Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 269



107 Ia 269

55. Verfügung des Präsidenten der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
8. Dezember 1981 i.S. S. AG gegen Steuerverwaltung und Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden (Gesuch um aufschiebende Wirkung) Regeste

    Art. 94 OG; Gesuch um aufschiebende Wirkung bei staatsrechtlichen
Beschwerden betreffend eine Steuerforderung.

Sachverhalt

    A.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat am 17.
September 1980 die Einschätzung der Beschwerdeführerin durch die kantonale
Steuerverwaltung mit einem steuerbaren Reingewinn für die kantonalen
Steuern von Fr. 245'900.-- für die Steuerperiode 1977/78 bestätigt.

    Die Beschwerdeführerin hat neben der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
betreffend die Wehrsteuer den erwähnten Entscheid betreffend die kantonalen
Steuern mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten und am 12. November
1981 nachträglich ein Begehren um aufschiebende Wirkung gestellt.

    Die kantonale Steuerverwaltung verzichtet auf eine Stellungnahme zu
diesem Begehren, hält aber dafür, die Praxis des Bundesgerichtes, auch
bei staatsrechtlichen Beschwerden in kantonalen Steuersachen in der Regel
die aufschiebende Wirkung zu gewähren, sei zweifelhaft.

    Die Beschwerdeführerin hat, anders als zahlreiche andere
Beschwerdeführer, ihr Begehren um aufschiebende Wirkung eingehend
begründet; sie weist daraufhin, dass die kantonale Steuerverwaltung
bereits eine Sicherstellungsverfügung gestützt auf Art. 169/170 StG zum
Schutze der erwähnten Steuerforderung erlassen hat mit gleichzeitiger
Aufforderung zur Sicherheitsleistung. Die Beschwerdeführerin hält dafür,
sie habe gestützt auf Art. 94 OG bei richtiger Interessenabwägung einen
Rechtsanspruch auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung.

    Gegen die erwähnte Sicherstellungsverfügung hat die Beschwerdeführerin
Betreibungsbeschwerde gemäss Art. 17 SchKG beim Kantonsgericht von
Graubünden eingereicht und geltend gemacht, das aus dem Wehrsteuerrecht ins
kantonale Recht übernommene Rechtsinstitut der Sicherstellungsverfügung mit
Arrestwirkung stehe den Kantonen nicht zu und sei bundesrechtswidrig. Diese
Beschwerde ist noch hängig, und der kantonale Gerichtspräsident hat der
Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wird bei einer staatsrechtlichen Beschwerde betreffend
eine Geldforderung die aufschiebende Wirkung beantragt, so hat der
Abteilungspräsident aufgrund der konkreten Umstände zu entscheiden,
welches die Tragweite des Antrages und seiner Entscheidung sein soll (BGE
106 Ia 159). Der Abteilungspräsident nimmt dabei im Rahmen von Art. 94 OG
eine Interessenabwägung vor; er wägt dabei die öffentlichen Interessen
an einer sofortigen Vollstreckung der Geldforderung ab gegenüber den
Privatinteressen an einem Aufschub der Vollstreckung, bis die angebliche
Verfassungswidrigkeit höchstrichterlich geprüft wurde; dabei anerkennt
die Rechtsprechung der Entscheidungsinstanz einen Ermessungsspielraum zu
(BGE 106 Ib 295 mit Verweisungen).

    Diese Interessenabwägung kann unterbleiben, wenn die zur Vernehmlassung
eingeladene kantonale Behörde sich mit der Erteilung der aufschiebenden
Wirkung einverstanden erklärt. Bei Nichtäusserung innert Frist kann häufig
angenommen werden, die Behörde habe gegen die Gewährung der aufschiebenden
Wirkung nichts einzuwenden. Stellt dagegen die kantonale Behörde den
Entscheid in das Ermessen des Abteilungspräsidenten oder beantragt sie
Abweisung des Begehrens, so muss die Interessenabwägung vorgenommen werden.

    Dabei lassen sich die Grundsätze, die für die Verwaltungsrechtspflege
entwickelt wurden (vgl. dazu Fritz GYGI, Aufschiebende Wirkung und
vorsorgliche Massnahmen in der Verwaltungsrechtspflege, ZBl 77/1976,
1 ff.) nicht unbesehen auf die Staatsrechtspflege übertragen, da ja
mindestens im Bundesrecht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine
Verfügung, die zu einer Geldleistung verpflichtet, von Gesetzes wegen
aufschiebende Wirkung hat, während dies bei der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht zutrifft.

    Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren ist nicht einfach die
Weiterführung eines kantonalen Verfahrens, sondern ein selbständiges,
ausserordentliches Rechtsmittel, bei dem geprüft wird, ob ein kantonaler
Entscheid, der an sich rechtskräftig und vollstreckbar ist, ausnahmsweise
verfassungsmässige Rechte der Bürger verletzt. Aus der Eigenständigkeit der
Kantone folgt, dass in diesem Bereich kantonaler Hoheit nur eingegriffen
werden soll, soweit wirklich Massnahmen erforderlich sind, um den
bestehenden Zustand zu erhalten und konkrete rechtliche Interessen
einstweilen sicherzustellen (Art. 94 OG). Diese Notwendigkeit einer
vorsorglichen Verfügung hat der Gesuchsteller grundsätzlich darzutun,
auch bei Steuerforderungen.

Erwägung 2

    2.- Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin führt
die Interessenabwägung keineswegs in allen staatsrechtlichen
Steuerstreitigkeiten zur Gutheissung des Begehrens um aufschiebende
Wirkung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vollstreckbarkeit der
kantonalrechtlichen Steuerforderungen die Regel und die Zuerkennung
der aufschiebenden Wirkung trotz Einsprache der kantonalen Behörde die
Ausnahme sein muss. Es besteht an sich ein schützenswertes öffentliches
Interesse, dass das Veranlagungsverfahren nicht durch Willkürbeschwerden
hinausgezögert wird, die sich bei näherem Zusehen als haltlos erweisen. In
einer Zeit, in der allgemein bekannt ist, dass gerade die mit den
Abgabensachen betraute Abteilung des Bundesgerichtes stark überlastet
ist, wächst die Gefahr, dass der Wunsch, Zeit zu gewinnen, auch wenn
Verzugszinsen bezahlt werden müssen, bei zahlreichen staatsrechtlichen
Willkürbeschwerden in Steuersachen wesentlich mitspielt. Dies ist jedoch
kein schützenswertes rechtliches Interesse im Sinne von Art. 94 OG. Der
Bürger muss wissen, dass er im Falle des Obsiegens Anspruch darauf hat,
den aufgrund einer verfassungswidrigen Veranlagung zuviel bezahlten
Steuerbetrag mit Verzugszinsen zurückzuerhalten; in der Regel entsteht
ihm deshalb aus der sofortigen Vollstreckbarkeit kein Nachteil, der eine
vorsorgliche Verfügung im Sinne von Art. 94 OG nötig macht.

    Anders liegen die Verhältnisse, wenn der strittig gebliebene
Teil der Steuerforderung so gross ist, dass der Steuerpflichtige
nachgewiesenermassen in Zahlungsschwierigkeiten käme, wenn er die
umstrittene Forderung vor Abklärung ihrer Verfassungsmässigkeit bezahlen
müsste. Trifft dies zu, so geht sein Privatinteresse an der nicht
sofortigen Vollstreckung vor; doch muss auch dann auf Antrag hin ein
allfälliger Anspruch des Kantons auf Sicherstellung der von der letzten
kantonalen Instanz beurteilten Steuerforderung geprüft werden.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall hat der Kanton nicht sofort die
Vollstreckung der Steuerforderung durch Betreibung eingeleitet,
sondern gestützt auf kantonales Recht Sicherstellung verlangt. Die
Beschwerdeführerin bestreitet die Zulässigkeit dieses Vorgehens und im
kantonalen Beschwerdeverfahren wurde ihr diesbezüglich aufschiebende
Wirkung gewährt. Unter diesen Umständen ist zur Zeit keine vorsorgliche
Verfügung des Abteilungspräsidenten des Bundesgerichts in der hier hängigen
staatsrechtlichen Beschwerde erforderlich. Bejaht das Kantonsgericht
als Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen die
Rechtmässigkeit der erlassenen Sicherstellungsverfügung und die Höhe
der Garantieleistung, so wird diesbezüglich das Bundesgericht in
einem separaten Verfahren angerufen werden; diesem Verfahren ist nicht
vorzugreifen.

Entscheid:

                           Verfügt:

    Die aufschiebende Wirkung wird verweigert.