Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 40



106 V 40

9. Auszug aus dem Urteil vom 25. April 1980 i.S. L. gegen 51 Krankenkassen
des Kantonalverbandes Luzerner Krankenkassen und Schiedsgericht gemäss
Art. 25

KUVG Regeste

    Art. 24 KUVG. Ausschluss aus der Kassenpraxis: wichtige Gründe,
Ausschlussdauer, Geltungsbereich.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Gemäss Art. 24 KUVG hat das Schiedsgericht im Sinne von Art. 25
KUVG über den Ausschluss und dessen Dauer zu entscheiden, wenn eine Kasse
einem Arzt, Apotheker, Chiropraktor, einer Hebamme, einer medizinischen
Hilfsperson oder einem Laboratorium aus wichtigen Gründen, die in der
Person oder in der Art der Berufsausübung liegen, die Betätigung für die
Mitglieder nicht oder nicht mehr gestatten will. Der Bestimmung liegt
der Gedanke zugrunde, dass eine ordnungsgemässe ärztliche Behandlung nur
gewährleistet ist, wenn die an der Durchführung der Krankenversicherung
mitwirkenden Personen nicht nur über die erforderlichen Fachkenntnisse,
sondern auch über entsprechende persönliche Eigenschaften verfügen
(BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, S. 94). Was als wichtiger
Grund im Sinne von Art. 24 KUVG zu gelten hat, wird im Gesetz nicht
näher umschrieben. Es blieb daher Lehre und Praxis überlassen, ergänzende
Regeln aufzustellen.

    aa) Nach MAURER (Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen
Unfallversicherung, S. 191 f.) ist beim Entscheid über das Vorliegen
wichtiger Gründe von der Tatsache auszugehen, dass die soziale
Unfallversicherung nur so lange spielen kann, als für die Beziehungen
zwischen Arzt und Anstalt eine Vertrauensgrundlage besteht. Diese
Feststellung gilt in gleicher Weise mit Bezug auf die Krankenkassen,
zumal ihnen bei der Durchführung medizinischer Massnahmen weniger
Kontrollmöglichkeiten offenstehen als der SUVA. Wichtige Gründe sind
nach MAURER beispielsweise gegeben, wenn ein Arzt wiederholt schwere und
unentschuldbare Fehler in der Behandlung von Versicherten begeht; wenn
er aus Gutmütigkeit oder bösem Willen die Patienten nicht rechtzeitig an
die Arbeit zu schicken pflegt; wenn er die für die Anstalt bestimmten
Zeugnisse sowie Honorarnoten nicht wahrheitsgetreu und fristgerecht
erstellt, besonders aber wenn er die Anstalt anlügt oder sogar betrügt;
oder wenn er strafrechtlich Verurteilt wird.

    Nach SCHWEIZER (Die kantonalen Schiedsgerichte für Streitigkeiten
zwischen Ärzten oder Apothekern und Krankenkassen, Zürich 1957, S. 89
ff.) liegen wichtige Gründe Vor, wenn der Kasse nach Treu und Glauben eine
Zusammenarbeit mit dem Arzt oder Apotheker nicht zugemutet werden kann. Der
Ausschluss erfolge in der Regel wegen der Art der Berufsausübung. Diese
könne ohne Verschulden des Arztes oder Apothekers beispielsweise wegen
eintretender Geisteskrankheit so unhaltbar werden, dass der Ausschluss
nötig werde. Fast immer seien aber die in der Art der Berufsausübung
liegenden Ausschlussgründe verschuldet. Meistens handle es sich um
wiederholte unwirtschaftliche Behandlung.

    bb) Eine Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts zu Art. 24 KUVG besteht
nicht. Dagegen hatte sich das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der
Verletzung von Art. 4 BV schon mit kantonalen Schiedsgerichtsentscheiden
betreffend Ausschluss aus der Kassenpraxis zu befassen. In einem Urteil
vom 15. Dezember 1955 entschied es, dass ein dauernder Ausschluss des
beklagten Arztes gerechtfertigt sei, weil das Überarzten bei ihm keine
bloss einmalige oder Vorübergehende Erscheinung, sondern ein Dauerzustand
geworden sei, weil eine gewisse Uneinsichtigkeit des Arztes bestehe,
der offensichtlich nie gewillt sein werde, sich den Gegebenheiten eines
Kassenarztes anzupassen, und weil mit grösster Wahrscheinlichkeit damit
zu rechnen sei, dass das Verhältnis zwischen ihm und den Kassen nicht
mehr tragbar sein werde.

    cc) Da dem Ausschluss aus der Kassenpraxis weitgehend der Charakter
einer Disziplinarmassnahme zukommt (vgl. SCHWEIZER, aaO, S. 88; SCHÄREN,
Die Stellung des Arztes in der sozialen Krankenversicherung, Zürich 1973,
S. 218), rechtfertigt es sich, die Praxis heranzuziehen, wie sie zum
Disziplinarrecht entwickelt worden ist. Danach liegt ein zur Verhängung
einer Disziplinarmassnahme Anlass gebender Disziplinarfehler nicht nur bei
Erfüllung bestimmt umschriebener Tatbestände vor, sondern auch dann, wenn
der dem Disziplinarrecht Unterworfene die mit seiner besonderen Stellung
verbundenen Pflichten Verletzt und eine mit dieser Stellung unvereinbare
Handlung begeht. Dabei muss der zu Massregelnde aufgrund der einschlägigen
Vorschriften oder aus der Natur des Rechtsverhältnisses erkennen können,
dass sein Verhalten mit diesem besonderen Rechtsverhältnis nicht vereinbar
ist (vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
Bd. I S. 317 Ziff. IV mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die
gleichen Grundsätze gelten für Angehörige der sog. freien Berufe, die
der staatlichen Aufsicht unterstellt sind (IMBODEN/RHINOW, aaO, S. 316;
vgl. auch DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 1951,
S. 1a ff.). Im übrigen haben die Disziplinarmassnahmen dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit zu entsprechen. Eine dauernde Einstellung in der
Berufsausübung ohne vorangehende Warnung kann daher nur ausnahmsweise
angeordnet werden, "wenn die Verfehlung so schwerwiegend ist, dass sie
eine Mentalität aufzeigt, die mit der Eigenschaft eines Angehörigen
der betreffenden Berufsart schlechthin unvereinbar ist" (BGE 100 Ia 360
Erw. 3b).

    b) Im vorliegenden Fall wiegen die bei der Berufsausübung begangenen
Verfehlungen nicht leicht. Der Beschwerdeführer hat nicht nur jahrelang
massiv überarztet, sondern sich in zahlreichen Fällen der unkorrekten
Rechnungsstellung schuldig gemacht, was zu mehreren Strafurteilen
geführt hat. Dazu kommt, dass er sich trotz der zahlreichen gegen
ihn angestrengten Verfahren völlig einsichtslos zeigte. In der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird diesbezüglich Vorgebracht, die
bisherigen Verfahren hätten ihn zweifellos nachhaltig beeindruckt,
weshalb er sich heute im klaren sei, "dass er sich, unter Umständen auch
gegen seine Überzeugung, strikte an die Weisungen der Klägerschaft zu
halten hat". Dem steht entgegen, dass der Beschwerdeführer im Vergleich
vom 20. November 1972 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist,
dass ein weiterer Verstoss gegen die Pflicht zu einer wirtschaftlichen
Behandlungsweise zum Antrag auf Ausschluss aus der Kassenpraxis führen
werde, was ihn jedoch nicht davon abgehalten hat, weiterhin zu überarzten
und unkorrekt Rechnung zu stellen. Sein Behandlungskostendurchschnitt
ist im Verhältnis zu demjenigen der Vergleichsärzte in der Zeit nach
der Klageerhebung weiter angestiegen. Die vom Kantonalverband Luzerner
Krankenkassen mit der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
eingereichten Belege deuten darauf hin, dass er auch in den Jahren
1977 und 1978 in zahlreichen Fällen unzutreffend Rechnung gestellt
und den Behandlungskostendurchschnitt durch vorzeitigen Abschluss von
Krankenscheinen beeinflusst hat.

    Das Verhalten des Beschwerdeführers lässt darauf schliessen, dass es
ihm an den persönlichen Eigenschaften fehlt, wie sie für die Tätigkeit
als Kassenarzt vorauszusetzen sind. Weil die Krankenkassen im allgemeinen
nicht in der Lage sind, jede einzelne Rechnung zu überprüfen, müssen
sie sich auf die Angaben des Arztes verlassen können; dies nicht nur im
eigenen, sondern auch im Interesse der Versicherten und letztlich auch
des Bundes, welcher die Krankenkassenleistungen subventioniert. Dieses
Vertrauen kann dem Beschwerdeführer nicht mehr entgegengebracht werden,
nachdem er sich trotz aller bisher gegen ihn ergriffenen Massnahmen
uneinsichtig gezeigt und sich nicht dazu hat bewegen lassen, seine
Tätigkeit nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und unter Beachtung
des Kassentarifs auszuüben. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist
festzustellen, dass der Beschwerdeführer das zwischen Kasse und Arzt
unerlässliche Vertrauensverhältnis in einer Weise erschüttert hat, dass
den Kassen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zugemutet werden
kann. Es liegen mithin wichtige Gründe im Sinne von Art. 24 KUVG vor,
weshalb der streitige Ausschluss grundsätzlich zu Recht besteht.

    c) Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist ein dauernder
Ausschluss von der Kassenpraxis nur ausnahmsweise zulässig (MAURER, aaO,
S. 192; vgl. auch BGE 100 Ia 360). Praxisgemäss wird der Ausschluss in der
Regel nur für einige Jahre ausgesprochen, was nach SCHWEIZER (aaO, S. 93)
darin begründet ist, dass ein mehrjähriger oder gar dauernder Ausschluss
eine für die wirtschaftliche Existenz ausserordentlich einschneidende
Massnahme darstellt, zumal sich Ausschlussklagen in der Regel gegen
Ärzte richten, deren Tätigkeit zur Hauptsache in der Kassenpraxis
besteht. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Anderseits ist
zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in grober Weise gegen den
Vertrauensgrundsatz verstossen und über Jahre hinweg ungeachtet der gegen
ihn erhobenen Verfahren an seiner pflichtwidrigen Einstellung festgehalten
hat, so dass eine Änderung nurmehr aufgrund eines Ausschlusses von einer
gewissen Dauer erwartet werden kann.

    In Würdigung der gesamten Umstände erweist sich der von der Vorinstanz
verfügte Ausschluss von 2 1/2 Jahren nicht als unverhältnismässig. Hieran
vermag der Einwand des Beschwerdeführers, wonach der Ausschluss geeignet
sei, seine fachlichen Fähigkeiten zu beeinträchtigen, nichts zu ändern. Der
vorinstanzliche Entscheid ist daher auch mit Bezug auf die Dauer des
verfügten Ausschlusses nicht zu beanstanden.

    d) Die Vorinstanz stellt schliesslich zu Recht fest, dass der
Ausschluss für das gesamte Tätigkeitsgebiet der am Verfahren beteiligten
Kassen wirksam wird.