwägungen aufzuheben.

    c) Die Regelung des Handverkaufs von Fleischwaren zum sofortigen
Verzehr nach Art. 75 Abs. 5 EFV behält besondere kantonale Vorschriften
und die kantonalen Wirtschaftsgesetze vor. Dieser Vorbehalt gilt nach
den Ausführungen in Erwägung 4b nicht nur für den Verkauf im Innern von
Bahnhofanlagen und bei besondern Anlässen, sondern auch für andere, nunmehr
nicht mehr generell verbotene Formen des Handverkaufs von Fleischwaren
zum sofortigen Verzehr. Die Kantone sind demnach befugt, zum Schutze der
Gesundheit Vorschriften zu erlassen oder im Einzelfall die notwendigen
Auflagen und Bedingungen anzuordnen. Diese haben dem gesetzlichen Zweck
des Schutzes der Gesundheit zu dienen und müssen überdies das Prinzip
der Verhältnismässigkeit beachten.

    Bei dieser Sachlage ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Sache zur Neubeurteilung an den Regierungsrat zurückzuweisen. Es wird
abzuklären sein, ob der Grill-Stand des Beschwerdeführers in bezug auf
den Verkauf von Hamburgern dem vorbehaltenen kantonalen Recht entspricht
und ob er den notwendigen hygienischen Anforderungen genügt; allenfalls
sind die erforderlichen Auflagen und Bedingungen anzuordnen.