Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 193



106 V 193

44. Urteil vom 22. Oktober 1980 i.S. Meier gegen Ausgleichskasse des
Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 17 lit. d AHVV. Liquidationsgewinne von zur Führung
kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmungen gehören zum
massgebenden Erwerbseinkommen.

    Art. 22 und 25 AHVV. Zum Problem der Erfassung der Liquidationsgewinne
mit den in der AHVV vorgesehenen Methoden der Beitragsfestsetzung.

Sachverhalt

    A.- Ernst Meier war Inhaber eines Fabrikationsbetriebes, den er -
mit Ausnahme der Fabrikliegenschaft - im Jahre 1971 liquidierte. Am 26.
Oktober 1971 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht. Seit September
1971 ist Ernst Meier Arbeitnehmer einer Versicherungsgesellschaft.

    Die Fabrikliegenschaft wurde auf den 1. April 1973 verkauft; daraus
resultierte ein Gewinn von Fr. 798'535.--. Am 25. Januar 1977 meldete
das kantonale Steueramt der Ausgleichskasse des Kantons Zürich für 1973
ein Jahreseinkommen des Beitragspflichtigen von Fr. 808'945.--, das den
gesamten Verkaufserlös und Mietzinseinnahmen umfasste. Auf dieser Grundlage
setzte die Ausgleichskasse die persönlichen Sozialversicherungsbeiträge
für die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1973 fest (Verfügung vom
9. März 1977).

    B.- Diese Verfügung liess Ernst Meier beschwerdeweise an die
AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich weiterziehen.

    Die Rekurskommission hielt daran fest, dass der Liquidationsgewinn
durch Gegenwartsbemessung im Sinne von Art. 22 Abs. 3 AHVV erfasst werden
müsse. Hingegen könne kein Eigenkapitalzins abgezogen werden, weil
im massgebenden Zeitpunkt (1. Januar 1974) kein "Betriebseigenkapital"
mehr vorhanden gewesen sei. Demgemäss setzte die Rekurskommission den
für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1973 geschuldeten Beitrag
neu auf Fr. 63'879.60 fest. Anderseits hob sie die Beitragsverfügung für
die Zeit vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1973 auf. Im übrigen wies sie die
Beschwerde ab (Entscheid vom 7. August 1978).

    C.- Ernst Meier lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Antrag, es sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides festzustellen,
dass auf dem Liquidationsgewinn keine Sozialversicherungsbeiträge
geschuldet seien. Zur Begründung wird im wesentlichen auf Rz 84 der
bundesamtlichen Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden
und Nichterwerbstätigen verwiesen; diese Randziffer sei für die
Ausgleichskassen nach wie vor verbindlich.

    Während die Ausgleichskasse die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, bemerkt das Bundesamt, dass die
Kassenverfügung und der angefochtene Entscheid mit der Rechtsprechung im
Einklang stehen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 17 lit. d AHVV gelten eingetretene und verbuchte
Wertvermehrungen und Kapitalgewinne von zur Führung kaufmännischer
Bücher verpflichteten Unternehmungen als Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit. Diese Bestimmung wurde stets als gesetzeskonform
betrachtet (BGE 98 V 250 Erw. b, 96 V 60 Erw. 2). Darunter fallen auch
die Liquidationsgewinne, welche sich bei der Auflösung oder Umwandlung
eines buchführungspflichtigen Unternehmens ergeben; denn sie sind
wirtschaftliches Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit.

    Allerdings wird in Rz 84 der bundesamtlichen Wegleitung erklärt,
dass Kapitalgewinne, die wegen Beendigung der Steuerpflicht der
Jahressteuer auf Kapitalgewinnen (Art. 43 WStB) unterworfen wurden,
mangels gesetzlicher Grundlagen nicht zum massgebenden Erwerbseinkommen
gehören. In den zitierten Urteilen hat das Eidg. Versicherungsgericht
diese Randziffer wiederholt als gesetzwidrig bezeichnet. Trotz
der konstanten Gerichtspraxis folgen zahlreiche Ausgleichskassen
der immer noch unveränderten bundesamtlichen Weisung und nicht der
bundesgerichtlichen Rechtsauffassung. Daraus resultiert - wie in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend bemerkt wird - eine
rechtsungleiche Behandlung der Versicherten. Diese unbefriedigende
Situation könnte dadurch behoben werden, dass das Bundesamt seine
Weisungen an die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts
anpasst, es sei denn, dass der Gesetzgeber die Liquidationsgewinne
von der Beitragspflicht ausnimmt oder dass allenfalls der Bundesrat
im Rahmen seiner Rechtssetzungskompetenz eine entsprechende Regelung
trifft. Ohne eine solche Änderung der Rechtsgrundlage sieht sich das
Eidg. Versicherungsgericht aufgrund einer neuerlichen Überprüfung
nicht veranlasst, von seiner Rechtsprechung abzuweichen (Beschluss
des Gesamtgerichts vom 27. Februar 1980). Daran vermögen auch die
Einwände des Beschwerdeführers, der sich hauptsächlich auf die für das
Eidg. Versicherungsgericht nicht verbindliche Rz 84 der bundesamtlichen
Wegleitung stützt, nichts zu ändern.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist es, mit welcher der in der AHVV
vorgeschriebenen Methoden der Beitragsfestsetzung der Liquidationsgewinn
erfasst werden kann. Die AHVV kennt ein ordentliches und ein
ausserordentliches Verfahren der Beitragsfestsetzung.

    a) Das ordentliche Verfahren ist in den Art. 22 und 23 AHVV
umschrieben. In der Regel wird der Jahresbeitrag vom Einkommen
aus selbständiger Erwerbstätigkeit für eine zweijährige, mit
geradem Kalenderjahr beginnende Beitragsperiode aufgrund des
Durchschnittseinkommens der das zweit- und drittletzte Jahr vor der
Beitragsperiode umfassenden Berechnungsperiode festgesetzt (Art. 22
Abs. 1 und 2 AHVV). Dagegen wird der Jahresbeitrag vom Einkommen aus einer
nebenberuflichen, gelegentlich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit
für jenes Kalenderjahr festgesetzt, in dem es erzielt wurde (Art. 22
Abs. 3 AHVV).

    Es ist grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, das massgebende
Einkommen aufgrund der rechtskräftigen Wehrsteuerveranlagung oder
allenfalls aufgrund der rechtskräftigen Veranlagung für die kantonale
Einkommens- oder Erwerbssteuer zu ermitteln. Die Angaben der Steuerbehörden
sind für die Ausgleichskassen verbindlich (Art. 23 Abs. 1, 2 und 4 AHVV;
BGE 102 V 30).

    b) Das ausserordentliche Verfahren der Beitragsfestsetzung gelangt zur
Anwendung, wenn der Beitragspflichtige eine selbständige Erwerbstätigkeit
aufnimmt oder wenn sich die Einkommensgrundlagen seit der letzten
ordentlichen Berechnungsperiode, für welche die Steuerbehörde das
Erwerbseinkommen ermittelt hat, infolge Berufs- oder Geschäftswechsels,
Wegfalls oder Hinzutritts einer Einkommensquelle, Neuverteilung des
Betriebs- oder Geschäftseinkommens oder Invalidität dauernd verändert haben
und dadurch die Höhe des Einkommens wesentlich beeinflusst wurde. Ist
ein solcher Sachverhalt gegeben, dann ermittelt die Ausgleichskasse das
massgebende reine Erwerbseinkommen für die Zeit von der Aufnahme der
selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von der Grundlagenänderung bis zum
Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode (Art. 25 Abs. 1 AHVV).

    Im ausserordentlichen Verfahren sind die Beiträge für jedes
Kalenderjahr aufgrund des jeweiligen Jahreseinkommens festzusetzen. Für
das Vorjahr der nächsten ordentlichen Beitragsperiode ist jenes Einkommen
massgebend, das der Beitragsbemessung für diese Periode zugrundegelegt
werden muss (Art. 25 Abs. 3 AHVV).

    c) Die dargelegten Bemessungsregeln gelten auch für die Erfassung
der Liquidationsgewinne. Das hat zur Folge, dass es von zeitlichen
Zufälligkeiten abhängt, ob auf einem Liquidationsgewinn Beiträge
erhoben werden können oder nicht. Diese Rechtslage vermag nicht zu
befriedigen. Indessen ist es nicht Sache des Gerichts, die in der
Verordnung getroffene allgemeingültige Ordnung durch eine speziell auf
die Liquidationsgewinne zugeschnittene Sonderregel zu ergänzen (wie das
beispielsweise auf dem Gebiet der Wehrsteuer geschieht, indem Art. 43 WStB
ausdrücklich die Erhebung einer Jahressteuer auf den Liquidationsgewinnen
vorsieht).

Erwägung 3

    3.- Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer den
Liquidationsgewinn aus dem Verkauf der Fabrikliegenschaft im Jahre
1973 erzielt hat. Dieses Jahr gehört zur Berechnungsperiode 1973/1974,
der die ordentliche Beitragsperiode 1976/1977 zugeordnet ist. Da der
Beschwerdeführer aber schon seit 1971 unselbständigerwerbend ist, konnte
der Liquidationsgewinn offensichtlich nicht mit der ordentlichen Methode
der Beitragsfestsetzung gemäss Art. 22 Abs. 1 und 2 AHVV erfasst werden.

    Es fragt sich, ob allenfalls die ordentliche Methode für
Erwerbseinkommen aus nebenberuflich und bloss gelegentlich ausgeübter
Erwerbstätigkeit (Art. 22 Abs. 3 AHVV) anwendbar ist. Das muss ebenfalls
verneint werden, da der Liquidationsgewinn wirtschaftliches Ergebnis der
vor der Auflösung der Einzelfirma ausgeübten hauptberuflich selbständigen
Erwerbstätigkeit ist und daher nicht als Einkommen aus nebenberuflicher,
gelegentlich ausgeübter Erwerbstätigkeit qualifiziert werden darf aus dem
alleinigen Grund, dass der Beschwerdeführer noch vor der Realisierung des
Liquidationsgewinns von der hauptberuflich selbständigen zur hauptberuflich
unselbständigen Erwerbstätigkeit übergegangen und deshalb im Beitragsstatut
ein Wechsel eingetreten ist.

    Schliesslich gelangt auch die ausserordentliche Methode der
Beitragsfestsetzung (Art. 25 AHVV) nicht zur Anwendung, da zu keinem
Zeitpunkt ein Sachverhalt gemäss Art. 25 Abs. 1 AHVV sich verwirklicht hat,
welcher die Gegenwartsbemessung des Liquidationsgewinnes ermöglichen würde.

    Zusammenfassend ergibt sich, dass keine der in der AHVV vorgesehenen
Methoden der Beitragsfestsetzung es erlaubt, den aus der Auflösung der
Einzelfirma stammenden Liquidationsgewinn beitragsrechtlich zu erfassen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 7. August 1978 und die
Kassenverfügung vom 9. März 1977 aufgehoben.