Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 375



106 IV 375

92. Urteil des Kassationshofes vom 12. Dezember 1980 i.S. M. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 251 Ziff. 1 StGB.

    Unrechtmässig ist der mit einer inhaltlich unwahren Urkunde angestrebte
Beweisvorteil auch dann, wenn der falsche Beleg der Durchsetzung eines
berechtigten Anspruchs dienen soll (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- M. hat als Eigentümer über die in einem Mietobjekt
ausgeführten Renovationsarbeiten eine Abrechnung erstellt und sie vom
Maler N. quittieren lassen. Dieses Schriftstück verwendete er in der
Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Mieter als Beleg für die Höhe
der von diesem zu bezahlenden Instandstellungskosten und reichte es als
Beweismittel im Forderungsprozess dem Bezirksgericht Lenzburg ein. Die in
der von M. erstellten Abrechnung aufgeführten Zahlen entsprechen - entgegen
dem Anschein - nicht den effektiv an N. bezahlten Beträgen. M. liess
die Arbeiten in Regie durch von ihm engagierte Kräfte (Maler N. und einen
Hilfsarbeiter) ausführen und lieferte das Material. Nach den Feststellungen
im kantonalen Verfahren entspricht die mit der Abrechnung geforderte
Summe ungefähr den Kosten, welche bei Ausführung der Arbeiten durch ein
Malergeschäft entstanden wären.

    B.- Während das Bezirksgericht Lenzburg M. von der gegen ihn wegen
dieser Sache erhobenen Anklage des Betruges und der Urkundenfälschung
freisprach, erachtete das Obergericht den Tatbestand der Urkundenfälschung
als erfüllt und verurteilte M. deswegen sowie wegen einer in diesem
Verfahren nicht zur Diskussion stehender Sachbeschädigung zu 6 Wochen
Gefängnis.

    C.- Gegen den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung führt M.
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dass die von M. dem Bezirksgericht als Beweismittel eingereichte,
durch N. unterzeichnete Abrechnung eine Urkunde im Sinne von Art. 110
Ziff. 5 StGB darstellt, ist unbestritten. Das Schriftstück ist bestimmt
und geeignet, in der Auseinandersetzung mit dem Mieter zu beweisen,
welchen Betrag M. für die Instandstellung der Wohnung dem beauftragten
Handwerker bezahlt hat.

    Unbestritten ist auch, dass der Inhalt der Urkunde insofern unwahr ist,
als M. dem N. nicht die in der Abrechnung erwähnten Beträge vergütete,
sondern die Arbeit unter Beizug von N. in eigener Regie ausführen liess,
dementsprechend das Material und die Hilfskraft direkt bezahlte und den
Maler N. mit einem regulären Arbeitslohn (teilweise durch Kost und Logis)
entschädigte. Die Zahlung an einen beauftragten Handwerker, die mit der
Abrechnung belegt werden sollte, ist also in dieser Form und dieser Höhe
nicht erfolgt.

Erwägung 2

    2.- In der Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht in Abrede
gestellt, dass M. durch die Erstellung der inhaltlich unwahren Abrechnung
die objektiven Tatbestandselemente der Falschbeurkundung erfüllt hat. Der
Beschwerdeführer anerkennt die Unrechtmässigkeit der Urkunde, vertritt
aber die Auffassung, weil die vom Mieter mit der unrechtmässigen Urkunde
geforderten Renovationskosten nicht übersetzt gewesen seien, sei der durch
die inhaltlich unwahre Urkunde angestrebte Vorteil kein unrechtmässiger;
es fehle das subjektive Tatbestandselement des Art. 251 Ziff. 1 StGB.

    a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein unrechtmässiger
Vorteil auch darin, dass für einen an sich begründeten Anspruch wegen
Fehlens von Beweisen ein falscher Beleg geschaffen bzw. verwendet wird;
auch wer nicht einen materiell unrechtmässigen Anspruch durchsetzen
will, aber Beweisschwierigkeiten bei der Durchsetzung eines berechtigten
Anspruches durch eine falsche Urkunde zu überwinden sucht, verschafft sich
gemäss ständiger Praxis im Sinne von Art. 251 StGB einen unrechtmässigen
Vorteil (BGE 106 IV 42, 102 IV 34 E. 2c, 83 IV 81).

    b) Diese Rechtsprechung wird von STRATENWERTH kritisiert (Bes. Teil
II, 2. Aufl. S. 181). Er macht geltend, das Gesetz könne unmöglich den
Vorteil meinen, der schon im Beweiswert der Urkunde als solchem liege; der
Vorteil müsse vielmehr ein mit Hilfe des (unrechtmässigen) Beweiswertes
erstrebter sein, und wenn es insoweit um die blosse Durchsetzung
bestehender Rechte oder die Abwehr von Unrecht gehe, so sei das per
definitionem kein unrechtmässiger Vorteil.

    c) Würde man im Sinne dieser Argumentation den unrechtmässigen
Beweiswert nicht als unrechtmässigen Vorteil betrachten, sondern darauf
abstellen, ob der mit dem unrechtmässigen Beweis erstrebte materielle
Vorteil unrechtmässig sei, so hätte dies zur Folge, dass jede noch so
krasse Urkundenfälschung zur Durchsetzung eines berechtigten oder vom
Täter für berechtigt gehaltenen Anspruchs straflos bleiben müsste. Die
Grenze des Strafbaren könnte dabei natürlich nicht so gezogen werden,
dass nur jene Fälle straflos blieben, in denen aufgrund anderer Beweise
die Berechtigung des mit einer falschen Urkunde vertretenen Anspruchs
bewiesen wäre, sondern der Einwand, der Täter habe mit der falschen
Urkunde einen berechtigten Anspruch durchsetzen wollen und somit keinen
unrechtmässigen Vorteil angestrebt, wäre stets zu hören und könnte nur
mit dem Beweis widerlegt werden, dass der Täter bewusst einen materiell
nicht begründeten Anspruch mit Hilfe der falschen Urkunde durchsetzen
wollte. Für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Formulierung von
Art. 251 Ziff. 1 StGB jedem, der sich materiell im Recht glaubt, erlauben
wollen, zur Durchsetzung seines Rechtes mit falschen Urkunden zu operieren,
lassen sich keine sachlichen Gründe finden (vgl. zur Strafwürdigkeit:
CL. DU PASQUIER, Essai sur la nature juridique du faux en écriture,
thèse Lausanne 1909, S. 161 und 175).

    Stratenwerth kann sich zwar auf eine Fussnote von Hafter berufen
(HAFTER, Bes. Teil, 2. Hälfte S. 600 E. 3); doch fehlt dort für die
angegebene "Konsequenz" jede Begründung. Ob nicht schon der unrechtmässige
Beweisvorteil genüge, wird von Hafter nicht erörtet.

    Die weit gefasste Umschreibung des subjektiven Tatbestandselementes
("oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu
verschaffen") erlaubt und gebietet die Erfassung jedes strafwürdigen
Strebens nach einem unrechtmässigen Vorteil mittels falscher
Urkunden. Fälschungen als harmloser Scherz oder spielerische Unterhaltung
sollen straflos bleiben (SCHWANDER, 2. Aufl. Nr. 700). Wo hingegen die
Verwendung einer falschen Urkunde der Täuschung im Rechtsverkehr dient,
muss die Strafnorm nach ihrem Sinn und Zweck eingreifen, auch wenn der
Täter den nicht widerlegbaren Einwand erhebt, er habe mit der falschen
Urkunde einen berechtigten Anspruch durchsetzen wollen. An der bisherigen
Praxis des Bundesgerichts ist daher festzuhalten.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.