Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 41



107 Ia 41

9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18.
Februar 1981 i.S. X. gegen Kanton Obwalden und Kanton St. Gallen
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV (Doppelbesteuerungsverbot).

    Wohnt ein Kollektivgesellschafter nicht im Sitzkanton
der Gesellschaft und kennen die Kantone, denen er wirtschaftlich
zugehört, das System der Reineinkommensbesteuerung, so bedeutet es eine
unzulässige Doppelbesteuerung, wenn er seinen Anteil am Passivsaldo der
Kollektivgesellschaft nicht am Hauptsteuerdomizil vom rohen Einkommen
abziehen kann.

Sachverhalt

    A.- X. nahm am 1. November 1978 im Kanton Obwalden Wohnsitz; er ist
an einer Kollektivgesellschaft mit Sitz im Kanton St. Gallen beteiligt,
deren Bilanz für das Geschäftsjahr 1978 einen beträchtlichen Verlust
ausweist. Bei der Zwischenveranlagung im Kanton Obwalden beanspruchte
X. einen Abzug vom rohen Einkommen in der Höhe seines Verlustanteils. Die
Steuerbehörden des Kantons Obwalden anerkannten diesen Abzug nicht
X. erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2
BV, die das Bundesgericht gegenüber dem Kanton Obwalden gutheisst aus
folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Eine gegen Art. 46 Abs. 2 BV verstossende Doppelbesteuerung
liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger von zwei oder mehreren Kantonen für
das nämliche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen
wird (aktuelle Doppelbesteuerung), oder wenn ein Kanton in Verletzung der
geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer
erhebt, zu deren Erhebung ein anderer Kanton zuständig wäre (virtuelle
Doppelbesteuerung). Ausserdem hat das Bundesgericht aus Art. 46 Abs. 2 BV
abgeleitet, ein Kanton dürfe einen Steuerpflichtigen nicht deshalb stärker
belasten, weil er nicht in vollem Umfange seiner Steuerhoheit unterstehe,
sondern zufolge seiner territorialen Beziehungen auch noch in einem andern
Kanton steuerpflichtig sei. Eine unzulässige Doppelbesteuerung ist daher
grundsätzlich gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger in mehreren auf dem
Boden der Reineinkommenssteuer stehenden Kantonen zusammen mehr als sein
gesamtes Reineinkommen zu versteuern hat, also mehr als bei Konzentration
der Steuerpflicht in einem Kanton (BGE 100 Ia 251 E. 4a mit Verweisen;
vgl. auch BGE 104 Ia 260 E. 4).

    b) Die Kantone St. Gallen und Obwalden kennen das System der
Reineinkommensbesteuerung; sie lassen beide bei der Berechnung des
steuerbaren Einkommens den Abzug von Geschäftsverlusten zu (Art. 25
lit. c Steuergesetz des Kantons St. Gallen vom 23. Juni 1970: StG SG;
Art. 30 Steuergesetz des Kantons Obwalden vom 8. Dezember 1968 / 4. März
1973: StG OW). Der Beschwerdeführer könnte somit seinen Verlust aus dem
Betrieb der Kollektivgesellschaft vom rohen Einkommen in jedem der beiden
Kantone abziehen, sofern er nur einer Steuerhoheit unterstände. Die
Steuerbehörden des Kantons Obwalden bestreiten dies nicht. Sie sind
indessen der Ansicht, der Sitzkanton der Kollektivgesellschaft, St. Gallen,
habe einen allfälligen Geschäftsverlust in künftigen Steuerperioden zum
Abzug vom Geschäftsgewinn zuzulassen.

Erwägung 2

    2.- Bei der Verlegung der Abzüge vom Einkommen auf die betroffenen
Kantone ist im Anwendungsbereich der allgemeinen Reineinkommenssteuer
nach Lehre und Praxis auf die Art dieser Abzüge abzustellen und Ausgaben
Rechnung zu tragen (BGE 104 Ia 260 E. 4 mit Hinweisen). Nach ständiger
Rechtsprechung ist ein Kollektivgesellschafter oder Kommanditär für
seinen Anteil am Geschäftsvermögen und -gewinn am Gesellschaftssitz
steuerpflichtig, sofern er in einem andern Kanton wohnt (BGE 93 I 544
E. 1). Einkünfte eines Gesellschafters aus persönlicher Arbeit für die
Gesellschaft verbleiben dem Wohnsitzkanton (BGE 77 I 209 E. 4). Aus
dieser Rechtsprechung folgt indessen entgegen der Auffassung der
Steuerverwaltung des Kantons Obwalden nicht, dass auch Geschäftsverluste,
die ein Steuerpflichtiger an seinem sekundären Steuerdomizil erleidet,
nur an diesem Spezialsteuerdomizil berücksichtigt werden müssten. Nach der
Praxis des Bundesgerichtes sind nämlich Ausgaben für eine Liegenschaft am
sekundären Steuerdomizil, welche die Einkünfte aus dieser Liegenschaft
übersteigen, am Hauptsteuerdomizil zum Abzug vom rohen Einkommen
zuzulassen (BGE 66 I 45 E. 5). Als typischen Fall einer verbotenen
Doppelbesteuerung hat das Bundesgericht sodann angesehen, dass eine
Gemeinde - Hauptsteuerdomizil des Pflichtigen - sich weigerte, den Verlust
aus dem Betrieb eines Hotels in einer andern Gemeinde bei der Bemessung
des steuerpflichtigen Gesamteinkommens zum Abzug zuzulassen. In diesem
Fall interkommunaler Steuerausscheidung waren die Grundsätze des Art. 46
Abs. 2 BV nach kantonalem Recht sinngemäss anwendbar (BGE 98 Ia 577
E. 3). Dasselbe muss offensichtlich auch im interkantonalen Verhältnis
gelten. Würde der Geschäftsverlust, den ein Steuerpflichtiger an seinem
sekundären Steuerdomizil erleidet und dort nicht abziehen kann, bei der
Berechnung des steuerpflichtigen Gesamteinkommens am primären Steuerdomizil
nicht zum Abzug zugelassen, so würde das gesamte steuerbare Einkommen
des Pflichtigen das wirkliche Reineinkommen um die Höhe dieses Verlustes
übersteigen. Dies würde jedenfalls für die in Frage stehende Steuerperiode
den Grundsatz der von beiden Kantonen anerkannten Reineinkommensbesteuerung
verletzen. Die Möglichkeit, den Geschäftsverlust in späteren Steuerperioden
auf einen allfälligen Geschäftsgewinn am Spezialsteuerdomizil anzurechnen,
ist dagegen höchst ungewiss und namentlich abhängig von der Weiterführung
des Geschäftes und einem genügenden Geschäftsertrag. Ausserdem lassen
nicht alle Kantone eine derartige Anrechnung von Geschäftsverlusten
früherer Perioden zu (vgl. OBERSON, Les pertes commerciales fiscalement
déductibles in ASA Bd. 48 S. 98). Die - wenig naheliegende - Hypothese,
dass ein Steuerpflichtiger unter Umständen einen Geschäftsverlust nicht
nur an seinem Hauptsteuerdomizil, sondern später ausserdem noch am
Spezialsteuerdomizil des Geschäftssitzes geltendmachen könnte, vermag
die Doppelbesteuerungsgrundsätze über die Anrechnung von Verlusten,
welche dem Pflichtigen am Spezialsteuerdomizil erwachsen, nicht in
Frage zu stellen. Der Kanton St. Gallen lässt im übrigen den Abzug von
Geschäftsverlusten früherer Perioden nur soweit zu, als diese Verluste
nicht bereits berücksichtigt wurden (Art. 25 lit. c StG SG).

    Der Kanton Obwalden hat einen allfälligen Geschäftsverlust des
Beschwerdeführers aus der Kollektivgesellschaft mit Sitz in St. Gallen bei
der Einkommensveranlagung zum Abzug zuzulassen. Die Beschwerde erweist
sich gegenüber dem Kanton Obwalden offensichtlich als begründet und die
angefochtenen Steuerveranlagungen sind aufzuheben. Die Steuerbehörden
des Kantons Obwalden werden somit zu prüfen haben, in welchem Umfang
dem Beschwerdeführer tatsächlich ein Verlust aus dem Betrieb der
Kollektivgesellschaft erwachsen ist.

    Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen den Kanton St. Gallen
richten sollte, abzuweisen.