Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 129



106 V 129

31. Urteil vom 19. September 1980 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen Schwitter und Rekurskommission des Kantons Glarus für die AHV Regeste

    Art. 4 AHVG und 6 Abs. 1 AHVV. Eigenleistungen beim Bau eines
Wohnhauses, die nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des
Beitragspflichtigen stehen und zu privaten Zwecken erfolgen, stellen
nicht eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit dar.

Sachverhalt

    A.- Melchior Schwitter ist als kantonaler Beamter tätig. Mit
Verfügungen vom 11. Januar 1979 unterstellte ihn die Ausgleichskasse
für die Jahre 1975 und 1976 der Beitragspflicht aus selbständiger
Erwerbstätigkeit bei einem massgebenden Jahreseinkommen von
Fr. 5'700.--. Sie stützte sich dabei auf eine Meldung der Steuerbehörde
vom 28. April 1978, wonach Melchior Schwitter für Eigenarbeiten an seinem
Ferienhaus für 1975 und 1976 mit einem Jahreseinkommen von Fr. 5'750.--
eingeschätzt worden ist.

    B.- Die Rekurskommission des Kantons Glarus für die AHV hiess eine
hiegegen erhobene Beschwerde im wesentlichen mit der Feststellung gut,
dass Melchior Schwitter nicht Selbständigerwerbender sei und dass der
Begriff der Erwerbstätigkeit im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei
(Entscheid vom 21. Mai 1979).

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides und Wiederherstellung der Kassenverfügungen
vom 11. Januar 1979. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung wird geltend
gemacht, Melchior Schwitter sei beim Bau seines Ferienhauses in einem Masse
tätig gewesen, dass der Wert der aufgewendeten Arbeit als Erwerbseinkommen
zu betrachten sei. Unerheblich sei, dass die Arbeit nicht in Zusammenhang
mit der Berufstätigkeit stehe, solange sie eine wirtschaftlich erhebliche
Tragweite habe und der Schaffung von Privatvermögen diene. Ohne Belang sei
auch, ob das Haus für den Eigengebrauch oder für den Verkauf bestimmt sei.

    Melchior Schwitter bringt hiegegen vor, praxisgemäss liege Einkommen
aus selbständiger Erwerbstätigkeit nur vor, wenn die Arbeitsleistung in
Zusammenhang mit der üblichen Erwerbstätigkeit stehe. Mit den streitigen
Eigenleistungen habe er weder ein Einkommen erzielt noch sei sein Einkommen
aus unselbständiger Erwerbstätigkeit hievon berührt worden. Zudem habe
sich die Arbeit nicht nur auf die Jahre 1975 und 1976, sondern auf einen
Zeitraum von vier Jahren erstreckt.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 23 Abs. 4 AHVV sind die Angaben der kantonalen
Steuerbehörden über das für die Beitragsberechnung massgebende
Erwerbseinkommen Selbständigerwerbender für die Ausgleichskassen
verbindlich. Von rechtskräftigen Steuertaxationen darf nur abgewichen
werden, wenn diese klar ausgewiesene Irrtümer enthalten, die ohne weiteres
richtiggestellt werden können, oder wenn sachliche Umstände gewürdigt
werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich
aber bedeutsam sind.

    Demgegenüber sind die Ausgleichskassen bei der Beurteilung der Frage,
ob überhaupt Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus selbständiger
oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht an die Meldungen
der kantonalen Steuerbehörden gebunden. Allerdings sollen sie sich bei der
Qualifikation des Erwerbseinkommens in der Regel auf die Steuermeldungen
verlassen und eigene Abklärungen nur vornehmen, wenn sich ernsthafte
Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben (BGE 102 V 30 Erw. 3).

Erwägung 2

    2.- Art. 21 WStB unterstellt Eigenleistungen insbesondere beim Bau
von Häusern nicht ausdrücklich der Steuerpflicht. Praxisgemäss fallen
als steuerbares Einkommen aber auch Arbeitsleistungen in Betracht, die
der Steuerpflichtige für sich selbst oder ohne Entgelt für Angehörige
erbringt (ASA 38 S. 375; KÄNZIG, Wehrsteuer, Ergänzungsband, N 15 zu
Art. 21 WStB). Nach MASSHARDT (Wehrsteuerkommentar, N 12 zu Art. 21 Abs. 1
lit. a WStB) stellt die blosse Einsparung von Auslagen durch Verrichtung
von Arbeiten und Diensten, die ordentlicherweise einem Dritten zur
Ausführung übergeben werden, noch kein Einkommen dar. Eigenleistungen
sind hingegen dann als steuerbares Einkommen zu erfassen, wenn dadurch
realisierbare Werte oder Mehrwerte entstehen. Sind diese Werte für den
Eigenbedarf bestimmt, so werden sie in dem Zeitpunkt zur Besteuerung
herangezogen, in dem sie erbracht bzw. hergestellt werden; sind sie
für den Verkauf bestimmt, so wird das steuerbare Einkommen erst im
Zeitpunkt der Veräusserung erzielt (ASA 47 S. 418). Eine einheitliche
Steuerpraxis, wonach Eigenleistungen beim Bau eines Wohnhauses, welches zum
Privatvermögen gehört, der Einkommenssteuer unterliegen, besteht indessen
nicht. Die Steuerpflicht wird zum Teil davon abhängig gemacht, dass die
durch die Eigenleistungen geschaffenen Werte oder Mehrwerte realisiert
werden. Begründet wird dies namentlich damit, dass der für die Annahme
steuerbaren Vermögens massgebende Wertzufluss erst mit der Veräusserung der
Liegenschaft erfolgt, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige hiefür mehr
erhält, als die Anlagekosten ausmachen (vgl. ZBl 1971 S. 26, 1970 S. 352).

Erwägung 3

    3.- a) Zum Erwerbseinkommen gemäss Art. 4 AHVG und Art. 6 Abs. 1
AHVV gehören jene Einkünfte, die einem Versicherten aus einer Tätigkeit
zufliessen und dadurch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen
(BGE 98 V 189, 97 V 28). Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt
entschieden hat, gehört zum Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
auch der Wert eigener Arbeitsleistung, die bei der Schaffung von
Privatvermögen, insbesondere beim Bau eines Hauses erbracht wird (ZAK
1969 S. 734; nicht veröffentlichte Urteile vom 23. Mai 1953 i.S. Eberhard
und vom 16. September 1975 i.S. Baumann). Im vorliegenden Fall stellt
sich die Frage, ob dies auch dann zu gelten hat, wenn es sich nicht um
Eigenleistungen handelt, welche der Beitragspflichtige im Rahmen seines
Betriebes für sich persönlich erbringt oder welche jedenfalls mit seiner
Berufstätigkeit in Zusammenhang stehen.

    b) In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass Eigenleistungen
beim Bau eines Wohnhauses durch Unselbständigerwerbende, die nicht im
Baugewerbe oder einem diesem verwandten Beruf tätig sind, sich meist in
bescheidenem Rahmen halten. Sie werden steuerlich in der Regel nur erfasst,
wenn sie vom Steuerpflichtigen ausdrücklich als Einkommen deklariert
werden, was die Ausnahme darstellen dürfte. Da zudem unterschiedliche
Rechtsauffassungen hinsichtlich der Steuerpflicht bestehen, ist eine
rechtsgleiche Behandlung der Steuer- und damit auch der Beitragspflichtigen
nicht gewährleistet.

    In beitragsrechtlicher Hinsicht kommt dazu, dass der Einkommensbegriff
des AHV-Rechts enger ist als derjenige des Wehrsteuerrechts. Er
umfasst lediglich Einkünfte, welche dem Versicherten aus einer
erwerblichen Tätigkeit zufliessen. An einem solchen Zufluss fehlt es
bei ausschliesslich zu privaten Zwecken erbrachten Eigenleistungen, die
sich in der Einsparung von Auslagen durch Verrichtung von Arbeiten,
die Ordentlicherweise Dritten zur Ausführung übergeben werden,
erschöpfen. Arbeitsleistungen, die der Geschäftsinhaber im Betrieb für
sich selber erbringt, führen zwar ebenfalls zu keinem Einkommenszufluss;
sie erfolgen jedoch im Rahmen der ordentlichen Erwerbstätigkeit und sind
häufig mit einer Schmälerung des Geschäftserfolges verbunden, weshalb
sich eine Beitragsbefreiung nicht rechtfertigen liesse. Demgegenüber
handeln Private, deren Eigenleistung nicht in Zusammenhang mit ihrer
Berufstätigkeit steht, nicht als Erwerbstätige, falls eine Realisation
der mit den Eigenleistungen geschaffenen Werte oder Mehrwerte nicht
vorgesehen ist.

    Aus den genannten Gründen gelangt das Gericht zum Schluss, dass
Eigenleistungen, die nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des
Beitragspflichtigen stehen und zu privaten Zwecken erfolgen, nicht zum
beitragspflichtigen Erwerbseinkommen gehören. Vorbehalten bleiben Fälle,
in welchen die Erbringung von Eigenleistungen zur Haupttätigkeit wird,
was namentlich dann zutrifft, wenn der Beitragspflichtige ein bestehendes
Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Eigenleistungen auflöst oder sich für
längere Zeit beurlauben lässt (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Mai
1953 i.S. Eberhard). Offen bleibt im übrigen, ob und gegebenenfalls
unter welchen Voraussetzungen die Beitragspflicht im Falle einer späteren
Realisation der zu privaten Zwecken geschaffenen Werte oder Mehrwerte zu
bejahen wäre.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdegegner ist als kantonaler Beamter tätig. Er
hat die Eigenleistungen an seinem Ferienhaus in der Freizeit und
den Ferien erbracht, und es spricht nichts dafür, dass er die dadurch
geschaffenen Werte zu realisieren beabsichtigt. Die Eigenleistung fällt
damit nicht unter die Beitragspflicht aus (nebenberuflicher) selbständiger
Erwerbstätigkeit, woran auch die Steuermeldung vom 28. April 1978 nichts zu
ändern vermag. Weil es im vorliegenden Fall um die Frage geht, ob es sich
hinsichtlich der streitigen Eigenleistungen überhaupt um Einkommen handelt,
sind die AHV-Organe nach dem eingangs Gesagten an die Steuermeldung
nicht gebunden. Der Steuermeldung kann umso weniger ausschlaggebende
Bedeutung beigemessen werden, als es an einer einheitlichen Steuerpraxis
zum fraglichen Sachverhalt fehlt.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.