Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 43



106 IV 43

14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Januar 1980 i.S. A.
gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB.

    Macht ein Kanton die Strafverfolgung der Mitglieder seiner obersten
Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen Verbrechen oder Vergehen im
Amte vom Vorentscheid einer nicht richterlichen Behörde abhängig, so kann
diese Behörde auch aus ausserstrafrechtlichen, staatspolitischen Gründen
auf die Durchführung eines Strafverfahrens verzichten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) Nach welchen Kriterien der Vorentscheid über die Zulassung
der Strafverfolgung zu treffen sei, lässt sich Art. 366 Abs. 2 lit b StGB
nicht entnehmen. Indem der Bundesgesetzgeber den Kantonen die Möglichkeit
einräumte, die Strafverfolgung vom Vorentscheid einer nicht richterlichen
Behörde abhängig zu machen, anerkannte er, dass im Bereich staatlicher
Tätigkeit auch aus ausserhalb des Strafrechts liegenden Überlegungen
(Opportunitätsgründe, staatspolitische Erwägungen) auf ein Strafverfahren
verzichtet werden darf (eher für eine restriktive Interpretation: SCHULTZ,
Einführung I, 3. Aufl. S. 106; MUFF, Die Strafverfolgung gegen die obersten
administrativen und richterlichen Beamten der Kantone, Zürcher Diss. 1947,
insbesondere S. 122, 125/126). Ginge es beim Vorentscheid nur darum,
die Frage des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes (Art. 32 StGB)
zu prüfen oder abzuklären, ob ausreichende Verdachtsgründe vorhanden
sind, so wäre die Zuständigkeit einer nicht richterlichen Behörde weder
notwendig noch zweckmässig. Eine solche rein strafrechtliche Vorprüfung,
die lediglich einer besondern Anklagezulassung gleichkäme und die Anwendung
des materiellen Strafrechts in keiner Weise einschränken würde, müsste
im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich vorbehalten werden. Art. 366 Abs. 2
lit. b StGB beruht auf dem Grundgedanken, dass die obersten Vollziehungs-
und Gerichtsbehörden für ihre amtliche Tätigkeit vorab der übergeordneten
Instanz verantwortlich sind und dass diese übergeordnete Instanz nach
freiem Ermessen darüber entscheiden soll, ob wegen einer angeblich im Amt
begangenen Verfehlung die Einleitung eines Strafverfahrens gerechtfertigt
ist.

    Auf der Ebene des Bundes gilt nach den in Art. 366 Abs. 1 StGB
vorbehaltenen gesetzlichen Bestimmungen eine analoge Regelung. Das heute
massgebende Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 (SR 170.32) stellt
für die Erteilung oder Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung
von Parlamentsmitgliedern, Behördemitgliedern und Magistratspersonen
keine Richtlinien auf. Der Gesetzgeber überlässt es dem Ermessen der
eidgenössischen Räte zu bestimmen, ob die vorhandenen Verdachtsgründe
und die Bedeutung der angeblichen Verfehlung eine Strafverfolgung als
angezeigt erscheinen lassen. Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB gewährleistet
den Kantonen die Möglichkeit, auch ihrem kantonalen Parlament oder
einer andern nicht richterlichen Behörde die Befugnis zu geben, die
Mitglieder der Obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden nach freiem
Ermessen gegen ungerechtfertigte Strafverfahren zu schützen und dabei
ausserstrafrechtliche, staatspolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

    Ob die nach kantonalem Recht zuständige Behörde im zu beurteilenden
Einzelfall die bundesrechtlich zulässige Regelung des Kantons nicht
willkürlich ausgelegt und den Entscheid aus sachlich vertretbaren Gründen
getroffen hat, ist nicht eine Frage der Anwendung des Bundesrechts und
daher auf Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu prüfen.