Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 343



107 Ia 343

66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1981
i.S. W. gegen Vormundschaftsbehörde X. und Regierungsrat des Kantons Bern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG und Art. 381 ZGB.

    Den Eltern des Mündels fehlt die Legitimation zur staatsrechtlichen
Beschwerde gegen die Ernennung des Vormundes (E. 2). Doch können sie
insofern eine formelle Rechtsverweigerung mit staatsrechtlicher Beschwerde
rügen, als ihnen verwehrt worden ist, einen Vormund vorzuschlagen oder die
Wahl des Vormundes anzufechten und in diesem Zusammenhang Beweisanträge
zu stellen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- E. W., geb. 1954, wurde am 10. Juni 1977 in Anwendung von Art. 369
ZGB unter Vormundschaft gestellt. Zum Vormund wurde Amtsvormund Z.
ernannt.

    Im Jahre 1979 vernahm die Mutter des Mündels, M. W., dass Amtsvormund
Z. in den Ruhestand trete. Sie schlug der Vormundschaftsbehörde
X. daraufhin einen ihrer Bekannten als Vormund ihrer Tochter vor. Die
Vormundschaftsbehörde wählte jedoch am 8. Januar 1980 als Vormund von
E. W. den Nachfolger von Z., Amtsvormund G.

    Gegen diesen Beschluss legte M. W. beim Regierungsstatthalter Rekurs
ein, der am 30. Juni 1980 abgewiesen wurde. Eine Beschwerde gegen diesen
Entscheid wies der Regierungsrat des Kantons Bern am 10. Februar 1981 ab.

    M. W. führt beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV und beantragt, den Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Bern aufzuheben.

    Die Beschwerdeführerin hat den Entscheid des Regierungsrates auch mit
einer Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 OG beim Bundesgericht
angefochten (s. BGE 107 II 504 ff.).

    Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die staatsrechtliche Beschwerde steht den Bürgern (Privaten)
hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein
verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen
erlitten haben (Art. 88 OG). Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach
nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in rechtlich
geschützten eigenen Interessen beeinträchtigt wird; zur Verfolgung bloss
tatsächlicher Interessen wie auch zur Wahrung allgemeiner öffentlicher
Interessen ist die Beschwerde nicht gegeben (BGE 105 Ia 189 und 57 E. b;
104 Ia 156).

    Haben das Mündel oder dessen Eltern jemanden als den Vormund ihres
Vertrauens bezeichnet, so soll gemäss Art. 381 ZGB diesem Vorschlag,
wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen, stattgegeben werden. Diese
Vorschrift ist ausschliesslich im öffentlichen und nicht im privaten
Interesse derjenigen Personen, die einen Vormund vorschlagen können,
aufgestellt worden. Die Vormundschaft ist eine öffentliche Angelegenheit,
und ihre Ausgestaltung lässt die persönliche Rechtsstellung der Eltern
des Mündels unberührt. Dass die Wahl des Vormundes von jedermann, der
ein Interesse daran hat, gemäss Art. 388 ZGB angefochten werden kann,
vermag hieran nichts zu ändern; denn dabei handelt es sich um eine für
das Gebiet des Vormundschaftsrechts geltende Sondervorschrift, die auf
die staatsrechtliche Beschwerde nicht anwendbar ist. Diese ist nicht
Bestandteil eines für das Vormundschaftsrecht vorgesehenen Verfahrens,
sondern hat einen neuen, selbständigen, vom kantonalen Verfahren durchaus
verschiedenen Gegenstand (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
i.S. St. c. Regierungsrat Solothurn vom 30. Oktober 1944).

    Da die Mutter des Mündels im vorliegenden Fall durch die Wahl des
Vormundes lediglich tatsächlich oder mittelbar berührt, in ihren rechtlich
geschützten Interessen indessen nicht beeinträchtigt worden ist, fehlt
ihr die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ebenso wie dem
Geschädigten oder Anzeiger im Strafprozess, der die Verurteilung des
Angeschuldigten erreichen will (BGE 104 Ia 156; ZVW 17/1962 S. 103).

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat in BGE 104 Ia 156 in diesem Zusammenhang
weiter ausgeführt, unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache
selbst seien aber Anzeiger und Geschädigter befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung solcher Rechte zu rügen, die ihnen das kantonale
Recht wegen ihrer Stellung als am Strafverfahren beteiligte Partei
einräume und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstelle
oder auf eine solche hinauslaufe. Wer beispielsweise nach dem kantonalen
Recht befugt sei, als Anzeiger oder Geschädigter in einem Strafprozess
Beweisanträge zu stellen, könne daher mit staatsrechtlicher Beschwerde
geltend machen, man habe ihm in Missachtung der entsprechenden kantonalen
Vorschriften keine Gelegenheit gegeben, solche Anträge zu stellen. Er
könne dagegen nicht rügen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit
oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgewiesen worden oder die
kantonale Behörde habe die Beweise willkürlich gewürdigt. Ebensowenig seien
Anzeiger und Geschädigter befugt, sich mit staatsrechtlicher Beschwerde
über eine willkürliche Anwendung des materiellen Strafrechts zu beklagen
(BGE 104 Ia 156/57 mit Hinweisen).

    Wird diese Rechtsprechung in analoger Weise auf die Eltern des Mündels
angewendet, die im Sinne von Art. 381 ZGB eine Person ihres Vertrauens
als Vormund bezeichnet haben, so heisst das, dass sie insofern eine
formelle Rechtsverweigerung mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend
machen können, als ihnen verwehrt worden ist, Vorschläge zu machen, die
Wahl des Vormundes gestützt auf Art. 388 Abs. 2 ZGB anzufechten und in
diesem Zusammenhang Beweisanträge zu stellen. Sie können aber weder die
Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache, dass ihre Anträge
wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung
abgelehnt worden sind, rügen. Die Beurteilung dieser Fragen kann nämlich
nicht von der Prüfung der Sache selbst getrennt werden; auf eine solche
haben die in Art. 381 ZGB erwähnten Personen mangels Beeinträchtigung
ihrer rechtlich geschützten Interessen keinen Anspruch.