Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 112



107 Ia 112

22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11.
September 1981 i.S. Pyramide-Musik-Club gegen Regierungsrat des Kantons St.
Gallen und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; St. Gallisches Gesetz über das Gastwirtschaftsgewerbe und
den Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 26. Februar
1945 (Wirtschaftsgesetz).

    1. Es ist nicht willkürlich, einen in der Rechtsform des Vereins
geführten "Club-Betrieb", in welchem die Besucher praktisch die
Annehmlichkeiten eines bewilligten Nachtlokals geniessen, dem
St. Gallischen Wirtschaftsgesetz zu unterstellen.

    2. Die extensive Auslegung des Begriffes "beherbergen" oder ein
entprechender Analogieschluss dient in solchen Fällen der Aufrechterhaltung
und richtigen Weiterbildung der Rechtsordnung und verletzt deshalb das
verfassungsmässige Legalitätsprinzip nicht.

Sachverhalt

    A.- Der Pyramide-Musik-Club, ein Verein im Sinne von Art. 60
ff. ZGB, hat an der Langgasse 136 in St. Gallen ein Clublokal mit einer
Tanzfläche gemietet. Das Lokal bietet 100 und mehr Personen Platz. Seit
März 1980 ist es nur jeweils in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag
und am Sonntagnachmittag geöffnet. Der Verein offeriert Tanzmusik ohne
Abgabe von Getränken oder Essen. Jedermann kann beim ersten Eintritt
eine Mitgliederkarte für Fr. 6.-- erwerben; nach den Vereinsstatuten
wird zudem für die Teilnahme an einem Vereinsanlass ein Eintrittsgeld
von Fr. 9.-- erhoben. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes
zählt der Verein rund 1300 Mitglieder. Die Vereinsmitglieder können
mitgebrachte alkoholische und nicht alkoholische Getränke in den Clubräumen
geniessen. Bis zu einer Intervention der Gewerbepolizei vom 4. Juni 1980
wurden auch Gläser zur Verfügung gestellt.

    Mit Entscheid vom 28. Mai 1980 erklärte das Kantonale
Volkswirtschaftsdepartement den Clubbetrieb gestützt auf Art. 2 des
Wirtschaftsgesetzes vom 26. Februar 1945 (nGS 225) für patentpflichtig. Es
untersagte die Bedienung von Gästen und das zur Verfügungstellen
von Gläsern, Eiswürfeln, Siphon und anderen der Konsumation dienenden
Dienstleistungen. Es verbot zudem die Duldung der Konsumation mitgebrachter
Speisen und Getränke. Gäste, die dieser Aufforderung keine Folge
leisteten, seien wegzuweisen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde
die Schliessung des Betriebes und notfalls die Siegelung angedroht. Eine
gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde an den Regierungsrat wurde
von diesem am 4. November 1980 abgewiesen; auch die hiegegen erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
St. Gallen am 19. März 1981 ab.

    Mit Eingabe vom 9. Mai 1981 erhebt der Beschwerdeführer fristgemäss
staatsrechtliche Beschwerde; er beruft sich auf Art. 4 BV, aber nicht
auf Art. 31 BV.

    Der Regierungsrat hat auf die Einreichung einer Vernehmlassung
verzichtet. Das Verwaltungsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Das St. Gallische Gesetz über das Gastgewerbe und den Klein-
und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 26. Februar 1945
(Wirtschaftsgesetz; WG) bestimmt:

    Staatliche Aufsicht

    "Art. 1. Das Gastwirtschaftsgewerbe sowie der Klein- und Mittelverkauf
   von alkoholhaltigen Getränken sind der Aufsicht des Kantons und der

    Gemeinden unterstellt und den durch das öffentlichen Wohl bedingten

    Beschränkungen unterworfen."

    Patentpflicht

    "Art. 2. Wer gewerbsmässig Gäste beherbergen, gegen Entgelt Speisen
   und Getränke zum Genuss an Ort und Stelle verabreichen oder den
   Klein- oder

    Mittelverkauf alkoholhaltiger Getränke über die Gasse betreiben will,
   bedarf hiezu einer staatlichen Bewilligung (Patent)."

    Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Entscheid zum Schlusse
gekommen, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers unter Art. 2 WG
subsumiert werden könne.

    Es fragt sich, ob das Verwaltungsgericht damit das kantonale Recht
willkürlich ausgelegt oder angewendet hat. Nach der Rechtsprechung liegt
Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen
oder sogar vorzuziehen wäre; das Bundesgericht weicht nur vom Entscheid
der kantonalen Behörde ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder
einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 105 Ia 176 E. 4b, 300,
322 E. 3b; 103 Ia 431 E. 4; 100 Ia 6).

    a) In zwei früheren Fällen hatte sich das Bundesgericht ebenfalls
mit der Unterstellung derartiger "Club-Betriebe" unter das kantonale
Wirtschaftsrecht zu befassen.

    aa) Im Urteil vom 28. Mai 1969 i.S. Tizziani c. Regierungsrat
des Kantons Schwyz, publiziert in ZBl 71/1970 379, ging es um das
Recht das Kantons Schwyz. In dessen Wirtschaftsgesetz wird ebenfalls
die gewerbsmässige Beherbergung und die Verabreichung von Speisen
und Getränken der Gastwirtschaftsgesetzgebung unterstellt. Der Fall
lag jedoch eindeutiger als die heute zu beurteilende Beschwerde. Dort
hatten die in das Nachtlokal in Schindellegi SZ eintretenden Gäste einen
Getränkeautomat zur Verfügung, was selbstverständlich eine Verabreichung
von Getränken darstellt. Geschäftsführer und Seviertochter bezogen zudem
einen Monatslohn von je Fr. 800.--. In der Erwägung 5b wurde indessen
ausgeführt, bei einem solchen Betrieb könne man von einer "Beherbergung" im
Sinne von § 1 Abs. 2 WG sprechen auch wenn kein solcher Automat bestünde;
es genüge, dass einer grossen Zahl von Menschen (dort 50-60 Personen)
täglich von 22.00 bis 04.00 Gelegenheit geboten werde, sich in einem wie
eine Wirtschaft hergerichteten Raum aufzuhalten, mitgebrachte alkoholische
Getränke zu geniessen und untereinander zu verkaufen oder zu tauschen;
ein solcher Betrieb könne ohne Willkür als Wirtschaftsbetrieb im Sinne
des Wirtschaftsgesetzes betrachtet werden und die Bewilligungspflicht
halte vor Art. 31 BV stand.

    bb) Im Urteil vom 30. Oktober 1980 i.S. Stam c. Conseil d'Etat
du Canton de Vaud ging es um einen Cercle in La Tour-de-Peilz. Das
Wirtschaftsgesetz des Kantons Waadt kennt, anders als die
Wirtschaftsgesetze von Schwyz und St. Gallen, ausdrücklich ein Clubpatent
("une patente de cercle"); fraglich war jedoch, ob dieser Patentpflicht
ein Privatclub ("cercle privé") untersteht, bei dem jedes Vereinsmitglied
ein eigenes Kühlfach hat, aus dem es seinen Freunden Flaschen offerieren
kann. Art. 1 des WG/VD unterstellt der Patentpflicht "toute personne
qui, professionnellement ou dans un but lucratif, loge des hôtes,
sert à manger et à boire des consommations prises sur place, ...". Das
Bundesgericht erklärte es als willkürlich, den Cercle in La Tour-de-Peilz
der Wirtschaftsgesetzgebung zu unterstellen, da er nicht berufsmässig
(von einer "personne professionnelle") geführt werde und auch keinen
Erwerbszweck anstrebe ("but lucratif").

    b) Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter "beherbergen",
das Gewähren einer Gelegenheit die Nacht unter einem Dach zu verbringen;
normalerweise denkt man dabei an das Verbringen einer Nacht in einem
Bett oder doch auf einer Pritsche. Regierungsrat und Verwaltungsgericht
wollen den Begriff nun aber auch auf einen Betrieb anwenden, der statt
einer Schlafstätte Räumlichkeiten zum Aufenthalt und die Möglichkeit zur
Konsumation mitgebrachter Getränke anbietet. Es fragt sich, ob eine derart
extensive Auslegung des Gesetzes noch mit dem Willkürverbot vereinbar ist.

    Man wird dem Beschwerdeführer zugeben müssen, dass der historische
Gesetzgeber wohl kaum an den heute zu beurteilenden Fall gedacht hat,
und man kommt auch nicht um die Feststellung herum, dass das Patent,
um das der Beschwerdeführer nachsuchen müsste wenn er seinen Betrieb
weiterführen wollte, unter keine der acht Patentarten des Art. 22
WG/SG zu subsumieren wäre. Die Worte "beherbergen" und "Beherbergung"
in Art. 22 Ziff. 1, 2 und 5 WG beziehen sich auf die Gewährung einer
Übernachtungsmöglichkeit in einem Gasthof oder in einer Fremdenpension. Es
ist auch schwierig, den Betrieb des Beschwerdeführers im Sinne der
Erwägung des Regierungsrates einer Speisewirtschaft (Patent gemäss Art. 22
Ziff. 3 WG) gleichzustellen, da ja gerade keine Speisen und Getränke
abgegeben werden. Immerhin gibt das Verwaltungsgericht doch hinreichende
Gründe für seine extensive Auslegung des Wortes "Berherbergung", die den
Vorwurf der Willkür ausschliessen. Das Verwaltungsgericht stellt fest,
dass die Clubeinrichtung des Beschwerdeführers wesentliche Merkmale eines
Gastwirtschaftsbetriebes aufweist, die es ihm gestatten, die Einrichtung
des Clubs mit derjenigen eines Wirtschaftsbetriebes zu vergleichen:
der Betrieb bietet Platz für über 100 Personen und der Eintritt wird
grundsätzlich jedermann zugestanden, der den Eintrittspreis bezahlt. Es
handelt sich also praktisch um ein öffentliches Lokal. Darin liegt der
erste wesentliche Unterschied zum Fall Stam. Zudem ist klar, dass der Club
ein gewerbsmässiger Betrieb ist, auch wenn er nur am Sonntagnachmittag
sowie in der Nacht von Samstag auf den Sonntag geführt wird, und es weder
einen hauptamtlichen Geschäftsführer, noch hauptamtliches weiteres Personal
hat. Wie das Bundesgericht in anderem Zusammenhang festgehalten hat,
ist eine Tätigkeit in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch
dann als gewerbsmässig anzusehen, wenn sie zu Erwerbszwecken ausgeübt
wird; unerheblich ist dabei, ob diese Tätigkeit im Rahmen des gesamten
Erwerbs von untergeordneter Bedeutung ist (BGE 96 I 174 E. 2; 93 I
288). Der Clubbetrieb fordert von seinen rund 1300 Mitgliedern sowie den
noch dazukommenden Gästen nicht unerhebliche Beiträge. In Tageszeitungen
wird um den Besuch weiterer Interessenten geworben. Der Betrieb macht die
Beschäftigung von verschiedenem Personal erforderlich, dem, wenn es auch
nur nebenamtlich tätig ist, immerhin die Unkosten ersetzt werden. Mit
Recht stellt daher das Verwaltungsgericht fest, dass im vorliegenden
Fall eine auf Einnahmen hinzielende Tätigkeit vorliege, der die Absicht
zugrunde liege, mindestens die Betriebskosten zu decken. Es durfte daher
ohne Willkür davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 2
WG gewerbsmässig handelte.

    Das Lokal soll ausserdem zu einer Nachtzeit offenstehen, zu der
bereits alle anderen öffentlichen Lokale geschlossen sind. Schliesslich
beruht der ganze Betrieb auf dem Gedanken, dass zwar der Verein
weder Speisen oder Getränke abgibt, dass aber "mitgebrachte Getränke"
konsumiert werden können. Dabei ist davon auszugehen, dass die "aktiven
Vereinsmitglieder" genügend Getränke mitbringen, um auch den neu
eingetretenen Gast-Mitgliedern, die den Eintrittspreis bezahlt haben,
etwas zu trinken anzubieten, sei es gegen zusätzliches Entgelt, sei es
unentgeltlich. Praktisch geniesst deshalb der Besucher weitgehend die
Annehmlichkeiten eines bewilligten Nachtlokals. Es liegt auf der Hand,
dass das Lokal kaum Besucher anziehen würde, wenn sie nicht damit rechnen
könnten, dort etwas zu Trinken zu finden.

    Ohne es ausdrücklich zu sagen, nehmen die kantonalen Instanzen damit
praktisch an, das Vorgehen des Beschwerdeführers beinhalte eine Umgehung
der geltenden Wirtschaftsgesetzgebung. Der Beschwerdeführer richtet sein
Verhalten bewusst so ein, dass der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt
wird, aber das wirtschaftliche Ziel doch erreicht wird. Dieses Ziel liegt
darin, den Gästen eine angenehme Nacht mit Musik und eventuell mit Tanz
zu vermitteln sowie die Gelegenheit zu bieten, mitgebrachte Getränke
zu konsumieren. Bei dieser Sachlage ist eine solche analoge Anwendung
der bestehenden Normen auf den zu beurteilenden Tatbestand jedenfalls
unter dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden. Eines der
Ziele der gesetzlichen Regelung ist die polizeiliche Überwachung und
die Schliessung der öffentlichen Lokale von der Polizeistunde an unter
Vorbehalt besonderer Ausnahmebewilligungen (Art. 38 WG). Diese Regelung
dient der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in öffentlichen Lokalen
und Bewahrung der Nachtruhe. Es geht nicht an, dass Betriebe, wie derjenige
des Beschwerdeführers, diese Ordnung ohne Bewilligung durchbrechen.
In solchen Fällen dient die extensive Auslegung oder der Analogieschluss
der Aufrechterhaltung und richtigen Weiterbildung der Rechtsordnung und
er verletzt deshalb das verfassungsmässige Legalitätsprinzip nicht. Die
Beschwerde ist deshalb vollumfänglich abzuweisen.