Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 187



106 V 187

43. Urteil vom 17. September 1980 i.S. Rückversicherungsverband der st.
gallischen Gemeindekrankenkassen gegen G. und Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 103 lit. a OG. Die bloss theoretische Möglichkeit einer
eventuellen späteren finanziellen Inanspruchnahme begründet nicht ohne
weiteres ein hinreichendes prozessuales Rechtsschutzinteresse.

Sachverhalt

    A.- Hermann G. ist bei der Gemeindekrankenkasse X.  versichert. Diese
ist ihrerseits Mitglied des Rückversicherungsverbandes der st. gallischen
Gemeindekrankenkassen. Am 13. Oktober 1977 musste Hermann G. in
die Trinkerheilstätte "Mühlehof" eingewiesen werden. Die Heilstätte
verlangte von der Gemeindekrankenkasse X. Kostengutsprache für eine
Tagespauschale von Fr. 30.50. Am 10. November 1977 verfügte die Kasse,
dass sie lediglich für die ärztliche Behandlung einschliesslich der
wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen, Arzneimittel und Analysen
sowie für einen täglichen Beitrag von Fr. 6.-- an die übrigen Kosten der
Krankenpflege aufkomme (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG in Verbindung mit
Art. 23 und 24 Vo III bzw. Art. 60 der Normalstatuten).

    B.- Auf Beschwerde des Hermann G. entschied das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen, dass die Kasse die volle Tagespauschale der
Heilstätte "Mühlehof" abzüglich eines täglichen Verpflegungskostenbeitrages
von Fr. 10.-- zu vergüten habe.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt der Rückversicherungsverband der st.
gallischen Gemeindekrankenkassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt, es sei festzustellen, dass die Gemeindekrankenkasse X. mit
der Ausrichtung der Leistungen gemäss Art. 24 Vo III bzw. Art. 60 der
Normalstatuten ihre Leistungspflicht erfüllt habe.

    Hermann G. schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
beantragt, es sei das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons
St. Gallen aufzuheben und die Sache zur genaueren Abklärung des
Sachverhalts an das kantonale Gericht zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Vorab stellt sich die Frage, ob der Rückversicherungsverband der
st. gallischen Gemeindekrankenkassen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
legitimiert ist.

    Nach Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
legitimiert, "wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat". Damit
diese Voraussetzungen als erfüllt gelten können, muss der Beschwerdeführer
nach bundesgerichtlicher Praxis von der angefochtenen Verfügung mehr als
irgend ein anderer Dritter berührt sein, und er muss durch die Verfügung
besonders und unmittelbar betroffen sein; sein Interesse an der Aufhebung
oder Änderung der Verfügung muss sich aus einer nahen Beziehung zum
Gegenstand des Streites ergeben (BGE 103 Ib 338 Erw. b mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer beruft sich darauf, dass ihm die
Gemeindekrankenkasse X. als Mitglied angeschlossen sei und dass sie
Leistungen der Kosten-Ausgleichsversicherung beziehe, was sich auf
seine Belastung auswirke. Gestützt auf Art. 103 lit. a OG bejaht auch
das Bundesamt für Sozialversicherung die Beschwerdelegitimation des
Rückversicherungsverbandes. Im Hinblick auf die genannte Bestimmung
erfordert indessen die Verschiedenartigkeit der einzelnen Leistungen des
Beschwerdeführers eine differenzierte Beurteilung seiner Beschwerdebefugnis
je nach der im Einzelfall in Frage stehenden Leistungsart.

    Nach Art. 9 seiner Statuten versichert der Rückversicherungsverband
folgende Leistungen der angeschlossenen Kassen:

    - einen Teil der ordentlichen Krankenpflegeleistungen durch eine
Kosten-Ausgleichsversicherung;

    - die Leistungen bei Erkrankung an Tuberkulose;

    - die Heilanstaltskosten für Invalide;

    - die Leistung der Krankengeld-Zusatzversicherung;

    - die Leistungen der Spital-Zusatzversicherung. Im weiteren
enthält Art. 9 der Statuten Bestimmungen über die Schaffung weiterer
Versicherungszweige und die Vermittlung der Leistungen des Schweizerischen
Verbandes für die erweiterte Krankenversicherung.

Erwägung 3

    3.- Die vorliegend in Frage stehenden Leistungen betreffen die
Kosten-Ausgleichsversicherung für die ordentlichen Krankenpflegeleistungen
gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. a der Statuten des Beschwerdeführers. Hierüber
bestimmen die Statuten folgendes:

    "Art. 14. Der Rückversicherungsverband vergütet den angeschlossenen

    Kassen unter den in den Art. 15 und 16 genannten Voraussetzungen einen

    Teil der ordentlichen Krankenpflegekosten.

    Art. 15. Kassen, deren Krankenpflegekosten je Mitglied (einschliesslich

    Mutterschaftsleistungen) im Durchschnitt der letzten drei Jahre
105 Prozent
   des massgeblichen kantonalen Mittels überschritten haben, erhalten einen

    Viertel des Mehrbetrages im folgenden Jahr durch die

    Kosten-Ausgleichsversicherung rückvergütet.

    Für Kassen mit mindestens 20'000 Versicherten beträgt der massgebliche

    Kostendurchschnitt gemäss Abs. 1 110 Prozent.

    Art. 16. Als kantonales Mittel gemäss Art. 15 gilt der Durchschnitt der

    Krankenpflegekosten je Mitglied aller st. gallischen öffentlichen

    Krankenkassen während der letzten drei Jahre, ausgenommen jener
der Kassen
   gemäss Art. 15 Abs. 2.

    Für Kassen gemäss Art. 15 Abs. 2 gilt als kantonales Mittel der

    Durchschnitt der Krankenpflegekosten je Mitglied aller st. gallischen
   öffentlichen Krankenkassen während der letzten drei Jahre.

    Massgebend ist das Ergebnis der vom zuständigen Departement jährlich
   veröffentlichten Statistik über die st. gallischen öffentlichen

    Krankenkassen.

    Art. 17. Die Aufwendungen der Kosten-Ausgleichsversicherung werden
durch
   eine Umlageprämie finanziert, die den Kassen aufgrund des letzten
   durchschnittlichen Bestandes der erwachsenen Mitglieder belastet wird.

    Die Kostenabrechnung und Prämienbelastung werden den Kassen in dem der

    Berechnungsperiode folgenden Jahr nach der Veröffentlichung der vom
   zuständigen Departement erstellten Statistik zugestellt."

    Der Zweck der hievor erwähnten Bestimmungen geht dahin, unter den
angeschlossenen Kassen einen teilweisen Ausgleich der Krankenpflegekosten
herbeizuführen, soweit diese je Mitglied einer Kasse einen bestimmten
Durchschnittsbetrag übersteigen. Bei diesem Ausgleichssystem ist es
indes ungewiss, ob die von einer Kasse in einem konkreten Schadenfall zu
erbringenden Vergütungen Ausgleichsleistungen des Beschwerdeführers zur
Folge haben werden. Dazu wäre gemäss Art. 15 Abs. 1 der Statuten des
Beschwerdeführers erforderlich, dass die betreffende Kassenleistung
einen Durchschnitt von über 105% des massgeblichen kantonalen
Mittels (mit-)verursacht. Eine allfällige Ausgleichspflicht des
Beschwerdeführers lässt sich aber erst im Rückblick auf das vergangene
Geschäftsjahr ermitteln, nämlich aufgrund der jährlichen Berechnung der
durchschnittlichen Krankenpflegekosten je Mitglied (während der letzten
drei Jahre) bei allen st. gallischen öffentlichen Gemeindekrankenkassen
und der betreffenden Einzelkasse (Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1
der Statuten des Beschwerdeführers). Im Zeitpunkt der Fälligkeit
einer bestimmten Kassenleistung besteht demnach grundsätzlich bloss
eine theoretische Möglichkeit, dass eventuell die dadurch verursachte
Belastung der Kasse eine Ausgleichspflicht des Beschwerdeführers auslösen
könnte. Allfällige künftige Ausgleichsleistungen hängen in diesem Zeitpunkt
weitgehend von noch unbekannten und nicht voraussehbaren Faktoren ab, so
etwa von der Frage, welche Krankenpflegekosten bei der jeweiligen Kasse im
laufenden Rechnungsjahr weiter anfallen (insbesondere, ob sich die Zahl
der kostenintensiven Krankheitsfälle überdurchschnittlich erhöht oder
vermindert) oder in welchem Masse die Krankenpflegeversicherungen aller
andern st. gallischen Gemeindekrankenkassen im gleichen Jahr belastet
wurden. Auch wäre zu beachten, dass die in Frage stehende Kassenleistung
in der Regel ohnehin nur einen kleinen und zufälligen Teilfaktor für die
Überschreitung der 105% des kantonalen Mittels bilden würde. Die bloss
theoretische Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer von der betreffenden
Kasse später beansprucht werden könnte - was eben während des laufenden
Rechnungsjahres wesentlich von zukünftigen Tatsachen abhängt und daher
in diesem Zeitraum nicht feststellbar ist -, begründet jedoch kein
hinreichendes prozessuales Rechtsschutzinteresse. Abzulehnen wäre aber
auch - allein schon aus Gründen der Praktikabilität -, den Entscheid
über die Beschwerdelegitimation bis zum Ablauf des Rechnungsjahres
hinauszuschieben und ein Beschwerderecht (rückwirkend) dann zuzuerkennen,
wenn die jährliche Durchschnittsberechnung eine Leistungspflicht des
Beschwerdeführers gegenüber der fraglichen Kasse ergibt.

    Aus dem Gesagten folgt, dass der Beschwerdeführer im vorliegenden
Fall nicht zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist, weil weder
aufgrund der statutarischen Bestimmungen zur Ausgleichsversicherung noch
aufgrund der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angenommen
werden kann, dass er im Sinne der Praxis durch den vorinstanzlichen
Entscheid in besonderer und unmittelbarer Weise betroffen ist. Wie es
sich hinsichtlich der Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers in den
übrigen Fällen des Art. 9 seiner Statuten (Leistungen bei Tuberkulose,
für Invalide usw.) verhält, kann hier offen bleiben.

Erwägung 4

    4.- Das Bundesamt für Sozialversicherung vertritt die Auffassung,
dass der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 103 lit. c OG zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt sei. Legitimiert ist nach
dieser Bestimmung "jede andere Person, Organisation oder Behörde,
die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt". Das Bundesamt
hält diese Voraussetzung als erfüllt, weil gemäss Art. 27 KUVG
Rückversicherungsverbände von der Aufsichtsbehörde anerkannt würden
und Art. 30ter KUVG auch Rückversicherungsverbände als "Beteiligte"
einschliesse. Dieser Argumentation kann jedoch nicht beigepflichtet werden,
ist doch eben gerade das die zu entscheidende Frage, ob generell oder unter
besondern Voraussetzungen ein Rückversicherer als "Beteiligter" im Sinne
von Art. 30ter KUVG qualifiziert werden kann. Auch mit dem Hinweis auf
Art. 27 KUVG ist nichts gewonnen, denn aus der dort erwähnten Anerkennung
lässt sich noch nicht die Eigenschaft als "Beteiligter" ableiten.
Die Legitimation des Beschwerdeführers zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ergibt sich somit auch nicht aus Art. 103 lit. c OG.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.