Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IB 237



107 Ib 237

43. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Dezember
1980 i.S. Gemeinde Vaz/Obervaz gegen Betriebsgesellschaft
Sporthotel La Riva und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 24 RPG; Ausnahmebewilligung.

    1. Befreiung des Bundesgerichts von der Bindung an die
Sachverhaltsfeststellung eines kantonalen Gerichts (Art. 105 Abs. 2 OG;
E. 2a).

    2. Verhältnis zwischen Art. 24 Abs. 1 und Abs. 2 RPG (E. 2b). Begriff
der teilweisen Änderung im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG (E. 2b-aa).

Sachverhalt

    A.- Das "Sporthotel La Riva Lenzerheide" ist ein sogenanntes
Appartementhotel mit 79 Wohnungen und einem Restaurant mit rund 130
Plätzen. Es umfasst drei gleichartige Gebäude, die auf dem Grundstück GB
Nr. 1113 am nordwestlichen Ausgang der Ortschaft Lenzerheide stehen. Die
Parzelle liegt gemäss Ersatzzonenplan der Regierung des Kantons Graubünden
vom 30. Juni 1980 im übrigen Gebiet der Gemeinde Vaz/Obervaz.

    Die Betriebsgesellschaft Sporthotel La Riva beabsichtigt, die
bestehende, gegen den Heidsee gerichtete offene Terrasse zu beseitigen
und an deren Stelle einen eingeschossigen, unterkellerten Anbau zu
errichten. Im Erdgeschoss ist die Erweiterung des Restaurants um 50 Plätze
mit Grill und Buffet vorgesehen; im Keller soll unter anderem ein Skiraum
eingerichtet werden.

    Der Gemeinderat Vaz/Obervaz wies das Baugesuch der Betriebsgesellschaft
mit der Begründung ab, dass ausserhalb der Bauzonen nur landwirtschaftliche
und standortgebundene Bauten bewilligt werden könnten, was auf die
Erweiterung eines Restaurants im Talgebiet nicht zutreffe. Zudem sei
fraglich, ob die Ausnützungsziffer eingehalten werde und ob genügend
Parkplätze bereitgestellt würden. Dagegen legte die Betriebsgesellschaft
Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden ein. Dieses
erachtete das Bauvorhaben als geringfügige und nach kantonalem
Ergänzungsrecht zu Art. 24 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung
vom 22. Juni 1979 (RPG) zulässige Erweiterung einer zonenfremden Baute
ausserhalb der Bauzone. Es hiess den Rekurs gut und wies die Sache zur
Neubeurteilung an den Gemeinderat zurück. In den Erwägungen hielt es
unter anderem fest, dass die Vorschriften über sie Ausnützung im übrigen
Gemeindegebiet nicht gälten und deshalb nicht zu beachten seien; dagegen
werde die Gemeinde zu prüfen haben, ob die Erteilung der Bewilligung eine
Verpflichtung zur Schaffung von Parkplätzen nach sich ziehe.

    Die Gemeinde führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht. Sie wirft dem Verwaltungsgericht vor, Art. 4 BV, Art. 24
RPG sowie das kantonale Ausführungsrecht dazu verletzt zu haben, und
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das "Sporthotel La Riva Lenzerheide" befindet sich ausserhalb
der Bauzone und stellt somit eine zonenfremde Baute dar. Die vorgesehene
Erweiterung des Restaurants bedarf daher einer Ausnahmebewilligung im
Sinne von Art. 24 RPG. Damit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht gemäss Art. 34 Abs. 1 RPG zulässig. Die
Beschwerdelegitimation der Gemeinde ergibt sich aus Art. 34 Abs. 2 RPG. Da
auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG setzt für die Erteilung einer
Baubewilligung voraus, dass die Bauten und Anlagen dem Zweck der
Nutzungszone entsprechen. Abweichend davon können Errichtung und
Zweckänderung von Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen nach
Art. 24 Abs. 1 RPG ausnahmsweise bewilligt werden, wenn deren Zweck
einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert (lit. a) und keine
überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b). Gemäss Art. 24 Abs. 2
RPG kann das kantonale Recht gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern,
teilweise zu ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen
Anliegen der Raumplanung vereinbar ist.

    Das Verwaltungsgericht erachtet das Bauvorhaben der
Beschwerdegegnerin als geringfügige Erweiterung, die gestützt auf
das kantonale Ergänzungsrecht zu Art. 24 Abs. 2 RPG bewilligt werden
könne. Demgegenüber hält die Beschwerdeführerin den projektierten Anbau
für eine wesentliche Erweiterung. Als solche sei sie von Art. 24 Abs. 2
RPG nicht mehr gedeckt. Damit stellt sich die Frage, ob das Bauvorhaben
der Beschwerdegegnerin als Baute im Sinne von Art. 24 Abs. 1 oder Abs. 2
RPG zu gelten habe.

    a) Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG bindet die Feststellung des Sachverhalts
das Bundesgericht, wenn Rekurskommissionen oder kantonale Gerichte
entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
festgestellt haben.

    Das Verwaltungsgericht hat seinem Entscheid die Feststellung zugrunde
gelegt, dass die rund 70 m2 grosse Terrasse gegen den See ummauert und
überdacht werden soll. Von einer Erweiterung der Restaurationsfläche
könne nur bedingt die Rede sein; entscheidend falle ins Gewicht, dass die
Terrassenfläche bereits zuvor bei warmen und trockenem Wetter den Gästen
offen gestanden habe und damit als Restaurationsfläche zu qualifizieren
sei. Es handle sich daher nur um eine Gebäudeerweiterung in der Vertikalen,
um eine sogenannte Aufbaute, mit der lediglich eine zu jeder Jahreszeit
benützbare Restaurationsfläche geschaffen werden solle.

    Diese Sachverhaltsfeststellung ist insofern unrichtig, als die
Terrasse nicht bloss ummauert und überdacht werden soll. Nach den
Plänen ist vielmehr vorgesehen, die Terrasse zu beseitigen und durch
einen Anbau mit Erd- und Kellergeschoss zu ersetzen. Aus dem Anhang zum
Baugesuch geht im weitern hervor, dass die vorhandenen Sitzplätze auf
der Terrasse aus klimatischen Gründen praktisch nutzlos sind. Daher
kann die Terrasse jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang nicht als
Restaurationsfläche bezeichnet werden. Das Verwaltungsgericht hat
den Sachverhalt sodann unvollständig festgestellt. So hat es nicht
berücksichtigt, dass unter dem Anbauteil des Restaurants ein Keller
gleicher Nutzfläche gebaut und darin ein Skiraum eingerichtet werden
soll. Unbeachtet blieb auch, dass die Ostfassade durch den Anbau, die
darin integrierte Neugestaltung des Hoteleingangs und das über 10 m hohe
Anbaukamin ein neues Aussehen erhält. Ebensowenig wurde der Beweggrund
für das Bauvorhaben erfasst; dem Anhang zum Baugesuch ist zu entnehmen,
dass das bestehende Restaurant ursprünglich nur auf die Verpflegung der
eigenen Hotelgäste ausgerichtet war. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde
später eine öffentliche Restaurationsbewilligung erlangt. In der Folge
stieg der Umsatz, was die Beschwerdegegnerin veranlasste, die Platzzahl
zu erhöhen und die Küchenanlage zu erweitern.

    Das Verwaltungsgericht hat demnach die tatsächlichen Verhältnisse
offensichtlich mangelhaft festgestellt. Das führt dazu, dass das
Bundesgericht gemäss Art. 105 Abs. 2 OG nicht an den im angefochtenen
Entscheid ermittelten Sachverhalt gebunden ist.

    b) Zu entscheiden ist, ob das Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 1 oder
Abs. 2 RPG fällt. Abs. 1 stellt den Grundsatz einer abschliessenden
bundesrechtlichen Regelung auf, während Abs. 2 in Form eines Vorbehalts
einzeln aufzählt, welche bauliche Massnahmen das kantonale Recht gestatten
kann, sofern sie mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar
sind. Es betrifft dies die Erneuerung, die teilweise Änderung und den
Wiederaufbau. Fällt ein Bauvorhaben nicht unter einen dieser Begriffe,
so ist es nach Art. 24 Abs. 1 RPG zu beurteilen.

    Im vorliegenden Fall scheidet der Wiederaufbau begrifflich von
vornherein aus. Auch liegt keine blosse Erneuerung vor, da nicht nur die
bestehende Baute erhalten, sondern ihr Bauvolumen vergrössert werden soll
(HEINZ AEMISEGGER, Leitfaden zum Raumplanungsgesetz, VLP-Schriftenfolge
Nr. 25, Bern 1980, S. 95; MARTIN PFISTERER, Die Anwendung neuer
Bauvorschriften auf bestehende Bauten und Anlagen, Diss. Bern 1979,
S. 199, 207; ERICH ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar,
Aarau 1977, § 150 N. 2 b, S. 416/417; EJPD/BRP, Erläuterungen zum
Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 22 N. 14 b, S. 275).
Fragen kann es sich somit nur, ob das Bauvorhaben unter den Begriff der
teilweisen Änderung falle.

    aa) Dem Gesetz selbst lassen sich keine Hinweise entnehmen. Auch die
Botschaft des Bundesrates gibt in dieser Hinsicht keinen Anhaltspunkt. Sie
beschränkt sich im wesentlichen auf die Feststellung, das kantonale
Recht umschreibe, was unter teilweiser Änderung zu verstehen sei (BBl
1978 I 1028). Da es sich indessen um einen bundesrechtlichen Begriff
handelt, kann das kantonale Recht nicht den Begriff selbst festlegen;
es kann nur bestimmen, ob und allenfalls inwieweit bauliche Massnahmen
innerhalb des bundesrechtlich begrenzten Rahmens im Sinne von Art. 24
Abs. 2 RPG erleichtert bewilligt werden dürfen. In den parlamentarischen
Beratungen waren wohl die Voraussetzungen, unter denen das kantonale Recht
die drei Kategorien baulicher Massnahmen gestatten darf, nicht aber die
Massnahmen selbst umstritten (vgl. Amtl. Bull. S 1978 S. 469/470; 1979
S. 188, 272/273; N 1979 S. 335, 669/670). Daher fehlen entscheidende
Ausführungen zum Inhalt des Begriffs der teilweisen Änderung. Immerhin
scheinen jedenfalls geringfügige Erweiterungen als zulässig betrachtet
worden zu sein (vgl. Amtl. Bull. S 1979 S. 188). Die Literatur vermittelt
sodann folgendes Bild: Die "Änderung" wird vorwiegend als Begriff
bezeichnet, der die Zweckänderung, den Umbau und auch die Erweiterung
umfasse (HEINZ AEMISEGGER, aaO, S. 96; OTTO PFAMMATTER, Zulässige
Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen, Bern und Frankfurt 1976,
S. 234; ERICH ZIMMERLIN, aaO, § 150 N. 2b, S. 416/417; EJPD/BRP, aaO,
Art. 22 N. 10b, S. 274). Eine teilweise Änderung darf somit gemessen
an der bestehenden Baute nur von untergeordneter Bedeutung sein (HEINZ
AEMISEGGER, aaO, S. 96/97; PETER LUDWIG, Die Wirkung der Zuweisung zur
Landwirtschaftszone, in: Blätter für Agrarrecht, 1980 S. 95; EJPD/BRP,
aaO, Art. 24 N. 35 ff. S. 303 ff., insbesondere N. 37). Die Änderung hat
die Identität der Baute in den wesentlichen Zügen zu wahren (EJPD/BRP,
aaO, Art. 24 N. 35 lit. a, S. 303). Zusammenfassend ist die weitgehend
übereinstimmende Auffassung festzustellen, wonach eine geringfügige
Erweiterung vom Begriff der teilweisen Änderung gedeckt ist. Nicht
vorgeschlagen wird eine quantitative Grenze, wie sie Art. 25 der
Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 (Fassung vom 6.
November 1974) enthielt, wonach die Vergrösserung oder Zweckänderung einer
zonenfremden Baute ausserhalb der Bauzone bis zu einem Viertel noch ohne
Nachweis der Standortgebundenheit zulässig war. Eine solche Begrenzung
wird im Gegenteil als zu starr abgelehnt (PETER LUDWIG, Constructions
hors des zones à bâtir, in: Baurecht, 1980 S. 8). Für das Bundesgericht
besteht kein Anlass, von den in der Literatur entwickelten Grundsätzen
abzuweichen. Dem Verwaltungsgericht ist daher insoweit beizupflichten,
als es bloss eine geringfügige Erweiterung als teilweise Änderung im
Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG betrachtet hat.

    bb) Offen ist somit nur noch die Frage, ob die beabsichtigte
Vergrösserung des Restaurants noch als geringfügige Erweiterung bezeichnet
werden könne. Das Verwaltungsgericht hat dies bejaht. Auf Grund der
abweichenden Feststellung des Sachverhalts gelangt das Bundesgericht
indessen zum gegenteiligen Ergebnis. Auszugehen ist von der eigenen
Darstellung der Beschwerdegegnerin gemäss Anhang zum Baugesuch, wonach die
Sitzplätze auf der Terrasse aus klimatischen Gründen praktisch nutzlos
sind. Die Terrasse lässt sich daher nicht als bereits vorhandene,
vollwertige Restaurationsfläche betrachten. Demzufolge geht es nicht
nur darum, aus einem offenen einen geschlossenen Restaurationsteil zu
machen; vielmehr steht die Vergrösserung eines Restaurants um rund einen
Drittel in Frage. Andernfalls müsste die Küche kaum um mehr als einen
Drittel erweitert werden. Die Beschwerdegegnerin strebt denn auch aus
betriebswirtschaftlichen Gründen eine Vergrösserung des Restaurants
offen an. Hinzu kommt die Erweiterung der Kellerräumlichkeiten, in
denen neu ein Skiraum untergebracht werden soll. Schliesslich sieht das
Projekt eine erhebliche Neugestaltung der Ostfassade vor. Von einer bloss
geringfügigen Erweiterung kann somit keine Rede sein. Das Bauvorhaben
fällt demnach nicht unter Art. 24 Abs. 2 RPG; es ist vielmehr wie ein
Neubau nach Art. 24 Abs. 1 RPG zu beurteilen.

Erwägung 3

    3.- Wie erwähnt, setzt Art. 24 Abs. 1 RPG für eine Ausnahmebewilligung
voraus, dass der Zweck der Bauten und Anlagen einen Standort ausserhalb
der Bauzonen erfordert (lit. a) und keine überwiegenden Interessen
entgegenstehen (lit. b).

    Weder das "Sporthotel La Riva Lenzerheide" noch das darin
untergebrachte Restaurant sind auf einen Standort ausserhalb der Bauzone
angewiesen. Das Vorhaben kann daher mangels Standortbedingtheit nicht
bewilligt werden. Da beide Voraussetzungen von Art. 24 Abs. 1 RPG kumulativ
erfüllt sein müssen, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob dem Vorhaben
auch überwiegende Interessen entgegenstehen. Dessen Unzulässigkeit ergibt
sich schon aus Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG.

    Die Beschwerde erweist sich somit als begründet; sie ist gutzuheissen,
und das angefochtene Urteil ist aufzuheben.

Erwägung 4

    4.- Mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids lebt der
Gemeinderatsbeschluss vom 19. Januar 1981 wieder auf, womit das Baugesuch
abgewiesen wird. Eine besondere Anordnung des Bundesgerichts erübrigt
sich deshalb. Dagegen wird das Verwaltungsgericht für das Rekursverfahren
einen neuen Kostenentscheid zu fällen haben.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 28. April 1981 wird
aufgehoben.