Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 29



107 Ia 29

7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6.
Februar 1981 i.S. Faes gegen Obergericht des Kantons Aargau und
Bezirksgericht Kulm (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Kanzleigebühr.

    Erstellung von Fotokopien. Ist ein Gebührenansatz von Fr. 2.--
pro Seite mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar? Frage verneint bei einer
grossen Auflage von Kopien.

Sachverhalt

    A.- Der am 19. Dezember 1977 verstorbene Wilhelm Faes hinterliess
als Universalerbin seine Ehefrau Elise Faes. Der Erblasser hatte zwei
Verfügungen von Todes wegen getroffen. Diese Verfügungen, welche zusammen
einen Umfang von 13 Seiten aufweisen, mussten vom Bezirksgericht Kulm in
73 Ausfertigungen eröffnet werden. Mit Einschluss von einigen weiteren
Kopien waren dafür insgesamt 944 Seiten Fotokopien herzustellen. Für die
Eröffnung der Verfügungen verlangte das Bezirksgericht Kulm von Elise
Faes Fr. 3'044.--. In dieser Rechnung war ein Betrag von Fr. 1'888.-- für
die notwendigen Fotokopien (d.h. Fr. 2.-- pro Seite) eingeschlossen. Da
Elise Feas diesen Betrag für übersetzt hielt, wandte sie sich an die
Finanzverwaltung des Kantons Aargau, um eine Reduktion dieser Rechnung zu
erwirken. Die Finanzkontrolle teilte darauf der Gerichtskasse Kulm mit, sie
sei im vorliegenden Fall im Hinblick auf die grosse Auflage ausnahmsweise
bereit, einer Ermässigung des Gebührenansatzes für Fotokopien auf 50%,
d.h. auf Fr. 944.-- zuzustimmen. Am 6. März 1979 beriet das Bezirksgericht
Kulm erneut über die Elise Feas aufzuerlegende Gebühr und beschloss, am
Betrag von Fr. 3'044.-- festzuhalten. Es erachtete zwar den fraglichen
Gebührenansatz von Fr. 2.-- pro Seite für hoch, führte jedoch aus, es
sei an die regierungsrätliche Verordnung über die Kanzleigebühren vom 23.
Dezember 1971, in welcher dieser Ansatz enthalten sei, gebunden.

    Gegen den Entscheid des Bezirksgerichts führte Elise Faes
Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau. Sie beantragte,
der in der Gebührenrechnung enthaltene Anteil für Fotokopien sei von
Fr. 1'888.-- auf Fr. 944.-- (d.h. auf Fr. 1.-- pro Kopie) zu reduzieren.
Die Inspektionskommission des Obergerichts des Kantons Aargau behandelte
die Beschwerde als allgemeine Aufsichtsbeschwerde und wies diese mit
Entscheid vom 15. Mai 1979 ab. Sie führte in der Begründung aus, nach §
1 lit. c der Verordnung des Regierungsrates über die Kanzleigebühren vom
23. Dezember 1971, hätten die kantonalen Amtsstellen und die Gerichte
zuhanden des Staates "für die Erstellung von Kopien auf technischem Wege
pro Seite A4 Fr. 2.--" als Kanzleigebühr zu beziehen. An diese Vorschrift,
welche gestützt auf § 1 lit. i des Dekretes des Grossen Rates über die vom
Staate zu beziehenden Gebühren vom 10. Januar 1976 erlassen worden sei,
habe sich das Bezirksgericht halten müssen, selbst wenn ein Ansatz von
Fr. 2.-- pro Kopie "reichlich hoch" sei.

    Elise Faes führt staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der
Inspektionskommission des Obergerichts und beantragt darin die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides. Sie macht geltend, der Ansatz von Fr. 2.--
pro Seite Fotokopie und der sich daraus ergebende Gebührenbetrag von
Fr. 1'888.-- seien willkürlich. Zur Begründung wird in der Beschwerde
vorgebracht, das Obergericht habe angenommen, die Verordnung des
Regierungsrates über die Kanzleigebühren vom 23. Dezember 1971 könne
sich auf das Dekret des Grossen Rates über die vom Staate zu beziehenden
Gebühren vom 10. Januar 1967 stützen; dieses Dekret sei aber durch
das gleichnamige Dekret vom 23. November 1977 aufgehoben worden. Die
Verordnung des Regierungsrates, worauf sich der angefochtene Entscheid
stütze, entbehre somit einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 33
Abs. 1 lit. e KV sei zudem der Grosse Rat zur Festsetzung der dem Staat
zukommenden Gebühren und Taxen zuständig. Der Grosse Rat habe in § 7
des Dekretes über die Gebühren in Zivil- und Strafsachen vom 9. Januar
1968 festgehalten, als Kanzleigebühr für die Erstellung von Kopien auf
technischem Wege seien pro Seite Fr. 1.50 zu verlangen. Dieses Dekret
müsse entgegen der Auffassung des Obergerichtes auf den vorliegenden
Fall angewandt werden. Im übrigen bringt die Beschwerdeführerin vor,
der Ansatz von Fr. 2.-- pro Seite Fotokopie stehe - abgesehen von der
Frage des anwendbaren Rechtes - zum objektiven Wert der Leistung in
einem offensichtlichen Missverhältnis und halte sich im Hinblick auf das
Äquivalenzprinzip nicht mehr in vernünftigen Grenzen.

    Die Inspektionskommission des Obergerichts verzichtete darauf,
eine Vernehmlassung einzureichen. Das Bezirksgericht Kulm beantragte die
Abweisung der Beschwerde. Da die finanziellen Interessen des Kantons durch
die vorliegende Beschwerde betroffen sind, wurde auch der Regierungsrat
des Kantons Aargau zur Vernehmlassung eingeladen. Dieser stellte in seiner
Eingabe die folgende Kostenberechnung für eine einzelne Fotokopie auf:
Kosten für Papier, Strom und Miete des Gerätes Fr. -.20 Miete
und Heizung des Fotokopierraumes Fr. -.06 Lohnkosten
des Kanzleibeamten (Verrechnungsansatz Fr. 32.-- pro Stunde) für einen
Zeitaufwand von 3 Minuten (Anmarsch, Inbetriebsetzen des Gerätes, Kopieren,
Einordnen der Kopie) Fr. 1.60
                                                            --------
Herstellungskosten einer einzelnen Kopie Fr. 1.86

    Der Regierungsrat macht in weiteren geltend, diese Kosten pro Kopie
erhöhten sich auf Fr. 2.26, wenn der Gerichtskassier (Verrechnungsansatz
Fr. 40.-- pro Stunde) mit der Herstellung der Fotokopien betraut werde. Im
Hinblick auf die gerügte Verletzung des Äquivalenzprinzips führt der
Regierungsrat aus, die Eröffnung der letztwilligen Verfügungen sei im
vorliegenden Fall eine aufwendige Arbeit gewesen. Es hätten 73 verschiedene
Ausfertigungen erstellt werden müssen; der Rationalisierungseffekt könne
unter diesen Umständen nicht als gross betrachtet werden.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Das Bundesgericht hält die Beschwerde, soweit sie sich gegen
den Entscheid der Inspektionskommission des Obergerichts richtet, für
unzulässig. Es tritt aber auf die Beschwerde ein, soweit damit ebenfalls
der Entscheid des Bezirksgerichts Kulm angefochten wurde.)

Erwägung 2

    2.- a) Die vom Bezirksgericht Kulm angewandte Verordnung des
Regierungsrates über die Kanzleigebühren vom 23. Dezember 1971 sieht in
§ 1 lit. c für die Erstellung von Fotokopien einen Ansatz von Fr. 2.--
vor. Diese Bestimmung steht im Gegensatz zu § 7 des Dekretes des Grossen
Rates über die Gebühren in Zivil- und Strafsachen und die Entschädigung
der Parteien, Zeugen und Sachverständigen vom 9. Januar 1968, denn nach
dieser Bestimmung haben die Gerichte für die Erstellung von Fotokopien
nur Fr. 1.50 zu erheben. Die regierungsrätliche Verordnungsbestimmung
war somit im Anwendungsbereich des genannten Dekretes ungültig, solange
in § 7 dieses Dekrets für Fotokopien ein Ansatz von Fr. 1.50 vorgesehen
war. Am 19. Dezember 1973 änderte der Grosse Rat jedoch diese Bestimmung
ab und legte im neuen Text fest, dass die Gerichte ihre Kanzleigebühren
nach den jeweils geltenden Ansätzen der Verordnung des Regierungsrates
zu erheben hätten. Mit dem abgeänderten § 7 des Dekretes erhielt die
regierungsrätliche Verordnung über die Kanzleigebühren, welche für den
Bereich der Gerichte zunächst ungültig gewesen war, nachträglich eine
genügende gesetzliche Grundlage (vgl. André GRISEL, L'application du
droit public dans le temps, ZBl 75/1974, S. 233 ff., 239). Die von der
Beschwerdeführerin vorgebrachte Rüge, die im angefochtenen Entscheid
angewandte Verordnungsbestimmung könne sich nicht auf ein grossrätliches
Dekret stützen, bzw. stehe mit einem solchen im Widerspruch, ist somit
unbegründet.

    b) Die Beschwerdeführerin führt ferner aus, in Art. 33 Abs. 1 lit. e
KV werde die Festsetzung der dem Staat zukommenden Gebühren und Taxen dem
Grossen Rat übertragen. Offenbar will sie damit rügen, die Festsetzung
der Kanzleigebühren sei zu Unrecht an den Regierungsrat delegiert
worden. Eine Subdelegation von Rechtsetzungsbefugnissen vom Grossen Rat an
den Regierungsrat ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung jedoch
unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und wird auch von Art. 33 KV
nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin tut nicht dar,
dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Subdelegation
fehlen. Die Rüge der unzulässigen Subdelegation erweist sich somit
als ungenügend begründet und ist nicht zu untersuchen (Art. 90 Abs.
1 lit. b OG).

    c) Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, es gebe kein Gesetz,
das wenigstens die Grundzüge der hier streitigen Gebühr umschreiben
würde. Sie rügt somit, die angefochtene Gebühr könne sich nicht auf eine
gesetzliche Grundlage stützen.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedürfen alle öffentlichen
Abgaben - mit Ausnahme der Kanzleigebühren - der Grundlage in einem Gesetz
im formellen Sinn, d.h. in einem dem Referendum unterstehenden Erlass
(BGE 106 Ia 202 E. 2a, 105 Ia 4, 144 ff. E. 5a mit Hinweisen). Unter
Kanzleigebühren sind Abgaben für einfache Tätigkeiten der Verwaltung zu
verstehen, die ohne besonderen Prüfungs- und Kontrollaufwand erbracht
werden und sich in ihrer Höhe in einem bescheidenen Rahmen halten (BGE
104 Ia 115 E. 3 mit Hinweisen). Die Herstellung von Fotokopien für die
Eröffnung von letztwilligen Verfügungen stellt eine einfache Tätigkeit
der Verwaltung im Sinne dieser Rechtsprechung dar. Die dafür erhobene
Abgabe von Fr. 2.-- pro Fotokopie hält sich zudem in einem bescheidenen
Rahmen. Dass infolge der Erstellung einer grossen Anzahl von Kopien
ein Mehrfaches dieses Ansatzes in Rechnung gestellt worden ist, ändert
nichts an dieser Beurteilung, denn durch die Multiplikation von einzelnen
"bescheidenen" Beträgen entsteht kein Gesamtbetrag, der nicht mehr als
bescheidene Gebühr betrachtet werden könnte. Unter diesen Umständen kann
die angefochtene Abgabe als Kanzleigebühr, welche keiner gesetzlichen
Grundlage bedarf, betrachtet werden. Die Rüge der fehlenden gesetzlichen
Grundlage, dringt somit nicht durch.

    d) Der Umstand, dass Kanzleigebühren auch ohne formell gesetzliche
Grundlage erhoben werden dürfen, schliesst nicht aus, dass sich der
Bürger zur Anfechtung solcher Gebühren auf das Äquivalenzprinzip,
das Kostendeckungsprinzip sowie das Willkürverbot und den Grundsatz
der Rechtsgleichheit berufen kann. Im vorliegenden Fall rügt die
Beschwerdeführerin in erster Linie, die angefochtene Gebühr verletze
das Äquivalenzprinzip.

    Nach dem Äquivalenzprinzip, wie es in der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung verstanden wird, darf die Gebühr zum objektiven Wert
der Leistung nicht in ein offensichtliches Missverhältnis geraten
und muss sich in vernünftigen Grenzen bewegen (BGE 103 Ia 89). Die im
vorliegenden Verfahren streitige Gebühr von Fr. 1'888.-- wurde allein
für die Herstellung von 944 Seiten Fotokopien erhoben. Es ist daher zu
prüfen, ob dieser Betrag zum objektiven Wert dieser Fotokopien in einem
offensichtlichen Missverhältnis steht.

    Der Regierungsrat geht in seiner Vernehmlassung davon aus, dass
die Kosten für eine Fotokopie (Papier, Strom, Miete des Kopiergerätes)
Fr. 0.20 betragen. Ferner stellt er Fr. 0.06 für die Miete und Heizung
des Fotokopierraumes in Rechnung. Diese Beträge bewegen sich im Rahmen
der heute üblichen Kosten und sind daher nicht zu beanstanden.

    Der Regierungsrat ist im weiteren der Ansicht, für die Herstellung
einer Fotokopie würden drei Minuten benötigt. Bei einem Stundenansatz
von Fr. 32.-- ergeben sich somit nach seiner Berechnung Lohnkosten von
Fr. 1.60 pro Fotokopie. Bei einem Stundenansatz von Fr. 40.-- erhöhen sich
diese Kosten sogar auf Fr. 2.26. Wenn für die Herstellung einer Fotokopie
drei Minuten eingesetzt werden, würde die Herstellung der im vorliegenden
Fall benötigten 944 Kopien ungefähr 5 Arbeitstage in Anspruch nehmen. Ein
solcher Zeitraum wird aber für die Herstellung der genannten Anzahl von
Fotokopien keinesfalls benötigt. Das Bundesgericht ist zwar nicht in der
Lage, um genau anzugeben, wieviele Stunden für die Herstellung von 944
Fotokopien einzusetzen sind. Die für diese Arbeit benötigte Zeit hängt
stark von den Einrichtungen und insbesondere vom Fotokopiergerät ab,
das im Einzelfall benützt wird. Es scheint allerdings, dass ungefähr ein
Arbeitstag genügen sollte, um die im vorliegenden Fall benötigten 944
Fotokopien herzustellen und daraus die 73 Ausfertigungen der letztwilligen
Verfügungen zusammenzusetzen. Unter diesen Umständen steht die aufgrund
einer Herstellungszeit von drei Minuten pro Kopie berechnete Gebühr von
Fr. 1'888.-- in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven
Wert der Leistung. Die Rüge, die beanstandete Gebührenauflage verletze
das Äquivalenzprinzip, erweist sich somit als begründet. Dies führt
Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

    Bei einer grossen Auflage von Fotokopien, wie sie im vorliegenden
Fall hergestellt werden musste, wäre ein Gebührenansatz von Fr. 1.--
pro Kopie (der von der kantonalen Finanzkontrolle empfohlen und von
der Beschwerdeführerin anerkannt wurde) mit dem Äquivalenzprinzip
vereinbar. Eine solche Gebühr stünde nicht in einem offensichtlichen
Missverhältnis zur Gegenleistung, insbesondere zum benötigten
Arbeitsaufwand. Der im vorliegenden Fall angewandte Gebührentarif von
Fr. 2.-- pro Fotokopie wäre hingegen bei kleineren Auflagen möglicherweise
gerechtfertigt, da bei solchen Auflagen der Arbeitsaufwand pro Kopie
grösser ist als bei grossen Auflagen. Über die Frage des anzuwendenden
Gebührenansatzes ist im vorliegenden Verfahren aber nicht zu entscheiden.

    e) Da die Beschwerde bereits aus dem erwähnten Grund gutgeheissen
werden muss, ist nicht zu prüfen, ob die angefochtene Gebühr, wie von
der Beschwerdeführerin zusätzlich behauptet, auch die Rechtsgleichheit
verletzt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und
der Entscheid des Bezirksgerichts Kulm vom 6. März 1979 wird aufgehoben.