Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 152



107 Ia 152

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 14. Oktober 1981 i.S. Firestone (Schweiz) AG gegen Gewerkschaft
Textil-Chemie-Papier und Schweiz. Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband,
Kantonales Einigungsamt Baselland als Schiedsgericht und Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Schiedsgerichtsbarkeit.

    1. Einsetzung eines staatlichen Einigungsamtes als privates
(vertragliches) Schiedsgericht in Kollektivarbeitsstreitigkeiten. Dem
stehen weder Bundesrecht (vgl. Art. 34 des Fabrikgesetzes vom 18. Juni
1914) noch das basellandschaftliche Recht entgegen.

    2. Die Schiedsrichter müssen gemäss Art. 11 Abs. 2 des schweizerischen
Konkordates über die Schiedsgerichtsbarkeit von den Parteien nicht
namentlich bezeichnet werden, sondern es genügt die Angabe ihrer
Stellung. Die Annahme des Amtes kann auch durch konkludentes Verhalten
erfolgen.

Sachverhalt

    A.- In der Folge der Stillegung der Produktion im Werk Pratteln der
Firma Firestone (Schweiz) AG verurteilte das von den Parteien aufgrund des
Kollektivarbeitsvertrages vom 10. Juli 1973 als Schiedsgericht angerufene
kantonale Einigungsamt Baselland am 23. November 1979 die Firma zu einer
hohen Konventionalstrafe an die Gewerkschaft Textil-Chemie-Papier und den
Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband. Das Obergericht
des Kantons Basel-Landschaft wies mit Entscheid vom 28. Oktober 1980
die von der Firma hiegegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ab. Mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV verlangt
die Firma Firestone (Schweiz) AG die Aufhebung beider Entscheide. Beide
Parteien vertreten unter anderem die Ansicht, das Einigungsamt habe nicht
als privates (vertragliches) Schiedsgericht geurteilt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) Vorweg ist festzuhalten, dass Ziffer 20 Punkt 3 des
Kollektiv-Arbeitsvertrags (KAV) vom 10. Juli 1973 ausdrücklich bestimmt:

    "Das Einigungsamt entscheidet in solchen Streitigkeiten (über die

    Auslegung oder Anwendung des KAV) nicht in seiner Eigenschaft als
   staatliches Einigungsamt, sondern als Schiedsgericht an Stelle des
   ordentlichen Zivilrichters."

    Dementsprechend hat sich das Einigungsamt während des ganzen Verfahrens
als vertragliches Schiedsgericht betrachtet (vgl. Ingress der Vorladung
vom 22. Juni 1978 zur Prozesseinleitungsverhandlung vom 29. Juni 1978,
Ziffern 2 bis 4 des Protokolls dieser Verhandlung, und Eröffnungsvermerk im
Protokoll der Schiedsgerichtssitzung vom 21. November 1979). Die Parteien
erhoben gegen diese Auffassung keine Einwände. Die Beschwerdegegner
stimmten ihr mehrmals ausdrücklich zu (vgl. die Bezeichnung des Gesuchs
vom 16. Juni 1978 um Eröffnung des Verfahrens, die Einleitung der
Klagebegründung Ziffer 5 und vor allem das Plädoyer des Vertreters der
Beschwerdegegner an der Schiedsgerichtssitzung vom 21. November 1979),
und die Beschwerdeführerin vertrat noch im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren
mit einlässlicher Begründung den Standpunkt, dass das Einigungsamt als
vertragliches (oder privates) Schiedsgericht und nicht als staatliche
Behörde gehandelt habe (vgl. Vernehmlassung vom 27. Juni 1980 mit
Privatgutachten von Prof. S.).

    Dieser Auffassung steht keine Bestimmung des eidgenössischen oder
kantonalen Rechts entgegen. Die Institution der kantonalen Einigungsämter
beruht auf den Art. 30, 31 und 33 bis 35 des Bundesgesetzes betreffend
die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914 (Fabrikgesetz), die - im
Gegensatz zum übrigen Inhalt dieses Gesetzes - durch das Bundesgesetz
über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964
(Arbeitsgesetz) nicht aufgehoben worden sind (vgl. Art. 72 Abs. 2 lit. b
ArG). Art. 34 bestimmt, die Parteien könnten den Einigungsstellen im
einzelnen Falle die Befugnis übertragen, verbindliche Schiedssprüche zu
fällen, und Art. 35 sagt, die Kantone könnten den Einigungsstellen weitere
als die im Fabrikgesetz vorgesehenen Aufgaben übertragen. Für den Kanton
Basel-Landschaft enthält die Vollziehungsverordnung vom 19. Januar 1920 die
massgebenden Ausführungsbestimmungen: § 8 Abs. 1 sagt in allgemeiner Form,
für das Verfahren bei Zivilstreitigkeiten zwischen dem Fabrikinhaber und
den Arbeitern gälten die Bestimmungen der Zivilprozessordnung mit gewissen
Abweichungen, und § 13 Abs. 2 bestimmt:

    "Einen Entscheid zu treffen, der für die Parteien verbindlich wäre,
   ist das Einigungsamt nur befugt, sofern die Parteien übereinstimmend zu

    Protokoll erklären, dass sie dies dem Amt übertragen."

    Das Recht des Kantons Basel-Landschaft geht somit in dieser Frage
nicht über die bundesrechtliche Minimalvorschrift von Art. 34 des
Fabrikgesetzes hinaus. Von der Möglichkeit, dem Einigungsamt weitere
Befugnisse zu übertragen, hat der Kanton keinen Gebrauch gemacht. Demnach
ist der normale Weg, auf dem im Kanton Basel-Landschaft kollektive
Arbeitsstreitigkeiten zum verbindlichen Entscheid gebracht werden,
derjenige des ordentlichen Zivilprozesses. Den Parteien steht es aber
frei, im Einzelfall die Entscheidung statt dessen dem Einigungsamt,
also einer staatlichen Verwaltungsbehörde, zu übertragen. Schliesslich
sind sie auch berechtigt, ihren Streit durch ein Schiedsgericht im Sinne
der §§ 271 ff. ZPO beurteilen zu lassen, da der streitige Anspruch
ihrer freien Verfügung unterliegt und im Gesetz jeder Anhaltspunkt dafür
fehlt, dass die Entscheidung solcher Streitigkeiten ausschliesslich einer
staatlichen Instanz vorbehalten werden sollte (vgl. §§ 13 und 271 ZPO sowie
Art. 5 des Konkordates). Die Parteien haben hier von den drei Wegen den
letztgenannten gewählt und das Einigungsamt des Kantons Basel-Landschaft
als Schiedsgericht bezeichnet.

    Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner mussten im übrigen
die Schiedsrichter gemäss Art. 11 Abs. 2 des Konkordates nicht
namentlich bezeichnet werden, sondern es genügte die Angabe ihrer
Stellung (vgl. GULDENER, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 605, N. 57;
RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 124, N. 2c
und S. 132 f., N. 3; WIGET in Komm. Sträuli/Messmer zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, N. 5 zu § 242). In den beiden erstgenannten
Werken wird ausdrücklich darauf hingewiesen, die als Schiedsrichter
bezeichneten Amtsträger würden nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern als
Privatpersonen tätig. Was sodann die Annahme des Amtes betrifft, so kann
diese auch durch konkludentes Verhalten erfolgen (PANCHAUD, Concordat
suisse sur l'arbitrage, Edition quadrilingue, Fussnote zu Art. 14). Im
vorliegenden Falle wurden die Mitglieder des Einigungsamtes durch ein
ausführliches Schreiben des Präsidenten vom 6. September 1979 darauf
hingewiesen, dass das Einigungsamt von den Parteien als Schiedsgericht
bezeichnet worden sei und dass es sich bei diesem Verfahren um einen
gerichtlichen Prozess handle, in dem jedem Mitglied die Funktion eines
Richters zufalle, der einzig nach Recht und Gesetz zu entscheiden habe. An
der Sitzung vom 21. November 1979 betonte der Präsident einleitend erneut,
dass das Einigungsamt hier nicht als solches, sondern als Schiedsgericht
zu amten habe. Wenn hierauf sämtliche Mitglieder des Einigungsamtes ohne
Widerspruch an der Verhandlung und der anschliessenden Beratung teilnahmen,
so kann ohne jeden Zweifel ein schlüssig erklärtes Einverständnis mit
ihrer Ernennung angenommen werden.

    Das Einigungsamt hat demnach in der vorliegenden Streitsache zweifellos
als vertragliches (privates) Schiedsgericht entschieden, weshalb auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden kann, soweit sie
sich gegen dessen Urteil richtet.