Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 266



107 Ia 266

54. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Dezember
1981 i.S. Herzog gegen Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich und
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde.

    Der Richter kann den Entscheid, mit dem ein gegen ihn eingereichtes
Ablehnungsbegehren gutgeheissen wurde, nicht mit staatsrechtlicher
Beschwerde anfechten.

Sachverhalt

    A.- Die Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich lehnte die
Bezirksrichterin lic. iur. Marianne Herzog, Mitglied des Jugendgerichts
des Bezirkes Zürich, in drei bei diesem Gericht hängigen Prozessen wegen
Befangenheit ab. Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons
Zürich hiess die Ablehnungsbegehren der Jugendanwaltschaft mit Beschlüssen
vom 13. Januar und 5. Februar 1981 gut. Marianne Herzog führt hiegegen
staatsrechtliche Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Beschlüsse der
Verwaltungskommission des Obergerichts beruhten auf einer willkürlichen
Sachverhaltsfeststellung und auf einer willkürlichen Anwendung des
kantonalen Rechts; ausserdem verletzten sie die Meinungsäusserungs- und die
Pressefreiheit sowie den Grundsatz der Gewaltentrennung. Es stellt sich die
Frage, ob die Beschwerdeführerin legitimiert ist, gegen einen Entscheid,
mit dem ein gegen sie eingereichtes Ablehnungsbegehren gutgeheissen wurde,
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
zu führen. Dass sie im Ausstandsverfahren zur Vernehmlassung aufgefordert
wurde, ist ohne Belang. Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde
bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Organisation
der Bundesrechtspflege (OG) und nicht danach, ob ein Beschwerdeführer im
kantonalen Verfahren Parteistellung hatte (BGE 104 Ia 159 mit Hinweisen).

    Zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) sind Bürger (Private)
und Korporationen befugt, wenn sie durch den angefochtenen Hoheitsakt
in einem ihnen persönlich zustehenden Individualrecht betroffen sind
(Art. 88 OG). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die angefochtene
Verfügung lediglich Befugnisse und Obliegenheiten zum Gegenstand hat,
die einem Bürger in seiner Eigenschaft als Beamter oder Mitglied einer
Behörde zukommen. Soweit nicht die private Rechtssphäre eines Beamten oder
Behördemitgliedes betroffen ist, sondern einzig jene öffentlichrechtliche
Stellung in Frage steht, kann eine kantonale oder kommunale Verfügung nicht
mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger
Rechte der Bürger angefochten werden (BGE 91 I 115 E. 2 mit Hinweisen;
Urteile vom 2. Juni 1976 i.S. Bachofner in ZBl 77/1976 S. 507 ff., vom
5. Oktober 1960 i.S. Schneeberger in ZBl 62/1961 S. 46 f., vom 14. November
1956 i.S. Joller in ZBl 58/1957 S. 52 f., vom 24. Februar 1949 i.S. Dübi
in ZBl 50/1949 S. 240; BIRCHMEIER, Über die Legitimation des Staates,
der Gemeinde und der Behörden zur staatsrechtlichen Beschwerde an das
Bundesgericht, ZBl 51/1950 S. 130 f.).

    Mit den angefochtenen Beschlüssen der Verwaltungskommission des
Obergerichts wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in drei beim
Jugendgericht hängigen Prozessen in den Ausstand zu treten habe. Sie kann
somit in jenen Fällen nicht mitwirken. Die Befugnis, in den Streitsachen
zu amten, die in die Zuständigkeit des Jugendgerichts fallen, kommt
der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Stellung als Justizbeamtin und
Mitglied der genannten Gerichtsbehörde zu. Wird ihr diese Befugnis
in einem bestimmten Fall entzogen, indem ein gegen sie eingereichtes
Ablehnungsbegehren gutgeheissen wird, ist sie dadurch ausschliesslich in
ihrer öffentlichrechtlichen Stellung als Beamtin und Behördemitglied
betroffen; ihre persönliche, private Rechtssphäre wird durch den
Ausstandsentscheid nicht berührt. Die Vorschriften der kantonalen
Gerichtsverfassungsgesetze über den Ausstand der Justizbeamten dienen
in erster Linie dem öffentlichen Interesse an einer unabhängigen und
unparteiischen Rechtsprechung sowie dem privaten Interesse der Parteien,
dass ihre Angelegenheit von einem unbefangenen Richter beurteilt
wird. Soweit sie ferner auch den Interessen des Justizbeamten dienen,
indem sie ihn davor bewahren, in einem Falle urteilen zu müssen, in
welchem er sich befangen fühlen könnte, handelt es sich nicht um seine
privaten Interessen, sondern um jene, die er in seiner Eigenschaft
als Beamter oder Behördemitglied hat. Zum Schutze solcher Interessen
steht aber die staatsrechtliche Beschwerde ihrer Rechtsnatur nach nicht
zur Verfügung. Sie ist ein Rechtsmittel zum Schutze der individuellen
Rechtssphäre gegen staatliche Eingriffe, und es lässt sich mit diesem
Charakter der Beschwerde nicht vereinbaren, sie auch da zuzulassen,
wo sich nicht der Staat und eine Privatperson, sondern ein allein
in seiner öffentlichrechtlichen Stellung betroffener Beamter und
der Staat gegenüberstehen. So wenig ein Richter befugt ist, sich mit
diesem Rechtsbehelf dagegen zur Wehr zu setzen, dass sein Entscheid
von einer kantonalen Rechtsmittelinstanz zum Beispiel wegen Willkür
aufgehoben wurde, so wenig kann er gegen die Gutheissung eines gegen ihn
eingereichten Ablehnungsbegehrens staatsrechtliche Beschwerde führen. In
beiden Fällen wird er durch den kantonalen Hoheitsakt ausschliesslich
in seiner amtlichen Stellung und nicht in seiner Rechtssphäre als
Bürger und Privatperson betroffen. Hingegen ist ein Beamter dann zur
staatsrechtlichen Beschwerdeführung legitimiert, wenn gegen ihn mit einer
kantonalen Verfügung eine Disziplinarmassnahme (Verweis, Ordnungsbusse,
Einstellung im Amte etc.) ausgesprochen wurde, denn im Gegensatz zu
den beiden erwähnten Fällen ist er durch eine solche, Strafcharakter
aufweisende Verfügung nicht nur in seiner öffentlichrechtlichen Stellung
als Beamter, sondern zugleich in seiner privaten Rechtssphäre (Privatehre,
Vermögen) berührt (BIRCHMEIER, in ZBl 51/1950 S. 131; BGE 30 I 248 f.;
Urteil vom 6. Dezember 1944 i.S. Roth). Bei den hier in Frage stehenden
Beschlüssen der Verwaltungskommission des Obergerichts handelt es sich
aber nicht um Disziplinarentscheide, sondern um Ausstandsentscheide,
mit denen bloss festgestellt wird, dass der Anschein der Befangenheit
besteht und gegen welche, wie ausgeführt, der betroffene Justizbeamte keine
staatsrechtliche Beschwerde erheben kann. Auf die vorliegende Beschwerde
ist daher nicht einzutreten.