Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 61



106 IV 61

21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1980 i.S. P.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 40 SVG, Art. 29 VRV. Licht- und Hupsignale als Aufforderung zur
Freigabe der Überholspur.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte P. am 6.  September

    1979 schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90
Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 40 SVG und Art. 29 Abs. 4 VRV und
bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 150.--.

    B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt P. Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache zum Freispruch.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Am 23. Januar 1978 fuhr der Beschwerdeführer mit seinem BMW
von Davos nach Zürich. Auf der Autobahn N 3 holte er bei der Ausfahrt
Thalwil den mit etwa 100-110 km/h fahrenden VW des V. ein. Bevor er ihn
überholen konnte, bog V. noch knapp vor ihm auf die Überholspur aus. Der
Beschwerdeführer gab ein Warnsignal, wozu er gemäss Vorinstanz berechtigt
war. V. quittierte mit einem Bremsmanöver, wobei er die Bremse nur
angetippt haben will, während gemäss Feststellung der Vorinstanz der
Beschwerdeführer einen Schikanestopp annehmen und diesen mit einem
Hupsignal beantworten durfte. V. blieb auf der Überholspur. Der
Beschwerdeführer gab mehrmals Signal mit akustischer und Lichthupe, um
ihn zu veranlassen, die Überholspur freizugeben. Dies, obwohl V. nun
seinerseits am Überholen war und daher noch nicht auf die Normalspur
einschwenken konnte und obwohl ein brüskes Einschwenken auf der nassen und
teils mit Schneematsch bedeckten Strasse hätte gefährlich werden können.

Erwägung 2

    2.- Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer verbotenerweise oder unnötig
und übermässig Signale gegeben und damit Art. 40 SVG/29 VRV verletzt hat.

    Das angefochtene Urteil vertritt die Auffassung, eine Ankündigung durch
Licht- oder Hupsignal sei nur gestattet, wenn an sich bereits genügend
Platz zum Überholen vorhanden ist und der Überholende lediglich sicher
sein will, dass der andere Fahrer keinen Fehler machen wird. Unzulässig
sei es dagegen, einen auf der linken Seite fahrenden Verkehrsteilnehmer
durch ein solches Signal aufzufordern, die linke Spur freizugeben.

    Das sei ein verbotenes "Weghupen" bzw. "Wegblinken".

    Diese Meinung findet im Strassenverkehrsrecht keine Basis und
widerspricht eindeutig der schweizerischen Gerichts- und Fahrpraxis.

    a) Nach Art. 35 Abs. 7 SVG ist dem sich ankündigenden, schneller
fahrenden Fahrzeug die Strasse zum Überholen freizugeben. Voraussetzung ist
also, dass das langsamere Fahrzeug zunächst auf der linken Strassenseite
bzw. auf der Überholspur führt und diese auf Signal des schnelleren
Fahrzeugs hin verlassen soll. Es handelt sich somit gerade nicht um das
Überholen eines bereits rechts fahrenden Fahrzeuges.

    Ankündigen kann sich der schnellere Fahrer durch Hupen oder ein
Lichtsignal.

    Letzteres wird durch Art. 29 Abs. 3 VRV gerade zu diesem Zweck
ausdrücklich zugelassen. Von einem unzulässigen "Wegblinken" ist entgegen
dem angefochtenen Urteil keine Rede.

    b) Viele Lenker von Autos und Motorrädern fahren chronisch links. Teils
ist dies schlechte Gewohnheit. Daneben gibt es Fahrer, die schikanös auf
der linken Fahrbahnhälfte bleiben.

    Es ist verkehrsfremd, wenn die Vorinstanz davon ausgeht, in diesen
Fällen habe der schnellere Fahrer zu warten, bis der die linke Bahn
blockierende Fahrer sie endlich freigibt.

    c) Das Bundesgericht hat mehrfach Fälle beurteilt, wo solche
Signale gegeben worden waren, um jemanden zur Freigabe der linken Spur
aufzufordern. Als selbstverständlich wurde von der Zulässigkeit dieser
Signalgabe ausgegangen, ohne dass die Frage überhaupt aufgeworfen worden
wäre (z.B. in BGE 105 IV 59 E. 5).

Erwägung 3

    3.- War somit der Beschwerdeführer an sich berechtigt, den vor ihm
auf der Überholspur fahrenden V. durch Signale aufzufordern, diese Spur
freizugeben, und ihm damit das Überholen zu ermöglichen, so bleibt zu
untersuchen, ob er von dieser Möglichkeit unnötig oder übermässig Gebrauch
gemacht hat.

    a) Wo die Grenzen liegen, ist weder den Bestimmungen noch der Praxis
eindeutig zu entnehmen. Da grundsätzlich auch Warnsignale möglichst zu
unterlassen sind (Art. 40 SVG, 29 VRV), ist davon auszugehen, dass Signale
auch als Aufforderung zur Freigabe der Überholspur nur zulässig sind,
wenn und soweit der Zweck dies wirklich erfordert und die Signalgabe
sinnvoll erscheint.

    So betrachtet darf signalisiert werden, wenn ein langsameres
Fahrzeug die linke Fahrbahn benutzt und ohne Gefährdung Dritter nach
rechts einbiegen könnte, es sei denn, dessen Führer habe erkennbar zum
Abbiegen oder Überholen eingespurt.

    Leistet der langsamere Fahrer trotz freier rechter Spur der
Aufforderung keine Folge, so ist auch eine Wiederholung des Signals
zulässig. Hat das langsamere Fahrzeug zum Abbiegen oder Überholen
eingespurt, führt es gerade ein Überholmanöver aus oder kann es (z.B. bei
Fahrt in zwei Kolonnen) nicht in eine genügend grosse Lücke auf der
rechten Fahrbanhälfte gefahrlos eingefügt werden, so ist höchstens ein
kurzes Signal zur Ankündung der Überholabsicht zulässig.

    Unzulässig ist dagegen ein wiederholtes Licht- oder Hupsignal und
erst recht ein ungeduldiges ständiges Signalisieren. Auch wo der Fahrer
des langsameren Fahrzeugs erkennbar die Signale beachtet hat, ihnen aber
keine Folge leistet, darf der von hinten kommende Fahrer nicht dauernd
die Hupe betätigen, sondern nur in Abständen ein neues Signal geben.

    b) Im vorliegenden Fall ist verbindlich festgestellt (Art. 277bis
Abs. 1 BStP), dass der Beschwerdeführer wiederholt beide Signale betätigte,
obwohl V. seinerseits am Überholen war, deswegen gar nicht nach rechts
einbiegen konnte und sich ein späteres brüskes Einschwenken auch wegen
der Rutschgefahr verbot. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz mit Recht
angenommen, der Beschwerdeführer habe unnötig und übermässig signalisiert.