Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 107 IA 1



107 Ia 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
18. März 1981 i.S. X. gegen Y., Generalprokurator-Stellvertreter
des Kantons Bern und Obergericht (II. Strafkammer) des Kantons Bern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV (Anspruch auf Begründung eines Entscheides); Art.
93 Abs. 2 OG.

    Der Mangel der ungenügenden Begründung des angefochtenen Entscheides
ist im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren heilbar, wenn der
Beschwerdeführer zu den in der Vernehmlassung der letzten kantonalen
Instanz enthaltenen Motiven in einer Beschwerdeergänzung Stellung nehmen
kann und ihm dadurch kein Nachteil erwächst.

Sachverhalt

    A.- Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern sprach den
Beschwerdeführer in 2. Instanz von der Anklage des Betruges frei, verwies
die Privatklage auf den Zivilweg, verweigerte ihm eine Entschädigung und
auferlegte ihm Prozesskosten. Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene
staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerde betrifft die Art der Erledigung der Adhäsionsklage
der Privatklägerin, die Kostenverteilung, die Verweigerung einer
Entschädigung im Sinne von Art. 258 sowie diejenige einer solchen für
die Verteidigungskosten gemäss Art. 263 des bernischen Gesetzes über
das Strafverfahren vom 20. Mai 1928. In allen diesen Punkten rügt der
Beschwerdeführer in erster Linie eine Verweigerung des rechtlichen
Gehörs durch ungenügende Begründung des angefochtenen Urteils. Die
II. Strafkammer des Obergerichts hat in ihrer Vernehmlassung zur
staatsrechtlichen Beschwerde die Urteilsbegründung in den erwähnten Punkten
ergänzt. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer in Anwendung von Art. 93
Abs. 2 OG Gelegenheit gegeben, seine Beschwerde ebenfalls zu ergänzen. Der
Beschwerdeführer machte von dieser Möglichkeit Gebrauch und äusserte sich
nochmals zu sämtlichen Beschwerdepunkten, hielt jedoch einleitend daran
fest, dass die Urteilsbegründung unzulänglich gewesen und ihm dadurch das
rechtliche Gehör verweigert worden sei. Er ersucht das Bundesgericht,
die Verletzung festzustellen, ohne aber in diesem Zusammenhang den
Antrag zu stellen, der angefochtene Entscheid sei aus diesem formellen
Grunde aufzuheben. Aus der geltend gemachten formellen Rechtsverweigerung
leitet er nur den Anspruch ab, in der Beschwerdeergänzung auch neue Rügen
rechtlicher Art vorbringen zu können, und er ersucht um Berücksichtigung
des behaupteten Fehlers bei der Regelung des Kostenpunktes.

    Das Bundesgericht ist gemäss Art. 93 Abs. 1 OG verpflichtet,
Vernehmlassungen der kantonalen Behörden, deren Entscheide mit
staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden, entgegenzunehmen
und zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer erhält gemäss Art. 93
Abs. 2 OG Gelegenheit, sich zum Inhalt der Vernehmlassung in einer die
Beschwerde ergänzenden Rechtsschrift auszusprechen. Das Bundesgericht
hat hieraus geschlossen, im Gegensatz zu anderen Formmängeln sei
derjenige der ungenügenden Begründung heilbar, wenn der betroffenen
Partei daraus kein Nachteil erwachse, d.h. wenn sie ihre Rechte im
Beschwerdeverfahren voll wahrnehmen könne (BGE 104 Ia 214; 104 V 154
f.; 99 Ib 99 E. 2a, 135 E. 2a). Diese Rechtsprechung ist in der Lehre
sowohl auf Zustimmung (B. Knapp, Précis de droit administratif, S. 88
f., N. 394 f.; für das deutsche Recht Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I,
9. Auflage 1974, S. 421) als auch auf Ablehnung gestossen (J. Meylan,
La motivation des actes administratifs à la lumière de la jurisprudence
récente du Tribunal fédéral, in: RDAF 29/1973, S. 379; Imboden-Rhinow,
Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage 1976, S. 536 IV b). Trotz der
geäusserten Kritik ist daran festzuhalten. Es würde einen durch nichts
zu rechtfertigenden prozessualen Leerlauf bedeuten, den angefochtenen
Entscheid wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs aufzuheben und die
übrigen Rügen des Beschwerdeführers nicht zu behandeln, wenn dieser
sich in Beschwerdeschrift und Beschwerdeergänzung zusammen umfassend zu
den Motiven äussern konnte (vgl. Imboden-Rhinow, aaO, S. 537 V c). Der
Grundsatz, wonach in der Beschwerdeergänzung keine Rügen erhoben werden
dürfen, die schon im Anschluss an die Verfügung selbst hätten erhoben
werden können (BGE 102 Ia 213 E. 1; 101 Ia 48 E. 3, 242; W. Birchmeier,
Bundesrechtspflege, S. 400), darf unter diesen Umständen nicht zu
eng angewendet werden. Auf die in der Beschwerdeergänzung enthaltenen
Vorbringen des Beschwerdeführers ist daher einzugehen. Zusätzlichen
Bemühungen seines Anwaltes ist je nach dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens
und den übrigen Umständen des Falles bei der Regelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen angemessen Rechnung zu tragen (vgl. Wolff-Bachof, aaO,
S. 421). Die Rüge der mangelnden Begründung des angefochtenen Entscheides
bedarf daher im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Behandlung, und
es ist auf die übrigen Beschwerdepunkte einzutreten.