Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 52



106 IV 52

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. Januar 1980 i.S. A.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Vortritt.

    Wird ein aus einer Nebenstrasse in eine Verzweigung einbiegendes
Fahrzeug durch Verkehrsinseln in den Verkehrsstrom der Hauptstrasse
eingeführt, so untersteht es bei der Weiterfahrt der hiefür geltenden
Vortrittsrechtsordnung.

Sachverhalt

    A.- Am 9. September 1978 kam es in Steffisburg zwischen den von A. und
B. geführten Personenwagen zu einem Zusammenstoss. In die als Hauptstrasse
gekennzeichnete Bernstrasse münden an der sogenannten Stuckikreuzung zwei
Nebenstrasen, in Richtung Bern gesehen von links die Schwäbisstrasse und
von rechts die Stockhornstrasse.

    A. bog von der Schwäbisstrasse nach links, in Fahrtrichtung Bern,
in die Bernstrasse ein. Als er das Einbiegemanöver beinahe vollendet
hatte, stiess er - bereits auf dem Richtung Bern führenden Fahrstreifen -
von hinten gegen den aus der Stockhornstrasse nach rechts, ebenfalls in
Richtung Bern, in die Bernstrasse eingefahrenen Wagen des B.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte A. am 14. September
1979 wegen Fahrens mit übersetzter Geschwindigkeit (Art. 32 Abs. 1
SVG), mangelnder Aufmerksamkeit (Art. 31 Abs. 1 und 26 Abs. 2 SVG) und
ungenügender Rücksichtnahme (Art. 14 Abs. 2 VRV) zu Fr. 100.-- Busse.

    C.- Der Generalprokurator führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache
zur zusätzlichen Schuldigerklärung des A. wegen Missachtung des
Vortrittsrechtes zurückzuweisen.

    A. verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    II.4.- Der öffentliche Ankläger wendet sich gegen die Annahme
der Vorinstanz, A. habe gegenüber B. den Vortritt gehabt. Nach Art. 36
Abs. 2 Satz 1 SVG habe auf Strassenverzweigungen das von rechts kommende
Fahrzeug den Vortritt. Die elementare Regel des Rechtsvortritts habe
der Bundesgesetzgeber im hier zu beurteilenden Fall des Einmündens von
Nebenstrassen am gleichen Ort in eine Hauptstrasse in Art. 15 Abs. 2
VRV ausdrücklich aufrechterhalten. A. sei gegenüber B. wartepflichtig
gewesen, weil er nach links, B. dagegen nach rechts habe abbiegen wollen
(Art. 36 Abs. 3 SVG).

    a) Die Auffassung des Generalprokurators trifft zu für gewöhnliche
Kreuzungen ohne besondere Verkehrsregelung durch Markierungen oder Bauten
(vgl. Skizze I). Hier spurt der Linksabbieger A längs der Mittelachse
der Nebenstrasse ein und fährt, wenn die Hauptstrasse frei ist, in einem
Bogen nach links in diese ein. Dabei schneidet seine Fahrbahn diejenige
des B, der vor der Hauptstrasse rechts eingespurt hatte. Gemäss den vom
Generalprokurator angerufenen Bestimmungen ist hier B als Rechtsabbieger
vortrittsberechtigt, A ist wartepflichtig.

    b) Auf Kreuzungen mit intensivem Verkehr ist diese Regelung ungenügend
und unfallträchtig. Der Fahrer A muss oft lange Zeit warten, bis eine Lücke
in beiden Fahrströmen der Hauptstrasse ihm erlaubt, diese in einem Zug
zu überqueren. Es bildet sich hinter seinem Fahrzeug eine Kolonne. Er ist
versucht, bis zur Strassenmitte vorzufahren, wenn von links auf genügende
Distanz kein Fahrzeug naht. Muss er vor dem Verkehrsstrom von rechts
(C), dann wieder auf eine Lücke warten, so behindert er den Verkehr auf
der ersten Strassenhälfte. Kann er endlich in die 2. Fahrbahn einfahren,
so muss er möglicherweise auf den Fahrer B warten und versperrt inzwischen
der Kolonne C den Weg.

    Um diesen Nachteilen und Gefahren zu begegnen, werden häufig die
Verkehrsströme z.B. durch ein zentrales Rondell und in der Mitte der
einmündenden Strassen angebrachte Verkehrsinseln aufgeteilt und umgeleitet
(vgl. Skizze II).

    Der aus der Nebenstrasse nach links in die Hauptstrasse strebende
Fahrer A durchläuft nunmehr folgende Phasen: Er wird vor der Einmündung
durch die Verkehrsinsel 1 nach rechts geführt, spurt also nicht mehr an
der Strassenachse ein, sondern neben der Insel. Hinter den Drachenzähnen
wartet er, bis sich in dem von links kommenden Verkehr der näheren Fahrbahn
der Hauptstrasse eine Lücke zeigt. Hat er diese durchfahren, gelangt er
zwischen das Rondell und die Insel 2. Dort ist er wiederum wartepflichtig
gegenüber dem nun von rechts kommenden Verkehr auf der zweiten Bahn der
Hauptstrasse (C). Tut sich hier eine Lücke auf, so fügt er sich in diesen
Verkehrsstrom der Hauptstrasse ein und fährt mit ihm weiter. Sobald er
sich zwischen dem Rondell und der Verkehrsinsel 3 befindet, bildet sein
Fahrzeug einen Teil der Kolonne der Hauptstrasse. Damit ist er gegenüber
dem aus der Nebenstrasse einmündenden Fahrer B vortrittsberechtigt.

    Die Stuckikreuzung in Steffisburg ist in dieser Weise
ausgebaut. A. hatte somit gegenüber B. den Vortritt.

    c) Die Einwände des Anklägers halten nicht stand. Die Regelung bedeutet
nicht eine verkappte Einführung des Kreiselverkehrs. Für diesen typisch
ist eine einheitliche Vortrittsregelung der im Kreisel befindlichen
Fahrzeuge, meist durch Einführung der Wartepflicht für einmündende
Verkehrsteilnehmer (Burgernziel Bern, Maladière und Montchoisi Lausanne
usw). Die Verkehrsordnung nach der Skizze II und dem angefochtenen
Urteil hebt weder das Vortrittsrecht der auf der Hauptstrasse fahrenden
Verkehrsteilnehmer auf noch die Wartepflicht der aus den Nebenstrassen
kommenden Fahrzeuge. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen A, B und
C. Die durch das Rondell und die Verkehrsinseln bewirkte Umleitung der
Fahrströme führt dazu, dass gar keine direkte Begegnung der Wege von A
und B mehr stattfindet (wie gemäss Skizze I), sondern dass A zuerst in
den Fahrstrom C der Hauptstrasse eingeschleust wird, bevor er mit dem
Abbieger B aus der Nebenstrasse zusammentreffen kann.

    d) Die von der Vorinstanz im angefochtenen Urteil und schon früher
vertretene Auffassung verletzt somit kein Bundesrecht. Sie ist ausserdem
auch verkehrstechnisch richtig. Sie gewährleistet den ungehinderten Fluss
beider Verkehrsströme der Hauptstrasse. Gleichzeitig erleichtert und
beschleunigt sie den Verkehr aus den Nebenstrassen. Sie vereinfacht auch
die Erkennung der Vortrittssituation. Der wartepflichtige B hat allen von
links kommenden Fahrzeugen den Vortritt zu lassen, ohne beobachten oder
überlegen zu müssen, ob eines von ihnen ein Hauptstrassenbenützer von C
her ist oder ursprünglich wie A aus der Nebenstrasse kam. Ein von C her
in flüssiger Kolonne nahender Fahrer muss nicht damit rechnen, dass weiter
vom die Kolonne plötzlich anhält, weil ein von A her eingebogenes Fahrzeug
dem Rechtsabbieger B aus der Nebenstrasse den Vortritt gewähren muss.