Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 198



107 Ia 198

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
20. Mai 1981 i.S. Kano Trading Limited gegen The Sanko Steamship Company
Limited und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, Willkür. Vollstreckung eines ausländischen Urteils.

    Das englische "Verfahren nach Order 14" verstösst nicht gegen den
ordre public gemäss § 302 der Zürcher Zivilprozessordnung.

Sachverhalt

    A.- Der Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht
Zürich erklärte am 4. April 1979 ein in einem Schadenersatzprozess im
sogenannten Verfahren nach Order 14 ergangenes Urteil des High Court of
Justice Queen's Bench Division, London, als vollstreckbar. Die Kano
Trading Limited, Beklagte in jenem Schadenersatzprozess, in dem es um
einen anlässlich der Erfüllung eines Vertrags auf Schiffsmiete entstandenen
Forderungsstreit ging, focht diese Vollstreckbarerklärung erfolglos beim
Obergericht und beim Kassationsgericht des Kantons Zürich an. Gestützt
auf Art. 4 BV erhebt sie gegen das Urteil des Kassationsgerichts
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde
ab. Vorab hält es fest, mangels eines entsprechenden Staatsvertrags
zwischen der Schweiz und Grossbritannien entscheide sich die Frage, ob
ein englisches Urteil in der Schweiz zu vollziehen sei, nach den Regeln
des kantonalen Zivilprozessrechts; das Bundesgericht habe deshalb nur
zu prüfen, ob das Kassationsgericht bei der Auslegung der massgebenden
Bestimmungen in Willkür verfallen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss § 302 der Zürcher Zivilprozessordnung (ZPO) wird ein
ausländischer Entscheid nicht vollstreckt, "wenn er gegen wesentliche
Grundsätze der schweizerischen Rechtsordnung (ordre public) verstösst
oder unter Verletzung solcher Grundsätze zustande gekommen ist". Dieser
Vorbehalt des schweizerischen ordre public bedeutet, dass die Vollstreckung
eines Urteils nicht schon mit dem Einwand abgewendet werden kann, das
Urteil sei in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unrichtig oder
sogar gesetzwidrig; die Vollstreckung darf vielmehr nur dann verweigert
werden, wenn der Entscheid wesentliche Grundsätze der schweizerischen
Rechtsordnung verletzt. Das Gesetz bezieht sich hier auf den von der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Bezug auf die Vollstreckung
eines ausländischen Urteils im Staatsvertragsrecht entwickelten Begriff
des ordre public (Kommentar STRÄULI/MESSMER N. 17 zu § 302 ZPO). Eine
Verletzung des ordre public setzt deshalb voraus, dass der konkrete
Entscheid in unerträglicher Weise gegen schweizerisches Rechtsempfinden
verstösst, mit schweizerischer Rechtsauffassung gänzlich unvereinbar ist
(BGE 102 Ia 314 mit Hinweisen). Im Einklang mit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung verdeutlicht die Vorschrift, dass der ordre public nicht
nur durch den Inhalt des zu vollziehenden Entscheids verletzt werden kann,
sondern auch durch das Verfahren, in dem dieser ergangen ist (Kommentar
STRÄULI/MESSMER aaO N. 18; vgl. BGE 105 Ib 47 E. 2b mit Hinweisen).

    Wie dargelegt, ist im folgenden nur zu prüfen, ob das Kassationsgericht
diese Grundsätze willkürlich angewendet hat.

Erwägung 4

    4.- Das Urteil, das vollstreckt werden soll, ist im sogenannten
Verfahren nach Order 14 ergangen. Die Beschwerdeführerin hält dafür,
dieses Verfahren widerspreche an sich dem ordre public, weshalb die
Vollstreckbarerklärung eines solchen Urteils bereits aus diesem Grund
unhaltbar sei.

    Das Verfahren nach Order 14 ist ein summarisches Verfahren,
das eingeführt wurde, um das kostspielige Verfahren der mündlichen
Hauptverhandlung (trial) nicht in allen Fällen durchführen zu müssen
(COHN in einer Anmerkung zu einem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs,
NJW 1970 S. 1507). Das Verfahren erlaubt eine beschleunigte endgültige
Entscheidung. Es setzt voraus, dass der Kläger neben der Einreichung der
Klage einen besonderen Antrag stellt und ein Affidavit vorlegt, um die
in der Klageschrift behaupteten Tatsachen sowie den Umstand glaubhaft
zu machen, dass der Beklagte keine stichhaltigen Gründe ("no defence")
gegen den Klageanspruch vorbringen könne. Anschliessend erhält der Beklagte
Gelegenheit, auf dieselbe Weise Einreden oder Einwände glaubhaft zu machen
und damit die Durchführung des ordentlichen Verfahrens mit der mündlichen
Hauptverhandlung zu erwirken. Dabei darf ihm die Möglichkeit, sich in
öffentlicher mündlicher Hauptverhandlung zu verteidigen, nur dann genommen
werden, wenn seine Verteidigung offensichtlich nichts taugt oder wenn
sich aus anderen Gründen aus seinen eigenen Vorbringen, einschliesslich
der von ihm vorgelegten Affidavits, ergibt, dass ihm keine ernsthaften
Verteidigungsargumente zur Verfügung stehen (COHN aaO S. 1507). Ferner
steht dem Beklagten auch im Verfahren nach Order 14 der Instanzenzug offen.

    Die Beschwerdeführerin wendet vor allem ein, der ordre public werde
dadurch verletzt, dass das Verfahren bloss eine Glaubhaftmachung der
Parteistandpunkte verlange, dann aber gleichwohl zu einem rechtskräftigen
materiellen Urteil führen könne. Bei dem ausgewogenen Verfahren, in dem
beiden Parteien eine gleichwertige Stellung zukommt, und der gründlichen
Überprüfungsmöglichkeit durch mehrere Instanzen schlägt indessen dieser
Einwand nicht durch. Ebensowenig ist angesichts dieser Garantien der
weitere Einwand stichhaltig, wonach die Beschwerdeführerin in einem
ordentlichen Verfahren weitergehende Unterlagen und Zeugeneinvernahmen
verlangen könnte. Es ist daher ausgeschlossen, das Verfahren an sich als
gegen den ordre public verstossend anzusehen; noch viel weniger könnte
darin eine willkürliche Anwendung des § 302 ZPO erblickt werden.

Erwägung 5

    5.- Die Beschwerdeführerin hält ferner die konkrete Durchführung
des Verfahrens nach Order 14 in ihrem Fall für willkürlich. Sie meint,
die Voraussetzungen für die Anwendung des Verfahrens seien nicht erfüllt
gewesen. Namentlich habe die dem Schadenersatzanspruch zugrunde liegende
Streitfrage nicht so eindeutig für das klägerische Begehren gesprochen. Im
Gegensatz zur klägerischen Darstellung sei von Anfang an vereinbart worden,
dass das umstrittene Schiff auf der Werft von Osaka hätte gebaut werden
müssen, was sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte des Vertrags
ergebe.

    Die Beschwerdeführerin hält somit das der Vollstreckung zugrunde
liegende Urteil in bezug auf die strittige Vertragsauslegung für
unrichtig. Unter dem Gesichtspunkt des ordre public ist indessen, wie
ausgeführt, die Vollstreckung selbst eines materiell unrichtigen Urteils
nur dann ausgeschlossen, wenn es mit der schweizerischen Rechtsauffassung
gänzlich unvereinbar ist. Die englischen Richter - sowohl der Einzelrichter
als auch der Court of Appeal - haben die strittige vertragliche Abmachung
zwischen den Parteien so ausgelegt, dass ihr nach dem Wortlaut und der
Systematik nicht die Bedeutung zukommen könne, das fragliche Schiff
hätte auf der Werft von Osaka gebaut werden müssen. Sie nahmen an,
in bezug auf die entscheidenden Punkte liege der Fall gleich wie der
letztinstanzlich vom House of Lords beurteilte Fall "Diana Prosperity". Die
Beschwerdeführerin bestreitet zwar, dass dieser Fall gleich liege wie
der ihrige; sie vermag indessen nicht im einzelnen darzutun, inwiefern
die Überlegungen des Court of Appeal, der sich mit diesem Einwand
einlässlich auseinandergesetzt und ihn verworfen hat, nicht stichhaltig
sein sollten. Im übrigen ist angesichts des Wortlauts und der Systematik
der Vertragstexte, die den englischen Richtern vorlagen, die Bejahung der
Schadenersatzpflicht der Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt des
ordre public auf jeden Fall nicht zu beanstanden. Daran ändert auch nichts,
dass der Entscheid für die Beschwerdeführerin schwerwiegende Auswirkungen
hat, wie sie hervorhebt. Diese Auswirkungen sind nicht durch die Anwendung
des Verfahrens nach Order 14 bedingt; sie bilden vielmehr eine Folge
der hohen Schadenersatzforderung, die den Rechtsstreit auslöste. Eine
willkürliche Anwendung des § 302 ZPO liegt daher keineswegs vor.

    Bei dieser Sachlage brauchte das Kassationsgericht nicht noch weiter
auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Frage der Vertragsauslegung
einzugehen. Soweit die Beschwerdeführerin darin eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs erblickt, geht ihre Rüge fehl.

    Ferner bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren
nach Order 14 nicht korrekt durchgeführt worden wäre. Soweit die
Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs behauptet, fällt ein Verstoss gegen den ordre public oder gar eine
willkürliche Anwendung des § 302 ZPO offensichtlich nicht in Betracht. Die
Beschwerdeführerin konnte ihren Standpunkt in verschiedenen Affidavits
vortragen und den Instanzenzug ausschöpfen. Soweit sie beanstandet,
sie hätte im ordentlichen Verfahren verlangen können, dass die Klägerin
alle relevanten Dokumente vorlege und dass Zeugen einvernommen würden,
richtet sich ihr Einwand gegen das Verfahren an sich und ist bereits dort
widerlegt worden.