Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 45



106 IV 45

15. Urteil des Kassationshofes vom 18. April 1980 i.S. Statthalteramt
des Bezirks Horgen gegen R. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 397 StGB, Art. 269 Abs. 1 und 273 Abs. 1 lit. b BStP; § 449
Ziff. 3 StPO/ZH.

    Der Beschluss, der ein Wiederaufnahmebegehren des Verurteilten
gestützt auf das kantonale Strafprozessrecht gutheisst, kann von der
Anklagebehörde nicht mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde wegen
Verletzung von Art. 397 StGB angefochten werden.

Sachverhalt

    A.- Als R. am 13. Dezember 1975 mit seinem Personenwagen auf der

    Sihltalstrasse bei Horgen durch den sog. Tunnelrank, einer mit einer
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h signalisierten Linkskurve fuhr, brach
das Heck seines Fahrzeuges unvermittelt nach rechts aus. R. verlor darob
die Herrschaft über den Wagen und fuhr vor entgegenkommenden Autos nach
links über die Sicherheitslinie und die Gegenfahrbahn gegen einen Baum.

    B.- Das Statthalteramt Horgen büsste R. am 6. Februar 1976
wegen "Nichtbeherrschens des Fahrzeuges infolge Nichtanpassens der
Geschwindigkeit an die gegebenen Verhältnisse" (Art. 31 Abs. 1 und 32
Abs. 1 SVG) mit Fr. 250.--.

    In einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung mit der
SUVA betreffend die Auszahlung von Versicherungsleistungen ergab
eine Expertise, dass R. nicht wegen zu hoher Geschwindigkeit ins
Schleudern geraten war, sondern weil er sein Fahrzeug vor kurzem mit
einer Mischbereifung (Vorderräder: bereits eingefahrene Fulda-Reifen;
Hinterräder: neue Good-Year G 800-Gürtelreifen) versehen hatte.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern verneinte deshalb am 31. Mai
1978 ein grobfahrlässiges Verhalten des R. und verpflichtete die SUVA zu
ungekürzten Versicherungsleistungen.

    C.- Am 9. Oktober 1979 verlangte R. unter Berufung auf das im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogene Gutachten die Revision
der Strafverfügung vom 6. Februar 1976.

    Das Obergericht des Kantons Zürich hob am 17. Dezember 1979
in Gutheissung des Wiederaufnahmebegehrens die gegen R. verhängte
Strafverfügung des Statthalteramtes Horgen auf und überwies die Akten an
diese Instanz mit dem Auftrag, einen neuen Entscheid zu fällen.

    D.- Das Statthalteramt Horgen führt Nichtigkeitsbeschwerde wegen
Verletzung von Art. 397 StGB. Es macht geltend, es habe die Tatsache,
dass R. einen Wagen mit Mischbereifung fuhr, im Strafmass berücksichtigt,
auch wenn dies in der Strafverfügung nicht ausdrücklich erwähnt worden sei.

    R. beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie überhaupt
einzutreten sei.

    Das Obergericht hat sich in seinen Gegenbemerkungen vom 11. März 1980,
die den Parteien zur Kenntnisnahme übermittelt wurden, dahin vernehmen
lassen, dass dem Statthalteramt auch im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten
des Verurteilten nach kantonalem Recht in Übertretungssachen Parteistellung
zukomme und in diesem Fall als öffentlicher Ankläger zu betrachten sei.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 397 StGB haben die Kantone gegenüber Urteilen, die
aufgrund dieses oder eines andern Bundesgesetzes ergangen sind, wegen
erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die dem Gerichte zur Zeit des
früheren Verfahrens nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens
zugunsten des Verurteilten zu gestatten. Art. 397 StGB enthält somit
eine Weisung an die Kantone, das Rechtsmittel der Revision zugunsten
des Verurteilten wegen neuer erheblicher Tatsachen oder Beweismittel in
ihre Strafprozessordnungen einzuführen und zu regeln. Dies ist indessen
nicht die einzige Funktion dieser Bestimmung. Nach der in BGE 69 IV
137 begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt Art. 397 StGB
im Sinne einer Minimalgarantie einen selbständigen bundesrechtlichen
Revisionsgrund zugunsten des Verurteilten auf, und kann die Verletzung
dieser Bestimmung mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat seinen das Wiederaufnahmegesuch des
Verurteilten gutheissenden Beschluss ausdrücklich auf § 449 Ziff. 3
StPO/ZH gestützt, wonach die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des
Verurteilten verlangt werden kann, "wenn Tatsachen und Beweismittel geltend
gemacht werden, die dem erkennenden Richter nicht bekannt gewesen waren
und welche allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Tatsachen die
Freisprechung des Angeklagten oder eine mildere Bestrafung rechtfertigen".

    Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass die Vorinstanz ihren
Beschluss zu Unrecht auf kantonales Recht statt auf Bundesrecht gestützt
habe. Ebensowenig wird geltend gemacht, die vom Obergericht im konkreten
Fall gegebene Auslegung des kantonalen Prozessrechts verstosse gegen
Bundesrecht, insbesondere gegen Art. 397 StGB. Die Auslegung und Anwendung
des kantonalen Rechts, hier § 449 Ziff. 3 StPO/ZH, durch die kantonale
Behörde aber ist der Kognition des Bundesgerichts im Verfahren der
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde entzogen. Kann schon aus diesem
Grunde auf die Beschwerde des Statthalteramtes Horgen nicht eingetreten
werden, braucht nicht untersucht zu werden, ob die Eingabe den in
Art. 273 BStP aufgestellten Anforderungen genügt, was vom Beschwerdegegner
bestritten wird, und ob die übrigen Eintretensvoraussetzungen überhaupt
erfüllt wären.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.