Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 97



107 Ia 97

18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
8. Juli 1981 i.S. Josef Knobel-Bruhin gegen Bezirksgericht March und
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Formelle Rechtsverweigerung; res iudicata.

    Ein Gericht, das mit der Begründung, es handle sich um eine res
iudicata, auf eine Beschwerde in einer andern Streitsache nicht eintritt,
begeht eine formelle Rechtsverweigerung.

    Beim Entscheid über den Enteignungsbeschluss für den Landerwerb
für eine Gewässerverbauung nach dem Wasserrechtsgesetz und dem
Expropriationsgesetz des Kantons Schwyz geht es nicht um die gleiche Sache
wie beim vorangegangenen Entscheid über die Anordnung der Ersatzvornahme.

Sachverhalt

    A.- Das Wasserrechtsgesetz des Kantons Schwyz vom 11.
September 1973 (WRG) ordnet in den §§ 41 ff. die Gewässerverbauung.
Projektierung, Krediterteilung, Bauausführung und Abrechnung obliegen den
Wuhrkorporationen, Körperschaften des öffentlichen Rechts, die aus den
Perimeterpflichtigen eines Verbauungsprojektes bestehen. Verweigern die
Organe einer Wuhrkorporation die ordnungsgemässe Erfüllung ihrer Pflichten,
so übernimmt der Bezirksrat im Sinne einer Ersatzvornahme diese Aufgaben
(§ 53 WRG). § 56 WRG ermöglicht die Enteignung:

    "1. Muss zur Ausführung von Verbauungs- oder Unterhaltsarbeiten an

    Gewässern privater Grund und Boden vorübergehend oder dauernd in
Anspruch
   genommen werden, so kann der Bezirksrat die Enteignung verfügen.

    2. Das Verfahren richtet sich nach den kantonalen Vorschriften über
   die Enteignung."

    Das Expropriationsgesetz des Kantons Schwyz vom 1. Dezember 1870
verpflichtet in § 1 lit. b seinerseits jeden Grundeigentümer, den zur
Korrektion von Flüssen, Bächen und Runsen erforderlichen Boden abzutreten.

    Der Regierungsrat des Kantons Schwyz genehmigte am 4. August 1975 ein
Projekt für die Verbauung des Mosenbachs, des Visibachs und des Aarbachs
im Bezirk March. Die Wuhrkorporation Mosenbach lehnte verschiedene
Ausbauvorlagen ab. Da der Bezirksrat March den Ausbau des Aarbachs
für dringlich hielt, beschloss er am 24. Oktober 1978, die notwendigen
Arbeiten auf dem Wege einer Ersatzvornahme nach § 53 WRG selbst an die
Hand zu nehmen. Unter Punkt 4 des Ersatzvornahmebeschlusses erteilte er
der Gewässerkommission den Auftrag, den Landerwerb nach Massgabe von §
56 WRG vorzubereiten.

    Sechs beitragspflichtige Eigentümer, unter ihnen Josef Knobel,
fochten diesen Ersatzvornahmebeschluss mit Verwaltungsbeschwerde beim
Regierungsrat des Kantons Schwyz an. Sie beantragten, die Ersatzvornahme
sei als verfrüht abzulehnen und nichtig zu erklären. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Schwyz, an welches die Beschwerde gestützt auf § 52 der
Verwaltungsrechtspflegeverordnung überwiesen worden war, wies die
Beschwerde am 9. Januar 1979 ab. Dieses Urteil ist in Rechtskraft
erwachsen.

    Da mit Josef Knobel keine gütliche Einigung über den Landerwerb
erzielt werden konnte, erliess der Bezirksrat March am 14. August 1979
folgende Expropriationsverfügung:

    "1. Gegenüber Josef Knobel-Bruhin, Bodenwies, 8854 Galgenen, wird
   zulasten des Grundstückes GB Nr. 94 in Galgenen die Enteignung einer

    Parzelle von ca. 520 m2 (per Saldo) gemäss Projekt Nr. 606
Ing. P. Meier,

    Lachen, angeordnet.

    2. ...

    3. ...

    4. ..."

    Knobel rekurrierte hierauf an den Regierungsrat, der die Beschwerde
am 10. Dezember 1979 abwies. Gegen diesen Entscheid reichte Josef Knobel
Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Wie schon in der Beschwerde gegen
den Ersatzvornahmebeschluss und im Rekurs gegen die Enteignungsverfügung
bestritt er die Zuständigkeit der Wuhrkorporation Mosenbach, über die
Korrektion des Aarbaches zu beschliessen. Ausserdem stellte er das
öffentliche Interesse an der Korrektion und die Verhältnismässigkeit
des Ausbauprojektes in Frage. Schliesslich machte er geltend, er
sei auf jeden Quadratmeter seines Landes angewiesen. Mit Urteil vom
7. Mai 1980 erkannte das Verwaltungsgericht, auf die Beschwerde werde
nicht eingetreten. Zur Begründung führte es aus, es habe die Frage der
Ungültigkeit der Ersatzvornahmeverfügung in seinem Entscheid vom 9. Januar
1979 geprüft und verneint. Auf diese erneut erhobene Rüge könne daher nicht
mehr eingetreten werden. Auch auf die Einwendungen des Beschwerdeführers
gegen die Enteignung und deren Umfang könne nicht eingetreten werden.

    Gegen diesen Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts
reichte Josef Knobel eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Er wirft dem
Verwaltungsgericht eine gegen Art. 4 BV verstossende Rechtsverweigerung
und eine Verletzung der Eingentumsgarantie vor. Der Entscheid des Gerichts
vom 9. Januar 1979 über die Beschwerde gegen die Ersatzvornahmeverfügung
habe andere Fragen zum Gegenstand gehabt als die nun zur Diskussion
stehende Enteignung.

Auszug aus den Erwägungen:

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Sein Nichteintreten auf die Einwendungen des Beschwerdeführers
gegen die Enteignung und deren Umfang begründete das Verwaltungsgericht
damit, dass der Beschluss über die Ersatzvornahme öffentlich aufgelegt
worden sei und der Beschwerdeführer seine Einwendungen gegen das Projekt in
diesem Verfahren hätte vorbringen müssen. Der Beschwerdeführer habe dies
versäumt. Da auch in dieser Sache bereits ein rechtskräftiger Entscheid
vorliege, könne auf seine Vorbringen nicht mehr eingetreten werden.

    a) (Es ist unerheblich, dass bei der amtlichen Publikation des
Ersatzvornahmebeschlusses die Ziffern 1 und 2 des Beschlusses nicht
wörtlich wiedergegeben worden waren.)

    b) Hingegen fragt es sich, ob - wie dies das Verwaltungsgericht
im Ergebnis annimmt - die Auflage des Ersatzvornahmebeschlusses einer
enteignungsrechtlichen Planauflage gleichgestellt werden kann. Die
vom Gericht angeführte praktische Überlegung, das Projekt bilde ein
Ganzes, weshalb die Einwendungen gegen den Ausbau des Aarbaches schon
im Auflageverfahren der Ersatzvornahmeverfügung hätten erhoben werden
müssen, ist verständlich, doch setzt sie voraus, dass das Gesetz eine
derartige Lösung klar vorsieht. Bekanntlich hat der Bundesgesetzgeber für
den Bau der Nationalstrassen sowie von Rohrleitungsanlagen angeordnet,
dass sich das Enteignungsverfahren auf die Behandlung der angemeldeten
Forderungen beschränke. Einsprachen gegen die Enteignung sowie Begehren,
die eine Planänderung bezwecken, sind ausgeschlossen. Die entsprechenden
Einwendungen sind im Planauflageverfahren zu erheben (Art. 27 und 39
Abs. 2 NSG; Art. 22 f. und Art. 26 Abs. 2 RLG).

    Eine entsprechende Regelung könnte auch der kantonale Gesetzgeber
erlassen. Das Wasserrechtsgesetz sieht jedoch nicht vor, dass die
Pläne für ein Verbauungsprojekt vor dessen Genehmigung durch den
Regierungsrat aufgelegt werden müssten. Es bestimmt auch nicht, das
Enteignungsverfahren beschränke sich auf die Behandlung der angemeldeten
Forderungen durch die Schätzungskommission. Nach § 56 WRG richtet sich das
Enteignungsverfahren vielmehr nach den kantonalen Vorschriften über die
Enteignung. Das Expropriationsgesetz vom 1. Dezember 1870 ordnet ebenfalls
keine Planauflage an. In § 2 bestimmt es die Behörden, welche über die
Zulässigkeit der Expropriation entscheiden. Für den Bezirk ist dies der
Bezirksrat. Dabei räumt das Gesetz den von den Bezirksräten pflichtig
Erklärten das Rekursrecht ein (§ 2 Abs. 2). Das Expropriationsgesetz
ermöglicht somit dem Expropriaten, wie dies im Enteignungsrecht des Bundes
und der Kantone üblich ist und sich direkt aus der Eigentumsgarantie
ergibt, Einwendungen gegen die Enteignung und deren Umfang zu erheben.

    Soll nun der Eigentümer, der für die Korrektion von Bächen
Land abzutreten hat (§ 1 lit. b Expropriationsgesetz, § 56 WRG),
die Einwendungen gegen die Enteignung und deren Umfang bereits bei der
Anordnung einer Ersatzvornahme erheben, wie dies das Verwaltungsgericht als
richtig erachtet, so müsste auf Grund dieser Regelung des geltenden Rechts
des Kantons Schwyz die Enteignung gleichzeitig mit der Ersatzvornahme
verfügt werden. Dies ist nicht geschehen. Der Ersatzvornahmebeschluss
beauftragt in Ziffer 4 die Gewässerkommission lediglich, den Landerwerb
nach Massgabe von § 56 WRG vorzubereiten. Er behält damit die Anordnung
der Enteignung durch den Bezirksrat vor.

    Es kann sich daher einzig fragen, ob dem Beschwerdeführer
Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden konnte, weil er seine Einwendungen
gegen das Projekt und damit gegen die ihm drohende Enteignung zum
Teil erst in seiner Beschwerde gegen den Enteignungsbeschluss geltend
machte. Ein derartiger Vorwurf wird jedoch dem Beschwerdeführer mit Recht
weder vom Verwaltungsgericht noch vom Regierungsrat, noch vom Bezirksrat
gemacht. Die beiden letztgenannten Behörden haben vielmehr das in §
2 Abs. 2 des Expropriationsgesetzes eingeräumte Rekursrecht, wie das
Verfahren und der regierungsrätliche Entscheid vom 10. Dezember 1979
bestätigen, ausdrücklich anerkannt.

    c) Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 9. Januar 1979 in der Beschwerdesache von sechs
Eigentümern, die sich gegen die Ersatzvornahme wandten, stelle einen
Entscheid in der gleichen Sache dar. Wohl liegt beiden Entscheiden das
gleiche Ausbauprojekt zugrunde. Doch stand im ersten Verfahren nur die
Zulässigkeit der Ersatzvornahme in Frage. Die Anträge der Beschwerdeführer
wie auch die Erwägungen des Gerichts sind in dieser Hinsicht eindeutig. Zu
entscheiden war namentlich die Frage, ob die Organe der Wuhrkorporation
die ordnungsgemässe Erfüllung ihrer Pflichten verweigert hatten (§ 53
Abs. 1 WRG).

    Im Rekursverfahren gegen den Beschluss des Bezirksrates, den
Beschwerdeführer zu enteignen, ging es hingegen um die Frage, ob für die
Verwirklichung des Projektes von der Liegenschaft des Beschwerdeführers
eine Fläche von rund 520 m2 benötigt werde und in Abwägung der einander
entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen enteignet werden
dürfe. Beim Entscheid über diese Frage konnte freilich auch auf das
Urteil vom 9. Januar 1979 verwiesen werden, nämlich insoweit darin
bestätigt wurde, dass ein öffentliches Interesse an der Verbauung des
Aarbaches gemäss dem vom Regierungsrat und vom Eidg. Departement des
Innern genehmigten Projekt bestehe. Diese Feststellung gilt auch für das
Enteignungsverfahren. Daraus folgt aber nicht, dass der Eingriff in das
Eigentum des Beschwerdeführers auch verhältnismässig sei. Diese Frage
hätte zusätzlich noch geprüft werden müssen.

    Den Akten lässt sich entnehmen, dass ein erster Landerwerbsplan
vom 14. August 1973 (Plan Nr. 606-33) die Enteignung einer Fläche
von rund 370 m2 von Parzelle Nr. 94 vorsah. Der am 14. November 1978
revidierte Landerwerbsplan (Plan Nr. 606-33a) gelangte demgegenüber
zu einem Landverlust von rund 520 m2. Diese Differenz ist nicht
unbeachtlich. Da eine Enteignung nicht weiter gehen darf als zur
Erreichung des Enteignungszweckes notwendig ist, wäre u.a. zu prüfen
gewesen, ob die Verwirklichung des im öffentlichen Interesse gebotenen
Werkes die Inanspruchnahme von rund 520 m2 Land des Beschwerdeführers
zwingend verlange.

    Das Verwaltungsgericht hat sich somit zu Unrecht auf die
Rechtskraftwirkung seines Entscheides vom 9. Januar 1979 berufen. Es
fehlt an der Identität der Streitsache, die gegeben sein müsste, damit
dem Beschwerdeführer gegenüber mit Erfolg die materielle Rechtskraft
des Entscheides entgegengehalten werden könnte (BGE 81 I 8). Der
Nichteintretensentscheid vom 7. Mai 1979 stellt somit eine formelle
Rechtsverweigerung dar, soweit das Verwaltungsgericht nicht nur auf
die erneut vorgebrachte Rüge, der Ersatzvornahmebeschluss sei nichtig,
sondern in vollen Umfang nicht auf die Beschwerde eingetreten ist.