Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 93



106 V 93

23. Urteil vom 2. Mai 1980 i.S. Schweizerische Schwerhörigen-Schule
Landenhof gegen Bundesamt für Sozialversicherung Regeste

    Art. 203 AHVV und 89 IVV. Gegen eine Verfügung des Bundesamtes für
Sozialversicherung bezüglich Betriebsbeiträge im Sinne von Art. 73 Abs. 2
IVG ist unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Erw. 1b).

    Art. 107 Abs. 3 OG und Art. 38 VwVG. Eine mit mangelhafter
Rechtsmittelbelehrung versehene Verfügung ist nicht zum vorneherein
nichtig; sie kann nur innert eines vernünftigen Zeitraums an den Richter
weitergezogen werden (Erw. 2).

    Art. 72-75 IVG.

    - Beiträge an Institutionen gemäss diesen Bestimmungen sind keine
Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG (Erw. 3).

    - Trotz der Formulierung ("kann") in Art. 73 Abs. 2 IVG besteht gemäss
Art. 105 IVV grundsätzlich ein Anspruch auf Betriebsbeiträge (Erw. 1 a).

    - Höhe der Betriebsbeiträge an eine Sonderschule, die invalide und
nichtinvalide Schüler unterrichtet (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Schweizerische Schwerhörigen-Schule Landenhof (nachfolgend
Schule genannt) führte 1970 definitiv eine Bezirksschulstufe ein,
in welcher sie gutbegabten hörgeschädigten Kindern eine progymnasiale
Ausbildung bietet. Mit Zustimmung des Erziehungsdepartements des Kantons
Aargau nahm sie erstmals im Schuljahr 1974/75 versuchsweise vier guthörende
Schüler in diese Bezirksschulstufe auf. Da die Erfahrungen positiv
verliefen, wurde in der Folge die Anzahl solcher Schüler erhöht. Im Maximum
kamen 19 guthörende auf 16 schwerhörige Schüler (Schuljahr 1977/78).

    Das Bundesamt für Sozialversicherung eröffnete der Schule mit
Verfügung vom 14. Juli 1977, die Voraussetzungen für die Zusprechung eines
Betriebsbeitrages für das Rechnungsjahr 1976 seien erfüllt und der Beitrag
werde auf Fr. 1'091'214.-- festgesetzt. Mit einer weiteren Verfügung vom
19. September 1978 gewährte das Bundesamt sodann für das Rechnungsjahr
1977 einen solchen Beitrag in der Höhe von Fr. 1'141'122.--. Keine der
beiden Verfügungen war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Bei der
Berechnung dieser Beiträge trug das Bundesamt dem Umstand Rechnung, dass
die guthörenden Schüler die Schule nur als Externe besuchten, und schied
daher die Kosten der Schule, unter Ausschluss der Kosten des Internates,
anteilsmässig aus. Die für die guthörenden Schüler in Abzug gebrachten
Aufwendungen betrugen 1976 Fr. 115'908.-- und 1977 Fr. 157'192.--. Diese
Kürzungen hatten zur Folge, dass das Erziehungsdepartement des Kantons
Aargau die kantonalen Betriebsbeiträge pro 1976 um Fr. 57'530.-- und pro
1977 um Fr. 50'028.-- reduzierte. Mit einem Wiedererwägungsgesuch vom
15. Dezember 1978 ersuchte die Schule das Bundesamt, die Betriebsbeiträge
um die vom Kanton für 1976 und 1977 in Abzug gebrachten Beträge von
zusammen Fr. 107'558.-- zu erhöhen. Mit Schreiben vom 22. Januar 1979
lehnte das Bundesamt die verlangten Nachzahlungen ab.

    B.- Am 22. Februar 1979 reichte die Schule beim Eidgenössischen
Departement des Innern (EDI) Beschwerde ein und beantragte, die Verfügung
vom 19. September 1978 sei aufzuheben, soweit sie eine Kürzung des
Betriebsbeitrages von Fr. 107'558.-- enthalte. Nachdem sich das EDI
anfänglich als zuständig erachtet hatte, überwies es die Beschwerde samt
Akten mit Schreiben vom 10. April 1979 an das Eidg. Versicherungsgericht
zur Behandlung.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung hält das
Eidg. Versicherungsgericht zur Behandlung der Beschwerde ebenfalls
als zuständig und vertritt in seiner Stellungnahme vom 18. Juni 1979
die Auffassung, die Beschwerde sei mangels Rechtsmittelbelehrung als
rechtzeitig zu betrachten. Im übrigen beantragt es die Abweisung der
Beschwerde. Im zweiten Schriftenwechsel berichtigt die Schule ihren
Antrag dahin, dass die geforderte Summe auch die Verfügung vom 14. Juli
1977 betreffe. Hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage schliesst sie sich
der Auffassung des Bundesamtes an.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Vorab stellt sich die Frage der Zuständigkeit des
Eidg. Versicherungsgerichts zur Behandlung der vorliegenden
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    a) Nach Art. 128 OG beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen
im Sinne der Art. 97 und 98 lit. b-h OG auf dem Gebiete der
Sozialversicherung. Unzulässig ist eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gemäss Art. 129 Abs. 1 lit. c OG gegen die Bewilligung oder Verweigerung
vermögensrechtlicher Zuwendungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch
einräumt.

    Laut Art. 73 Abs. 2 lit. a IVG "kann" die Invalidenversicherung
Beiträge gewähren an den Betrieb von öffentlichen und gemeinnützigen
privaten Anstalten und Werkstätten, die in wesentlichem Umfang
Eingliederungsmassnahmen durchführen. Gestützt auf Art. 75 IVG
hat der Bundesrat die Höhe der Beiträge festzusetzen und kann die
Gewährung von weiteren Voraussetzungen abhängig machen oder mit
Auflagen verbinden. Solche Vorschriften erliess er in den Art. 105-107
IVV. Daraus ist insbesondere zu entnehmen, dass die Betriebsbeiträge an
Eingliederungsstätten und Anstalten für jeden Aufenthalts-, Schul- oder
Ausbildungstag eines Versicherten gewährt werden (Art. 105 Abs. 2 IVV).
Folglich besteht trotz der Formulierung in Art. 73 Abs. 2 lit. a IVG
("kann") grundsätzlich ein Anspruch der Eingliederungsstätten auf
Betriebsbeiträge. Daher ist auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
ausgeschlossen (BGE 99 Ib 421, 97 I 878).

    b) Gegen eine Verfügung des Bundesamtes für Sozialversicherung
ist gemäss Art. 203 AHVV in Verbindung mit Art. 89 IVV unmittelbar die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Das EDI hat demnach die Sache zu
Recht dem Eidg. Versicherungsgericht zur Beurteilung überwiesen.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 106 Abs. 1 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
binnen 30 Tagen seit Eröffnung des vorinstanzlichen Entscheides
einzureichen. Die Bundesverwaltungsbehörden zu denen das Bundesamt
für Sozialversicherung gehört (Art. 1 Abs. 2 lit. a VwVG), haben ihre
Verfügungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen, in welcher
das zulässige ordentliche Rechtsmittel, die Rechtsmittelinstanz und die
Rechtsmittelfrist zu nennen sind (Art. 35 VwVG). Aus mangelhafter Eröffnung
einer Verfügung darf den Parteien nach Art. 107 Abs. 3 OG und Art. 38
VwVG kein Nachteil erwachsen. Daraus hat das Eidg. Versicherungsgericht
geschlossen, dass nicht jede mangelhafte Eröffnung, insbesondere auch
nicht die Eröffnung ohne Rechtsmittelbelehrung, schlechthin nichtig ist
mit der Konsequenz, dass die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen
könnte. Aus dem Grundsatz, dass den Parteien aus mangelhafter Eröffnung
keine Nachteile erwachsen dürfen, folgt vielmehr, dass dem beabsichtigten
Rechtsschutz schon dann Genüge getan wird, wenn eine objektiv
mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreicht. Das
bedeutet nichts anderes, als dass nach den konkreten Umständen des
Einzelfalles zu prüfen ist, ob die betroffene Partei durch den gerügten
Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt
worden ist. Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage ist der auch
in diesem prozessualen Bereich geltende Grundsatz von Treu und Glauben,
an welchem die Berufung auf Formmängel in jedem Fall ihre Grenze findet
(BGE 98 V 278). So lässt sich mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes
und der Rechtssicherheit nicht vereinbaren, dass ein Verwaltungsakt wegen
mangelhafter Rechtsmittelbelehrung jederzeit an den Richter weitergezogen
werden kann; vielmehr muss ein solcher Verwaltungsakt innerhalb einer
vernünftigen Frist in Frage gestellt werden (BGE 104 V 166 Erw. 3).

    b) Es ist davon auszugehen, dass als Anfechtungsobjekt sowohl
die Verfügung vom 14. Juli 1977 als auch jene vom 19. September
1978 zu betrachten sind. Keine der beiden Verfügungen wies eine
Rechtsmittelbelehrung auf. Die Beschwerdeführerin stellte aber erst
am 15. Dezember 1978 ein Wiedererwägungsgesuch beim Bundesamt. Nach
Abweisung desselben am 22. Januar 1979 reichte sie am 22. Februar
1979 die Beschwerde beim EDI ein. Aus diesem Verfahrensablauf darf
geschlossen werden, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
Verfügung vom 19. September 1978 nach Treu und Glauben als rechtzeitig zu
erachten ist. Fraglich ist hingegen, ob die Frist zur Einreichung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung vom 14. Juli 1977 als
gewahrt gelten kann. Die Beschwerdeführerin bemerkt dazu, dass sie erst
nach Erhalt der Schreiben des Erziehungsdepartements vom 14. November und
5. Dezember 1978 durch die angefochtenen Verfügungen beschwert gewesen
sei, habe sie doch vorher davon ausgehen können, dass der Kanton Aargau
ungeachtet der vom Bund vorgenommenen Kürzungen das Restdefizit übernehmen
werde. Dieser Argumentation könnte entgegengehalten werden, dass die
Beschwerdeführerin die möglichen Konsequenzen von Verfügungen schon bei
deren Erhalt zu bedenken hat und die Beschwerde nicht erst zu ergreifen
ist, wenn die andern Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Im Hinblick auf
den Prozessausgang betreffs der Verfügung vom 19. September 1978 kann
die Frage der rechtzeitigen Beschwerdeerhebung gegen die Verfügung vom
14. Juli 1977 indes offengelassen werden.

Erwägung 3

    3.- Streitig sind keine Versicherungsleistungen. Unter solchen sind
nach BGE 98 V 131 Leistungen der Sozialversicherung zu verstehen, über
deren Rechtmässigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalles befunden wird.
Vorliegend geht es jedoch nicht um den Anspruch eines Versicherten,
der bei Eintritt eines Versicherungsfalles ausgelöst wird, sondern um
Leistungen, die erbracht werden, wenn die Anstalt oder Eingliederungsstätte
bestimmte Bedingungen erfüllt. Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher
zu prüfen, ob Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch
des Ermessens, verletzt wurde oder ob der Sachverhalt unrichtig oder
unvollständig festgestellt worden ist (Art. 104 lit. a und b OG). An die
vorinstanzliche Feststellung des Sachverhaltes ist es nicht gebunden,
weil nicht eine Rekurskommission oder ein kantonales Gericht im Sinne
von Art. 105 Abs. 2 OG entschieden hat.

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 105 Abs. 1 IVV werden die Betriebsbeiträge den
Anstalten und Werkstätten, welche die Voraussetzungen von Art. 99 IVV
erfüllen, gewährt, sofern die auf Eingliederungsmassnahmen der Versicherung
entfallenden Betriebskosten nicht durch Vergütungen gemäss den Art. 12-20
IVG und bei Massnahmen für die Sonderschulung und Betreuung Minderjähriger
nicht durch die von der Versicherung vorausgesetzte Kostenbeteiligung
der Kantone, Gemeinden und Eltern gedeckt werden. An die ungedeckten
Kosten werden Beiträge bis zu 10 Franken für jeden Aufenthalts-,
Schul- oder Ausbildungstag eines Versicherten gewährt. Bleiben dennoch
ungedeckte Kosten bestehen, so gewährt die Versicherung einen zusätzlichen
Beitrag bis zu deren Hälfte, höchstens aber von 15 Franken für jeden
Tag. Bei Sonderschulen kann die Zahl der tatsächlichen Aufenthalts-
oder Schultage durch einen Zuschlag erhöht werden, insbesondere wenn
aus pädagogischen Gründen die Klassenbestände herabgesetzt werden
müssen oder wenn ein Heim als Wocheninternat geführt wird (Art. 105
Abs. 2 IVV). Die näheren Vorschriften über die Voraussetzungen der
Beitragsgewährung und über die Beitragsbemessung hat das Bundesamt in
dem ab 1. Januar 1976 gültigen Kreisschreiben über die Betriebsbeiträge
an Eingliederungsstätten für Invalide aufgestellt. Aus diesem geht
klar hervor, dass die Unterstützung der Invalidenversicherung in
Hinsicht auf die nach Tagen ermittelten Leistungen der Schule an die
Versicherten gewährt wird. Für die Ermittlung des Betriebsdefizites,
das Voraussetzung des Invalidenversicherungs-Beitrages bildet,
werden nur "die auf die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen
der Invalidenversicherung entfallenden anrechenbaren Aufwendungen"
berücksichtigt (Rz 13), die Beitragsfestsetzung erfolgt aufgrund der
Zahl der Aufenthalts-, Schul- und Ausbildungstage des Versicherten (Rz
61 ff.), wobei die Eingliederungsstätten für Invalidenversicherungs- wie
für Nicht-Invalidenversicherungs-Fälle laufend eine Präsenzkontrolle zu
führen haben (Rz 9).

    b) Die Beschwerdeführerin macht in materieller Hinsicht geltend,
dass ihre Schule durch die vom Bundesamt für Sozialversicherung für die
guthörenden Schüler abgezogenen Aufwendungen bestraft werde, obwohl mit
der Aufnahme derselben keine Mehrkosten entstanden seien. Sie empfindet
es als unbillig, dass sie wegen der Aufnahme von guthörenden Schülern, die
auch im Interesse der schwerhörigen Schüler erfolgt sei, einen wesentlich
kleineren Invalidenversicherungs-Beitrag erhält, als wenn sie die Schule
nur mit den schwerhörigen Schülern geführt hätte.

    Mit Recht weist indes das Bundesamt darauf hin, dass sich der
Umfang der Invalidenversicherungs-Leistungen pro Schüler und pro Tag
berechnet. Wenn nichtinvalide mit invaliden Schülern zusammen die gleiche
Schule besuchen, müssen die Kosten anteilsmässig ausgeschieden werden.
Würde der Argumentation der Beschwerdeführerin gefolgt, führte dies
zum unbilligen Ergebnis, dass die nichtinvaliden Schüler so lange
kostenlos den Schulunterricht besuchen könnten, als ihretwegen die
Schulorganisation nicht geändert werden müsste, d.h. ihretwegen keine
Mehrkosten entstünden. In der Tat kann es nicht der Wille des Gesetzgebers
sein, nichtinvalide Bezirksschüler zu Lasten der Invalidenversicherung
unterrichten zu lassen. Ausserdem hat das Bundesamt auch Grund zu
bezweifeln, ob durch die Teilnahme der guthörenden Schüler tatsächlich
keine Mehrkosten entstanden sind; wenn im Schuljahr 1977/78 auf 16
schwerhörige 19 guthörende Schüler entfielen, hätte sich allenfalls ohne
Einbezug der guthörenden Schüler die Frage einer anderen Klasseneinteilung
gestellt.

    Bezüglich der Berechnung erhebt die Beschwerdeführerin keine
Einwendungen. Da aus den Akten nicht deren Unrichtigkeit hervorgeht,
bleibt es bei der Beurteilung des Bundesamtes.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten
ist, abgewiesen.