Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 V 124



106 V 124

30. Urteil vom 4. Juli 1980 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zug gegen
Scherrer und Verwaltungsgericht des Kantons Zug Regeste

    Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, Art. 58 Abs. 1 und Art. 64 Abs. 1 VwVG,
Art. 72 BZP. Parteientschädigung im kantonalen Beschwerdeverfahren,
das gegenstandslos geworden ist.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 21. September 1979 verweigerte die
Ausgleichskasse des Kantons Zug Felix Scherrer Kostengutsprache für die
Behandlung seiner Augen und für Brillen, weil das Leiden die für die
Anerkennung als Geburtsgebrechen Nr. 425 erforderlichen Voraussetzungen
nicht erfülle.

    B.- Gegen diese Verfügung reichte Rechtsanwältin X. beim
Verwaltungsgericht des Kantons Zug am 22. Oktober 1979 Beschwerde
ein, indem sie darauf hinwies, dass Felix Scherrer auch an den
Geburtsgebrechen Nr. 426 und 427 leide; die Ärztin Dr. B. habe die
Invalidenversicherungs-Kommission von diesen beiden Geburtsgebrechen im
Sinne eines Wiedererwägungsgesuches bereits unterrichtet. Diese ärztliche
Mitteilung war in der Tat bereits am 24. September 1979 erfolgt, und am
17. Oktober 1979 hatte die Invalidenversicherungs-Kommission in Aufhebung
ihres früheren Beschlusses vom 20. September 1979 beschlossen, für die
Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 426 aufzukommen. Dieser Beschluss
wurde dem Vater des Versicherten mit Verfügung der Ausgleichskasse
vom 19. Oktober 1979 eröffnet. Die Invalidenversicherungs-Kommission
gab am 20. November 1979 dem kantonalen Verwaltungsgericht von
ihrem Beschluss Kenntnis und erachtete das Beschwerdebegehren
als unbegründet. Mit Verfügung vom 29. November 1979 schrieb der
Präsident des Verwaltungsgerichts die Beschwerde als gegenstandslos vom
Geschäftsverzeichnis ab und verpflichtete die Kasse, dem Beschwerdeführer
eine Parteientschädigung auszurichten.

    C.- Die Ausgleichskasse erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid betreffend die
Parteientschädigung aufzuheben. Sie begründete dies im wesentlichen
damit, dass es keinen obsiegenden Beschwerdeführer gebe, weil sich die
Beschwerde gegen eine Verfügung gerichtet habe, die im Zeitpunkt der
Beschwerdeerhebung bereits aufgehoben gewesen sei...

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG hat der im kantonalen
AHV-Prozess obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der
Prozessführung und -vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Aufgrund
dieser Bestimmung verhielt der vorinstanzliche Richter die Ausgleichskasse
zur Bezahlung einer Parteientschädigung an Felix Scherrer. Die Kasse
ihrerseits vertritt die Auffassung, Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG sei nicht
anwendbar, weil es im vorliegenden Fall gar keine obsiegende Partei gebe.

    In ähnlicher Weise wie die zitierte Vorschrift des AHVG bestimmt
Art. 64 Abs. 1 VwVG mit dem Randtitel "Parteientschädigung", dass
die Beschwerdeinstanz der ganz oder teilweise obsiegenden Partei eine
Entschädigung für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig
hohen Kosten zusprechen kann. Wie die Parteientschädigung zu bemessen
ist, wird gestützt auf Art. 64 Abs. 5 VwVG in Art. 8 der bundesrätlichen
Verordnung über die Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren
näher umschrieben. Art. 8 Abs. 7 schreibt vor: "Die Beschwerdeinstanz
setzt gegebenenfalls auch dann eine Parteientschädigung fest, wenn die
Beschwerde gegenstandslos wird, weil die Vorinstanz die angefochtene
Verfügung nach Art. 58 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zugunsten
des Beschwerdeführers in Wiedererwägung zieht." Zwar ist diese Bestimmung
auf das Verfahren vor den kantonalen Rechtspflegeinstanzen, die aufgrund
von Art. 69 IVG entscheiden, nicht anwendbar. Indessen rechtfertigt es
sich, in Anlehnung an Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 8 Abs. 7 der zitierten
Verordnung den Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG in dem Sinne auszulegen, dass
auch bei Gegenstandslosigkeit der Beschwerde eine Parteientschädigung
zugesprochen werden kann. Über deren Höhe ist aufgrund der Sachlage vor
Eintritt des Grundes der Gegenstandslosigkeit zu entscheiden (vgl. Art. 72
BZP).

Erwägung 2

    2.- Nachdem die Ärztin Dr. B. die heute streitige
Verfügung vom 21. September 1979 erhalten hatte, machte sie die
Invalidenversicherungs-Kommission mit Schreiben vom 24. September 1979
darauf aufmerksam, dass der Beschwerdeführer auch an den Geburtsgebrechen
Nr. 426 und 427 leide. Erst am 19. Oktober 1979 hob die Ausgleichskasse
ihre abweisende Verfügung wieder auf, indem sie Kostengutsprache für die
Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 426 gewährte. Diese Verfügung gelangte
frühestens am Samstag, den 20. Oktober 1979, in den Besitz des Vaters des
Versicherten. Am 22. Oktober 1979 lief aber die Frist zur Beschwerdeführung
gegen die Verfügung vom 21. September 1979 ab. Bei diesen Gegebenheiten
kann dem Vater des Versicherten kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er
noch am 19. Oktober 1979, also unmittelbar vor Ablauf der Beschwerdefrist,
die Rechtsanwältin X. konsultierte. Mit Recht hat daher der kantonale
Richter der Ausgleichskasse eine Parteientschädigung auferlegt.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.