Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 56



106 IV 56

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1980
i.S. K. gegen Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 36 Abs. 2 SVG, Art. 1 Abs. 8 VRV. Rechtsvortritt auf
Strassenverzweigungen.

    Nur wenn beim Zusammentreffen von zwei Verkehrswegen der eine
im Verhältnis zum andern offensichtlich als völlig untergeordnet und
praktisch bedeutungslos erscheint, darf angenommen werden, die Benützer
einer solchen Ausfahrt seien wartepflichtig.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, die Einmündung
der Neufeldstrasse sei für den auf der Buchholzstrasse fahrenden
Fahrzeuglenker selbst auf kurze Distanz kaum erkennbar, weil ein ca. 1,5
bis 2 m hoher Drahtzaum den optischen Eindruck mache, es handle sich
nur um eine Hofausfahrt oder dergleichen. Die Behauptung, ein hoher
Drahtzaum behindere die Sicht auf die Einmündung ist neu und unzulässig
(Art. 273 Abs. I lit. b BStP). Selbst wenn der Einwand zutreffen sollte,
könnte er den Beschwerdeführer nicht entlasten, da an unübersichtlichen
Verzweigungen hauptsächlich der Wartepflichtige die zur Vermeidung eines
Unfalles erforderlichen Vorkehren zu treffen hat. Dazu kommt, dass die
Neufeldstrasse beim Zusammentreffen mit der Buchholzstrasse sich zu einem
breiten Trichter ausweitet, so dass die Einmündung für jedermann, nicht
nur für den ortskundigen Beschwerdeführer, deutlich erkennbar ist.

    Sodann ist davon auszugehen, dass die beiden asphaltierten Strassen
nach dem Erscheinungsbild praktisch einander ebenbürtig sind, auch wenn
die Buchholzstrasse 8 m und die Neufeldstrasse rund 6 m breit ist. Dieser
geringe Unterschied in der Strassenbreite lässt die Neufeldstrasse
nicht als Ausfahrt, Feldweg oder dergleichen im Sinne des Art. 15 Abs. 3
VRV erscheinen. Zum gleichen Schluss führt auch die Verkehrsbedeutung
beider Strassen. Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz sind beide Verkehrswege Quartierstrassen in dicht besiedeltem
Wohngebiet. Zwar ist die Benutzbarkeit der Neufeldstrasse für den aus
der Buchholzstrasse kommenden Verkehr beschränkt, was aber noch nicht
auf eine schwache Verkehrsfrequenz schliessen lässt (BGE 91 IV 146). Die
Vorinstanz stellt im Gegenteil fest, der Verkehr auf der Neufeldstrasse
sei nicht viel geringer als auf der Buchholzstrasse. Hat aber diese Strasse
nicht die Eigenschaft einer Durchgangsstrasse mit starkem Verkehr und ist
die Neufeldstrasse nicht bloss ein schwach befahrenes Nebensträsschen, so
kann ihre Einmündung in die Buchholzstrasse keineswegs als blosse Ausfahrt
gemäss Art. 1 Abs. 8 Satz 2 VRV angesehen werden. Diese Ausnahmebestimmung
ist im Interesse möglichst klarer Verkehrs- und Vortrittsrechtsverhältnisse
einschränkend auszulegen. Der Fahrzeuglenker, namentlich der ortsunkundige,
muss sich darauf verlassen können, dass ohne abweichende Signalisierung der
von rechts Kommende den Vortritt hat, selbst wenn die zusammentreffenden
Strassen nach Anlage und Verkehrsbedeutung gewisse Unterschiede
aufweisen. Nur wo der eine Verkehrsweg im Verhältnis zum andern
offensichtlich als völlig untergeordnet und praktisch bedeutungslos
erscheint, darf angenommen werden, die Benützer einer solchen Ausfahrt
seien nach rechts und links wartepflichtig (vgl. BGE 101 IV 416 und dort
aufgeführte Entscheidungen).

    Die Einmündung der Neufeldstrasse in die Buchholzstrasse,
beides Nebenstrassen von nahezu gleicher Verkehrsbedeutung, hat daher
unzweifelhaft als Verzweigung zu gelten, an welcher der Beschwerdeführer
dem von rechts einbiegenden Fahrzeug den Vortritt zu gewähren und seine
Geschwindigkeit von 50-60 km/h rechtzeitig zu mässigen hatte (Art. 14
Abs. 1 VRV).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.