Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 133



106 V 133

32. Urteil vom 16. September 1980 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen von Roll AG und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Regeste

    Art. 5 Abs. 2 AHVG. Abschreibungen auf bedingt rückzahlbaren
Baubeiträgen des Arbeitgebers an das Eigenheim des Arbeitnehmers bilden
nicht Bestandteil des massgebenden Lohnes, soweit sich die Leistung im
üblichen Mass und in einem vernünftigen, insbesondere eine Umgehungsabsicht
ausschliessenden Verhältnis zum eigentlichen Arbeitsentgelt hält.

Sachverhalt

    A.- Die Firma von Roll AG gewährt ihren Mitarbeitern
"Wohnbausubventionen", die unter bestimmten Voraussetzungen rückzahlbar
sind. Der Baubeitrag wird von der Firma jährlich zu 1/10 abgeschrieben,
so dass der Mitarbeiter nach Ablauf von zehn Jahren der Firma nichts
mehr schuldet.

    Gestützt auf einen Arbeitgeberkontrollbericht vom 27. November 1978
erhob die Ausgleichskasse von der Firma eine Beitragsnachforderung auf
den ihren Mitarbeitern in den Jahren 1974-1977 gewährten Abschreibungen
im Gesamtbetrag von Fr. 645'067.-- (Verfügung vom 1. Februar 1979).

    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hiess eine hiegegen
erhobene Beschwerde mit der Feststellung gut, dass es sich bei den
fraglichen Zuwendungen nicht um Entgelt für geleistete Arbeit im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 AHVG handle. Unter Hinweis auf einen kantonalen Entscheid
vom 23. Dezember 1958 führte es aus, dass die Wohnbausubventionen völlig
unabhängig von der Arbeitsleistung gewährt würden, um den Schwierigkeiten
bei der Wohnungsbeschaffung zu begegnen. Wenn gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. b
AHVV Versicherungs- und Fürsorgeleistungen, soweit sie nicht als mittelbare
Lohnzahlung zu betrachten sind, vom Erwerbseinkommen ausgenommen seien,
habe dies auch für die in keinem Zusammenhang mit dem Lohn stehende
Sozialleistung der vorliegenden Art zu gelten.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides. Es macht im wesentlichen geltend, dass die
fraglichen Leistungen in engem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis
stünden und dass sie nach der gesetzlichen Regelung weder vom
Erwerbseinkommen noch (als Sozialleistungen) vom massgebenden Lohn
ausgenommen seien. Sie seien wirtschaftlich betrachtet nichts anderes
als in Form eines jährlichen Schuldverzichts gewährte Treueprämien, die
nach Art. 7 lit. c AHVV Bestandteil des massgebenden Lohnes bildeten. Ob
auch die vom Arbeitgeber gewährte zusätzliche Leistung in Form eines
Zinsverzichts zum massgebenden Lohn zu rechnen sei, könne im Hinblick
auf die geringe Höhe der Wohnbausubventionen offengelassen werden.

    Die Beschwerdegegnerin beantragt Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt
für in unselbständiger Stellung auf bestimmte Oder unbestimmte Zeit
geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche
Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis
zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst
worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen
(BGE 101 V 3 mit Hinweisen).

    Nicht zum Erwerbseinkommen und damit auch nicht zum massgebenden
Lohn gehören die in Art. 6 Abs. 2 AHVV genannten Leistungen. In Art. 8
AHVV werden ferner bestimmte Arbeitgeberleistungen vom massgebenden Lohn
ausgenommen, wobei die Liste der in dieser Bestimmung genannten Leistungen
abschliessend ist (BGE 101 V 4).

Erwägung 2

    2.- Demzufolge lässt sich die Beitragspflicht auf den streitigen
Arbeitgeberleistungen nicht schon damit verneinen, dass es sich nicht
um unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit handelt. Die Baubeiträge
fallen auch unter keine der in Art. 6 Abs. 2 und Art. 8 AHVV genannten
Ausnahmen. Sie können entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht
unter Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV subsumiert werden, da sie nicht in
Zusammenhang mit einer invaliditäts- oder altersbedingten Auflösung
des Arbeitsverhältnisses stehen und nicht Fürsorgecharakter im Sinne
der Verordnungsbestimmung aufweisen. Die Wohnbaubeiträge sind aber auch
in der Liste der gemäss Art. 8 AHVV vom massgebenden Lohn ausgenommenen
Arbeitgeberleistungen nicht erwähnt, noch können sie sinngemäss in einer
der genannten Leistungskategorien als enthalten gelten.

    Anderseits lassen sich die Wohnbaubeiträge keinem der in Art. 5 Abs. 2
AHVG und Art. 7 AHVV ausdrücklich genannten Bestandteile des massgebenden
Lohnes zuordnen. Es handelt sich insbesondere nicht um Treueprämien im
Sinne von Art. 7 lit. c AHVV, wie das Bundesamt für Sozialversicherung
annimmt. Als solche gelten Vergütungen, die vom Arbeitgeber - als Belohnung
für geleistete Dienste und als Anreiz für das Verbleiben am Arbeitsplatz
- nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren und hernach periodisch
wiederholt gewährt werden (BGE 101 V 5, ZAK 1976 S. 461). Im vorliegenden
Fall handelt es sich indessen um einmalige Leistungen, die zudem nicht
sämtlichen, sondern lediglich solchen Arbeitnehmern ausgerichtet werden,
die eine vom Arbeitsverhältnis unabhängige Voraussetzung erfüllen, welche
im Bau oder Erwerb eines Eigenheimes besteht. Der Verordnung lässt sich
somit keine auf den vorliegenden Fall unmittelbar anwendbare Bestimmung
entnehmen.

Erwägung 3

    3.- Bei der Beurteilung der Beitragspflicht auf den streitigen
Leistungen ist davon auszugehen, dass es sich um freiwillige
Sozialleistungen des Arbeitgebers handelt (vgl. ROOST, Freiwillige
Sozialleistungen - Bedeutung, Arten und Ausgestaltung, S. 70 ff.). Sie
sind als besondere Art von Vergünstigungen aufzufassen, wie sie in
verschiedenster Form (beispielsweise Einkaufsvorteile, unentgeltliche
oder verbilligte Dienstleistungen, Darlehen zu günstigen Bedingungen)
aus dem Arbeitsverhältnis fliessen und weit verbreitet sind. Solche
Vergünstigungen gehören grundsätzlich zum steuerbaren Einkommen
(vgl. MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, S. 89; KÄNZIG, Wehrsteuer, S. 119);
sie bleiben in der Praxis meist jedoch abgabefrei, zumal es sich häufig
um geringfügige und nur schwer erfassbare Leistungen handelt. Dies gilt
je nach Ausgestaltung auch für Leistungen des Arbeitgebers zum Zwecke
der Wohneigentumsförderung. So bleiben geringfügige geldwerte Vorteile
beispielsweise in Form von Hypothekardarlehen zu einem Vorzugszins in
der Regel steuer- und beitragsfrei. Zwischen Zinsvergünstigungen und
Abschreibungen auf Wohnbaubeiträgen des Arbeitgebers bestehen indessen
keine grundsätzlichen Unterschiede, die eine andere beitragsrechtliche
Beurteilung zu begründen vermöchten. Gemäss einem Beschluss des
Gesamtgerichts sind daher Leistungen der streitigen Art nicht als
Bestandteil des massgebenden Lohnes zu qualifizieren, soweit sie sich im
üblichen Mass und in einem vernünftigen, insbesondere eine Umgehungsabsicht
ausschliessenden Verhältnis zum eigentlichen Arbeitsentgelt halten.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdegegnerin gewährt Baubeiträge von höchstens
Fr. 7'500.--, welche sie jährlich zu 10% abschreibt. Die erbrachte
Leistung hält sich in verhältnismässig bescheidenem Rahmen und übersteigt
nicht das, was für Vergünstigungen dieser und ähnlicher Art als üblich
gelten kann. Die streitigen Leistungen sind daher nicht als Bestandteil des
massgebenden Lohnes zu qualifizieren, weshalb sie nicht der Beitragspflicht
unterliegen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.