Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 217



107 Ia 217

45. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. November
1981 i.S. Bohnet, Schwery und Bodenmann gegen Grosser Rat des Kantons
Wallis (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; Grossratswahlen nach dem Proporzsystem;
Restmandatsverteilung.

    Der Ausschluss der Listen, welche in der ersten Verteilung kein
Vollmandat erlangten, von der Restmandatsverteilung (Art. 67 WahlG-VS)
ist in einem Bezirk mit nur zwei Grossratsmandaten mit dem Grundsatz des
Proporzwahlverfahrens (Art. 84 Abs. 4 KV-VS) nicht vereinbar.

Sachverhalt

    A.- Am 1. März 1981 fand im Kanton Wallis die Wahl in den Grossen
Rat statt. Sie erfolgte bezirksweise. Im Bezirk Östlich Raron waren
zwei Grossräte zu wählen. Drei Listen wurden eingereicht, die folgende
Ergebnisse erzielten: - Liste 1 (CSP) 630 Parteistimmen = 25,57% - Liste
2 (CVP) 1189 Parteistimmen = 48,25% - Liste 3 (FDP) 645 Parteistimmen
= 26,18%
                   ------------------- 2464 Parteistimmen = 100%

    Bei einer Wahlzahl (Quotient) von 2464 : 3 = 822 erhielten in der
ersten Verteilung: - Liste 1 630 : 822 = 0 Sitze - Liste 2
1189 : 822 = 1 Sitz - Liste 3 645 : 822 = 0 Sitze

    Da der zweite Sitz in der ersten Verteilung nicht einer Liste
zugewiesen werden konnte, kam Art. 67 des Gesetzes über die Wahlen und
Abstimmungen vom 17. Mai 1972 (WahlG) zur Anwendung. Diese Bestimmung
hat folgenden Wortlaut:

    "Wenn nach dieser Verteilung nicht alle Sitze zugewiesen sind, wird
   die Gesamtstimmenzahl jeder Liste, die bei der ersten Verteilung
   einen Sitz erlangt hat, durch die um eins erhöhte Zahl der ihr
   zugeteilten Sitze geteilt und der erste unverteilte Sitz wird jener
   Liste zugewiesen, die den grössten Quotienten aufwies.

    Dieses Vorgehen wird sooft wiederholt, als Sitze zu verteilen
   verbleiben."

    Weil nur die Liste 2 ein Vollmandat erreicht hatte, wurde ihr der
zweite Sitz zugeteilt.

    Die im Bezirk Östlich Raron wohnhaften Stimmbürger Reinhard Bohnet,
Urs Schwery und Peter Bodenmann fochten das Ergebnis der Wahl an, weil
ihrer Auffassung nach die Regelung in Art. 67 WahlG dem Grundsatz des
Proporzwahlverfahrens widerspricht. Der Grosse Rat des Kantons Wallis
wies die Beschwerde am 16. März 1981 ab.

    Die drei Stimmbürger führen staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, den Entscheid des Grossen Rates aufzuheben und den die grösste
Stimmenzahl auf sich vereinigenden Kandidaten der Liste 3 für gewählt
zu erklären. Eventuell beantragen sie, den Grossen Rat anzuweisen, die
Wahl in diesem Sinne vorzunehmen. Die Beschwerdeführer anerkennen, dass
nach dem Wortlaut des Gesetzes die Liste 3 kein Mandat erhält; sie halten
jedoch Art. 67 WahlG mit dem in Art. 84 Abs. 4 KV niedergelegten Grundsatz
des Proporzwahlverfahrens für unvereinbar. Die Begründung der Beschwerde
ergibt sich - soweit notwendig - aus den nachstehenden Erwägungen. Der
Grosse Rat des Kantons Wallis schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Beschwerdeführer sind stimm- und wahlberechtigte Bürger
mit Wohnsitz im Bezirk Östlich Raron. Sie sind berechtigt, das Ergebnis
der Wahl in diesem Bezirk mit Stimmrechtsbeschwerde anzufechten. Die
Beschwerde erfüllt alle formellen Voraussetzungen. Das eine wie das andere
ist unbestritten. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

    b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer
Natur. Dies gilt auch für die Stimmrechtsbeschwerde (BGE 100 Ia 253 E. 1c
mit Hinweisen). Der Erlass positiver Anordnungen kann daher grundsätzlich
nicht verlangt werden. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der verfassungsmässige
Zustand nicht mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides hergestellt
wird (BGE 105 Ia 28/9). Eine solche Ausnahme besteht vorliegend nicht. Wird
die Beschwerde gutgeheissen, steht fest, dass das Restmandat nicht an die
Liste 2 fällt. Der Grosse Rat wird in diesem Fall zu entscheiden haben,
wem es zugeteilt wird. Zu dieser Frage äusserte er sich im angefochtenen
Entscheid nicht. Möglich ist, dass im Falle der Gutheissung der Beschwerde
eine Nachzählung durchgeführt wird, da der Stimmenunterschied zwischen den
Listen 1 und 3 klein ist. Unter diesen Umständen kann es nicht Sache des
Bundesgerichts sein, einen bestimmten Kandidaten als gewählt zu erklären,
bzw. dem Grossen Rat die Wahl vorzuschreiben. Soweit die Beschwerdeführer
daher mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides verlangen,
kann darauf nicht eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- a) Die Wahlen in den Grossen Rat erfolgen bezirksweise und
nach dem Proportional-Wahlverfahren. Das Gesetz bestimmt dessen
Anwendungsart (Art. 84 Abs. 4 KV). Die Kandidatenstimmen und die auf
die einzelnen Listen entfallenden Zusatzstimmen (leere Linien) werden
zusammengezählt (Parteistimmenzahl; Art. 64 WahlG). Die Verteilung
der Sitze erfolgt im Verhältnis zur Parteistimmenzahl nach der Methode
Hagenbach-Bischoff. Listen, die weniger als 10% des Parteistimmentotals
erreichen, sind von der Verteilung ausgeschlossen (Quorum; Art. 64 Abs. 1
WahlG). In der ersten Verteilung erhält jede Liste so viele Sitze, als die
Wahlzahl (Quotient; Gesamtheit der Stimmen aller Listen dividiert durch
die Zahl der zu vergebenden Sitze + 1) in der Stimmenzahl der betreffenden
Liste enthalten ist (Art. 66 WahlG). Die nach der ersten Verteilung übrig
gebliebenen Sitze (Restmandate) werden den einzelnen Listen sodann nach der
beim System Hagenbach-Bischoff üblichen Methode des grössten Quotienten im
Verfahren nach Art. 67 WahlG zugewiesen (vgl. Bericht der Studienkommission
zur Prüfung von Reformvorschlägen für die Wahl des Nationalrates und das
Stimmrechtsalter, Bern 1972, S. 14, im folgenden: Reformbericht).

    b) Im vorliegenden Fall erreichte allein die Liste 2 die erforderliche
Stimmenzahl zur Erlangung eines Vollmandates. Die Beschwerdeführer
bestreiten nicht, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes beide Sitze
der Liste 2 zufallen. Sie machen jedoch geltend, Art. 67 WahlG stehe
insofern im Widerspruch zu Art. 84 Abs. 4 KV, als die in der ersten
Verteilung leer ausgegangenen Listen von der Zuweisung der Restmandate
ausgeschlossen sind. Dies führe zu einer Sperrwirkung, welche den
Grundsätzen der Proporzwahl zuwiderlaufe, und habe namentlich in
kleinen Wahlkreisen zur Folge, dass eine Partei mit weniger als 50%
der abgegebenen Stimmen alle verfügbaren Sitze erhalte. Es stellt sich
demnach die Frage, ob der Ausschluss von der zweiten Verteilung vor
Art. 84 Abs. 4 KV standhält. Bei Beschwerden betreffend die politische
Stimmberechtigung und kantonale Wahlen oder Abstimmungen prüft das
Bundesgericht die Auslegung des kantonalen Verfassungsrechtes und des
übrigen kantonalen Rechtes frei, soweit das kantonale Recht das Stimm- und
Wahlrecht zum Gegenstand hat. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst
das Bundesgericht sich jedoch der von der obersten kantonalen Behörden
vertretenen Auffassung an (BGE 105 Ia 82 E. 4 mit Hinweisen). Erweist
sich die Rüge der Verfassungswidrigkeit als begründet, führt dies nicht
zur Aufhebung der fraglichen Vorschrift, sondern nur zur Kassation des
angefochtenen Entscheides. Das Bundesgericht prüft nur, ob die Anwendung
von Art. 67 WahlG unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles
gegen die Verfassung verstösst. Es untersucht nicht, wie es sich mit der
Verfassungsmässigkeit der Bestimmung unter anderen, als den vorliegenden
Gegebenheiten verhält (BGE 103 Ia 560 E. 3a mit Hinweis).

Erwägung 3

    3.- a) Ein proportionales Wahlverfahren kennzeichnet sich
seinem Ziel nach dadurch, dass es verschiedenen Gruppierungen eine
Vertretung ermöglicht, die weitgehend ihrem Wähleranteil entspricht. Die
Ausgestaltung des Verhältniswahlverfahrens kann verschieden erfolgen. Der
kantonale Gesetzgeber, dem von Verfassungs wegen das Proporzwahlverfahren
vorgeschrieben ist, kann sich innerhalb dieses Gestaltungsspielraums frei
für eine Lösung entscheiden. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, darin
einzugreifen und seine Beurteilung an Stelle derjenigen des kantonalen
Gesetzgebers zu setzen (BGE 103 Ia 561).

    b) Die Wahl in den Grossen Rat erfolgt bezirksweise (Art. 84
Abs. 4 KV). Die heutige Bezirkseinteilung ist weitgehend geschichtlich
bedingt. Die Walliser Bezirke entsprechen den früheren "Zenden"
(ausser Östlich Raron). Die Einteilung in Wahlkreise hat zur Folge,
dass die Parteien nicht im genauen Verhältnis zu ihrer gesamtkantonalen
Stärke im Grossen Rat vertreten sind. Die Abstufung der Mandatszuteilung
nach der Parteistärke wird durch die bezirksweise Wahl erschwert. Diese
Wahlart begünstigt im allgemeinen die grossen Gruppierungen. Dies trifft
vornehmlich in Wahlkreisen mit wenig zu vergebenden Mandaten zu, wie im
Bezirk Östlich Raron. Anderseits ermöglicht diese Ordnung kleinen Parteien
mit regional oder örtlich starker Anhängerschaft eine Vertretung im Grossen
Rat, welche deren Bedeutung im ganzen Kanton nicht entspricht. Dennoch
verzerrt die bezirksweise Wahl das Ergebnis des Wahlverfahrens nicht in
einem Masse, das mit Art. 84 Abs. 4 KV nicht vereinbar wäre (vgl. BGE
103 Ia 609).

    c) Kein Verstoss gegen Art. 84 Abs. 4 KV ist ferner darin zu
erblicken, dass der Gesetzgeber Vorkehren gegen die nachteiligen Folgen
des Verhältniswahlverfahrens trifft; insbesondere darf er im Wahlgesetz
Massnahmen gegen die Zersplitterung der politischen Kräfte treffen. Solchen
Einschränkungen sind indessen Grenzen gesetzt. Sie sind unzulässig, wenn
die getroffene Lösung das Wesen des proportionalen Wahlverfahrens verändert
und damit im Widerspruch zur kantonalen Verfassungsvorschrift geraten
(BGE 103 Ia 562/3 E. 3c mit Hinweis; BENNO SCHMID, Die Listenverbindung
im schweizerischen Proportionalwahlrecht, Diss. Zürich 1961, 32 ff.).

    Eine erste erschränkende Massnahme stellt ein Quorum für die
Beteiligung der Listen an der Mandatsverteilung dar, wie es der Kanton
Wallis in Art. 65 Abs. 1 WahlG kennt (10% des Parteistimmentotals). Die
mit dem Proporzgrundsatz vereinbare Höhe eine Quorums bildete Gegenstand
verschiedener früherer Urteile des Bundesgerichtes, namentlich BGE 103
Ia 603 ff. In diesem Entscheid (E. 6c) erachtete das Bundesgericht das
im Kanton Wallis geltende Quorum von 10% der Parteistimmen als an der
oberen Grenze des Zulässigen liegend.

    Auch die Grösse der Wahlkreise wirkt gegebenenfalls als beschränkende
Massnahme gegen die Zersplitterung der politischen Kräfte; denn in kleinen
Wahlkreisen macht die Wahlzahl, die für die Zuteilung eines Vollmandates
notwendig ist, einen höheren Prozentsatz der Gesamtstimmenzahl aus als
in einem bevölkerungsstarken Wahlkreis. In den bevölkerungsstarken
Wahlkreisen mit zahlreichen Mandaten erreicht unter Umständen eine
Liste die Wahlzahl, obwohl sie nicht auf 10% der Wählerstimmen kommt;
in den kleineren Wahlkreisen erreicht sie dagegen oft mehr als 10% der
Wählerstimmen, kommt aber nicht auf die Wahlzahl. So waren bei den letzten
Wahlen in sieben Bezirken des Kantons zur Erreichung der Wahlzahl, also zur
Erlangung eines Vollmandates, zwischen 12,5% und 33,3% der Wählerstimmen
notwendig. Der blosse Umstand, dass die Wahlkreise verschieden gross sind
und deshalb für die Erlangung eines Vollmandates ein verschieden hoher
Prozentsatz der Gesamtparteistimmen notwendig ist, verletzt an sich Art. 84
Abs. 4 KV nicht (vgl. unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom
21. Dezember 1977 i.S. Mauris, E. 5 und 6). Zu prüfen ist jedoch, ob es
mit Art. 84 Abs. 4 KV vereinbar ist, das Erreichen der Wahlzahl auch zur
Bedingung zu machen, um an der Verteilung der Restmandate teilnehmen zu
können, ein Vorgehen, das in der Literatur als sogenanntes "natürliches"
oder "indirektes Quorum" bezeichnet wird (EMIL KLÖTI, Die Proportionalwahl
in der Schweiz, Bern 1901, S. 397; B. SCHMID, aaO, S. 32; Reformbericht
S. 15) und das gerade in den kleinen Wahlkreisen wirksam wird, wo das
10%-Quorum keine praktische Bedeutung hat.

    Auf den ganzen Kanton Wallis bezogen, ist die Bedeutung dieses
Ausschlusses zwar eher gering. Anlässlich der Grossratswahlen 1981 wäre
ohne die fragliche Bestimmung in Art. 67 WahlG einzig in den beiden
Bezirken Östlich Raron und Leuk je ein Restmandat einer anderen Liste
zugefallen. Doch umfasst der Kanton Wallis immerhin sieben Bezirke, in
denen der Ausschluss aktuell werden könnte, weil der Quotient (Wahlzahl)
- d.h. die Gesamtstimmenzahl geteilt durch die Zahl der Mandate plus 1 -
mehr als 10% der Gesamtstimmenzahl ausmacht, nämlich einen Bezirk mit
2 Mandaten (Östlich Raron, für ein Vollmandat benötigte Wahlzahl 33,3%
der Gesamtstimmenzahl), einen Bezirk mit drei Mandaten (Goms, 25%), einen
Bezirk mit vier Mandaten (Westlich Raron, 20%), drei Bezirke mit sechs
Mandaten (Hérens, Entremont und Saint-Maurice, 14,3%) und einen Bezirk
mit sieben Mandaten (Leuk, 12,5%). In allen diesen sieben Bezirken wird
die Bevorteilung der grossen Parteien, die durch die kleinen Wahlkreise
und die Restmandatsverteilung nach dem grössten Quotienten ohnehin schon
ausgeprägt ist (Reformbericht S. 27, 28 und 40/1; B. SCHMID, aaO, S. 32),
durch den Ausschluss der kleineren Parteien von der Restmandatsverteilung
noch wesentlich verstärkt.

    Vor dem Grossen Rat wurde dieses sogenannte "natürliche Quorum" mit dem
Kampf gegen die Parteienzersplitterung begründet (vgl. die seinerzeitige
Begründung vor dem Grossen Rat im Bulletin des Séances du Grand Conseil,
Session ordinaire de mai 1972, S. 292 und Session extraordinaire de
février 1972, S. 82). Soweit das sogenannte "natürliche Quorum" tatsächlich
ein taugliches Mittel gegen die Aufsplitterung der Wählerschaft in sehr
kleine Wählergruppen darstellt, ist es mit Art. 84 Abs. 4 KV vereinbar;
die Methode wird jedoch verfassungswidrig, wenn sie grössere Minderheiten,
die keineswegs als Splittergruppen bezeichnet werden können, von der
Restmandatsverteilung ausschliesst.

    d) Die Wähler, die am 25. Januar 1920 der bezirksweisen Proporzwahl
in den Grossen Rat und am 21. Dezember 1952 der Neufassung des Art. 84
KV zugestimmt haben, durften davon ausgehen, dass das Gesetz, das die
Anwendungsart des proportionalen Wahlverfahrens zu bestimmen hat, so
gefasst werde, dass es Minderheitsgruppen, die keine Splittergruppierungen
sind, eine faire Chance geben werde, sich an der Mandatsverteilung
zu beteiligen. Dieses Vertrauen in eine sinngemässe Anwendung des
angenommenen Verfassungstextes verdient Schutz. Wenn schon die Wahl in
kleinen Wahlkreisen die grösseren Parteien begünstigt, muss zumindest die
Restmandatsverteilung so geordnet werden, dass sie bedeutenden Minderheiten
eine faire Chance lässt, ein Restmandat zu erobern. Die Bürger, die der
Verfassungsbestimmung zustimmten, mussten nicht damit rechnen, dass der
Grosse Rat gestützt auf die Verfassungsbestimmung ein Gesetz annehmen
und dem Volk vorlegen werde, das in seiner Anwendung in den kleineren
Bezirken gerade keine Mandatsverteilung gewährleistet, die der effektiven
Parteistärke möglichst nahekommt. Wohl ist das Wahlgesetz 1972 von der
Mehrheit des Volkes angenommen worden, doch steht die Verfassung, die
vom Bunde gewährleistet wurde, über dem Gesetz. Wenn in einem konkreten
Falle die wortgetreue Anwendung des Gesetzes zu einem Ergebnis führt,
das mit dem gewährleisteten Verfassungsgrundsatz nicht in Einklang steht,
muss das Wahlergebnis als verfassungswidrig aufgehoben werden; es gehört zu
den Pflichten des Bundesgerichts, gegebenenfalls den verfassungsmässigen
Rechten der Minderheiten auch gegenüber einem von der Mehrheit des Volkes
angenommenen Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen.

    e) Der Ausschluss von der Restmandatsverteilung trifft im Bezirk
Östlich Raron nach Art. 67 Abs. 1 WahlG jede Partei, die nicht mehr
als 33,3% aller Parteistimmen erzielt. Er kann zur Folge haben, dass
eine Partei mit nur 33,4% der Parteistimmen beide Sitze des Bezirkes
erhält, sofern keine andere Partei ebenfalls diesen Parteistimmenanteil
erreicht. Bei der Grossratswahl 1981 erhielt denn auch die Liste 2 die
beiden zu vergebenden Sitze mit einem Stimmenanteil von nur 48,25%, also
weniger als der Hälfte aller Stimmen. Die Liste 2 benötigte für einen
Sitz nur je 24,125% der Stimmen, während die Listen 1 und 3 mit 25,57%
bzw. 26,18% der abgegebenen Stimmen leer ausgingen. Dieses Ergebnis
läuft dem Zweck der in Art. 67 WahlG gewählten Methode des sogenannten
grössten Quotienten für die Restmandatsverteilung zuwider, wonach auf
jedes zugeteilte Mandat eine möglichst grosse Zahl abgegebener Stimmen
entfallen soll (BRIDEL, Précis de droit constitutionnel et public suisse,
Bd. II S. 69 N. 418). Die von der Restmandatsverteilung ausgeschlossenen
Parteien, deren Listen einen Viertel aller Parteistimmen oder mehr auf
sich vereinigten, können nicht als Splittergruppen bezeichnet werden. Ein
solches Ergebnis ist mit einem Proportionalwahlverfahren nicht mehr
vereinbar. Ein Proportionalwahlverfahren muss einer Minderheit von mehr
als einem Viertel der Wähler grundsätzlich auch in einem kleinen Wahlkreis
die Möglichkeit einräumen, ein Restmandat zu erobern.

    f) Das Bundesgericht hielt in BGE 103 Ia 563 ff. den Ausschluss einer
Liste von der Restmandatsverteilung für zulässig, welche weniger als ein
Sechstel der Parteistimmen für die Wahl des fünfköpfigen Gemeinderates
Grächen (VS) erzielt hatte. Die Wahl in einen Gemeinderat unterscheidet
sich aber grundsätzlich von derjenigen in den Grossen Rat, und dies
nicht nur aus den von den Beschwerdeführern genannten Gründen. Vor allem
sind bei der Grossratswahl im einzelnen Wahlkreis nur ein Bruchteil aller
Ratsmitglieder zu wählen. Eine Minderheit in einem Wahlkreis braucht nicht
eine im ganzen Kanton unbedeutende Kraft zu sein. Einzelne Restmandate
in kleinen Wahlkreisen sind daher für die proportionale Vertretung
der Parteien im Grossen Rat von Bedeutung (Urteil i.S. Geissbühler in
JdT 110/1962 I S. 271 ff., E. 4a). Soweit das Bundesgericht im Urteil
i.S. Mauris betreffend die Grossratswahlen im Bezirk Hérens den Ausschluss
von der Restmandatsverteilung, der damals nicht als verfassungswidrig
angefochten war, unter Hinweis auf BGE 103 Ia 563 ff. als verfassungsmässig
bezeichnete, kann an jener Auffassung zumindest in der dort verwendeten
allgemeinen Form nicht festgehalten werden.

    Die Gutheissung der Beschwerde im vorliegenden Falle, wo die nicht
berücksichtigten Minderheiten mehr als ein Viertel der Wähler ausmachten,
heisst nicht, dass das sogenannte natürliche Quorum generell mit dem
Verfassungsgrundsatz der Proporzwahl unvereinbar wäre. Es darf aber
nicht für Parlamentswahlen nach dem Proporz in Wahlkreisen mit einer
sehr kleinen Mandatszahl angewendet werden, wie im vorliegenden Falle bei
einem Wahlkreis mit nur zwei Mandaten, weil es hier zu Ergebnissen führt,
die mit dem Sinn und Geist von Art. 84 Abs. 4 KV nicht mehr vereinbar
sind. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, hier die Grenze in Form
einer Mindestmandatzahl pro Wahlkreis zu bestimmen, unter der das System
des natürlichen Quorums verfassungswidrige Ergebnisse zeitigt. Es wird
vielmehr Sache des Grossen Rates sein, diese Frage mit Bezug auf ihre
Auswirkungen in den übrigen Bezirken zu prüfen, und dementsprechend den
Anwendungsbereich von Art. 67 WahlG so weit einzuschränken, dass er nicht
zu einer verfassungswidrigen Beschränkung der Minderheitsrechte führt.

    g) Das verfassungswidrige Ergebnis der Anwendung von Art. 67 WahlG im
vorliegenden Falle muss zur Aufhebung des Beschlusses des Grossen Rates
betreffend die Verteilung der Sitze im Bezirke Östlich Raron führen;
es wird Sache des Grossen Rates sein, die Verteilung der Sitze im Bezirk
Östlich Raron im Lichte der Erwägungen dieses Urteiles neu vorzunehmen,
ohne die strittige Vorschrift des Art. 67 WahlG anzuwenden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist,
und der Entscheid des Grossen Rates des Kantons Wallis vom 16. März 1981
wird aufgehoben.