Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 330



106 IV 330

82. Urteil des Kassationshofes vom 8. Dezember 1980 i.S. B. gegen
Regierungsrat des Kantons Glarus (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 107 Abs. 3 OG. Fehlende Rechtsmittelbelehrung (E. 2).

    2. Art. 4 BV; Art. 42, 45 Ziff. 3 StGB.

    a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör besteht auch dort, wo die
Rückversetzung in die Verwahrung zwingend vorgeschrieben ist. Die
Verletzung des Anspruchs kann im Verfahren vor Bundesgericht geheilt
werden, wenn die Kognition des Bundesgerichts im konkreten Fall nicht
enger ist als jene der kantonalen Behörde (E. 3).

    b) Gegen den Rückversetzungsbeschluss kann nicht eingewendet werden,
das Urteil, in welchem seinerzeit die Verwahrung angeordnet worden
war, verstosse gegen Bundesrecht (E. 4a). Dass der Richter, der die vom
bedingt Entlassenen während der Probezeit verübten Straftaten beurteilte,
seinerseits nicht die Verwahrung angeordnet hat, ist unerheblich (E. 4b).

    c) Über die Mindestdauer der neuen Verwahrung ist im
Rückversetzungsbeschluss nicht zu befinden (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Mit Beschluss des Regierungsrates des Kantons Glarus vom 19. Juli
1977 wurde B. aus der vom Obergericht des Kantons Glarus am 17. Februar
1976 angeordneten Verwahrung im Sinne von Art. 42 StGB unter Ansetzung
einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen. B. verübte während der
Probezeit eine Reihe von Straftaten, namentlich Diebstähle, für die
er vom Bezirksgericht Zürich mit Entscheiden vom 12. April 1978 (ein
Urteil) und vom 12. Dezember 1979 (zwei Urteile) mit insgesamt 18 Monaten
Gefängnis unbedingt (abzüglich insgesamt 233 Tage Untersuchungshaft)
bestraft wurde. Daraufhin ordnete der Regierungsrat des Kantons Glarus
die Rückversetzung des B. in die Verwahrung gemäss Art. 42 StGB an. Der
Beschluss wurde B. samt Begründung mit Schreiben vom 9. Juni 1980
mitgeteilt.

    B.- Am 15. August 1980 reichte der Rechtsanwalt von B. eine
staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag auf Aufhebung des
Rückversetzungsbeschlusses. Soweit die Beschwerdefrist versäumt sein
sollte, sei sie wiederherzustellen.

    Der Regierungsrat des Kantons Glarus stellt in seiner Vernehmlassung
den Antrag, auf die staatsrechtliche Beschwerde sei wegen Offensichtlicher
Verspätung nicht einzutreten.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da gegen den Beschluss des Regierungsrates betreffend
Rückversetzung in die Verwahrung die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht offensteht (Art. 5 VwVG; Art. 97, 98 lit. g, 100
lit. f e contrario OG; vgl. auch Art. 7 Ziff. 3 des Reglements für
das Schweizerische Bundesgericht sowie BGE 102 Ib 36 E. 1) ist die
staatsrechtliche Beschwerde, mit der B. die Rügen der Verweigerung
des rechtlichen Gehörs und der Verletzung von Gesetzesrecht des
Bundes erhebt, unzulässig (Art. 84 Abs. 2 OG). Die Eingabe wird als
Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen (BGE 102 Ib 265 E. 1a,
98 Ib 87 E. 1a).

Erwägung 2

    2.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist dem Bundesgericht innert 30
Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen (Art. 106 Abs. 1 OG).
Nachforschungen durch die Post und bei der kantonalen Strafanstalt
Regensdorf haben ergeben, dass der angefochtene Regierungsratsbeschluss am
10. Juni 1980 der Verwaltung der Strafanstalt und von dieser gleichentags
dem Beschwerdeführer ausgehändigt wurde. Die Beschwerdeschrift hätte
daher spätestens am 10. Juli 1980 der Post übergeben werden müssen.

    Der Brief des Regierungsrates vom 9. Juni 1980, in welchem B. der
Rückversetzungsbeschluss samt Begründung mitgeteilt wurde, enthielt
indessen keine Rechtsmittelbelehrung. Mit Schreiben vom 17. Juli und
vom 8. August 1980 ersuchte daher der von B. inzwischen beigezogene
Rechtsanwalt den Regierungsrat des Kantons Glarus um Zustellung eines
anfechtbaren und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheides. Am
11. August 1980 antwortete der Regierungsrat schriftlich, dass es gegen
den am 9. Juni 1980 zugestellten Rückversetzungsbeschluss kein kantonales
Rechtsmittel gebe. Konnte der Entscheid des Regierungsrates nicht mit
einem kantonalen Rechtsmittel angefochten werden, so musste auf die
Möglichkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht,
die entgegen der in der Vernehmlassung des Regierungsrates enthaltenen
Andeutung ein ordentliches Rechtsmittel ist, hingewiesen werden. Die in
Art. 107 Abs. 3 OG vorgeschriebene Belehrung bezieht sich ja gerade auf
das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und die Vorschrift
richtet sich, soweit ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid mit
diesem Rechtsmittel angefochten werden kann, auch an die kantonalen
Behörden. Der Beschwerdeführer konnte erst aufgrund des Schreibens des
Regierungsrates vom 11. August 1980 erkennen, dass die Voraussetzungen
zur Einreichung eines Rechtsmittels an das Bundesgericht (Erschöpfung
des kantonalen Instanzenzuges) erfüllt waren; indem er seine Eingabe am
15. August 1980 der Post übergab, hat er sie auf jeden Fall rechtzeitig
eingereicht. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 3

    3.- B. hat während der an seine bedingte Entlassung aus der Verwahrung
gemäss Art. 42 StGB anschliessenden dreijährigen Probezeit eine Reihe von
Straftaten, namentlich Diebstähle, verübt, für welche er in drei Urteilen
zu unbedingten Gefängnisstrafen von gesamthaft 18 Monaten verurteilt
wurde. Da im Falle der Verwahrung nach Art. 42 StGB anders als bei jener
gemäss Art. 43 und 44 StGB die ausgefällte Strafe nicht aufgeschoben
wird, sondern die Massnahme an Stelle des Vollzuges der Zuchthaus- oder
Gefängnisstrafe angeordnet wird, hatte die zuständige Behörde nicht zu
prüfen, ob sie dem Richter den Vollzug aufgeschobener Strafen beantragen
oder aber die Rückversetzung anordnen soll (Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1
StGB). Sie konnte einzig die Rückversetzung in die Verwahrung anordnen
und musste dies tun, da die ausgefällten Freiheitsstrafen für die von
B. während der Probezeit begangenen Delikte drei Monate überstiegen.

    Obschon somit die Rückversetzung in die Verwahrung unter den gegebenen
Umständen zwingend vorgeschrieben war, hätte die Vorinstanz B. vor ihrem
Entscheid zumindest schriftlich anhören müssen (BGE 102 Ib 250, 98 Ib
175). Die Unterlassung einer solchen Anhörung wird in der Beschwerde
als Verweigerung des rechtlichen Gehörs gerügt. Da aber der Vorinstanz
bei ihrem Entscheid über die Rückversetzung des Beschwerdeführers in die
Verwahrung gemäss Art. 42 StGB nach dem Gesagten kein Ermessen zustand,
die Kognition des Bundesgerichts auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde
hin (s. Art. 104 lit. a und b, 105 Abs. 1 OG) in diesem Bereich mithin
nicht enger als jene der kantonalen Behörde ist, wird die Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Verfahren vor Bundesgericht
geheilt. Der Beschwerdeführer behauptet selber nicht, er wolle gegen die
Rückversetzung rechtliche oder tatsächliche Einwände vorbringen, die
vom Bundesgericht nicht oder nur in beschränktem Masse berücksichtigt
werden könnten, aber geeignet seien, den Entscheid der Vorinstanz zu
beeinflussen. Bei dieser Sachlage kann auch die an sich begründete Rüge der
Verweigerung des rechtlichen Gehörs nicht zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses führen.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer begründet seinen Antrag auf Aufhebung des
Rückversetzungsbeschlusses damit, dass das Urteil des Obergerichts des
Kantons Glarus vom 17. Februar 1976, in welchem die Verwahrung angeordnet
worden war, gegen Art. 42 StGB verstosse, wie schon das Bezirksgericht
Zürich in seinem Entscheid vom 12. April 1978 festgehalten habe, und dass
das Bezirksgericht Zürich seinerseits auf die Anordnung der Verwahrung
ausdrücklich verzichtet habe.

    a) Das Bezirksgericht Zürich hat in seinem Urteil vom 12. April 1978
(wie auch in jenem vom 12. Dezember 1979) von der Anordnung der Verwahrung
nach Art. 42 StGB abgesehen, da es namentlich die Voraussetzung der
vorsätzlichen Verübung zahlreicher Verbrechen oder Vergehen für nicht
erfüllt hielt. Es fügte an, dass nach der zürcherischen Praxis die
vom Obergericht des Kantons Glarus am 17. Februar 1976 angeordnete
Verwahrung noch nicht angezeigt gewesen wäre. Zum glarnerischen Urteil
hatte sich das Bezirksgericht Zürich indessen nicht zu äussern. Auch
das Bundesgericht kann im vorliegenden Verfahren nicht prüfen, ob das
obergerichtliche Urteil vom 17. Februar 1976, gegen welches B. die
einschlägigen Rechtsmittel zur Verfügung standen, vor Bundesrecht stand
halte. Der Hinweis des Beschwerdeführers darauf, dass Verfügungen, die in
sogenannte unverzichtbare und unverjährbare Grundrechte eingreifen, noch im
Vollstreckungsstadium angefochten werden können, geht schon deshalb fehl,
weil der die Verwahrung anordnende Entscheid keine Verwaltungsverfügung,
sondern ein formell und materiell rechtskräftiges gerichtliches Strafurteil
ist.

    b) Dass das Bezirksgericht Zürich hinsichtlich der von ihm zu
beurteilenden Straftaten nicht die Verwahrung gemäss Art. 42 StGB
angeordnet hat, ist entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht
unerheblich. Das Gesetz selber schreibt in Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1
StGB der zuständigen Behörde klar und eindeutig die Rückversetzung des
bedingt Entlassenen in die Verwahrung gemäss Art. 42 StGB vor, wenn dieser
während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, für das
er zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden
Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ob der Richter bei der Beurteilung
der vom bedingt Entlassenen während der Probezeit verübten Straftat
seinerseits erneut die Verwahrung nach Art. 42 StGB angeordnet hat -
was nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts zulässig ist (BGE
100 IV 137, 102 IV 70, 104 IV 61) - oder ob er aus irgendwelchen Gründen
darauf verzichtet hat, ist für die Frage der Rückversetzung belanglos.

Erwägung 5

    5.- Über den Zeitpunkt einer erneuten bedingten Entlassung des in
die Verwahrung nach Art. 42 StGB zurückversetzten B. wird die zuständige
Behörde später zu entscheiden haben. Dass im Falle der Rückversetzung
die Mindestdauer der neuen Verwahrung "in der Regel" 5 Jahre beträgt
(Art. 42 Ziff. 4 Abs. 3 StGB), schliesst eine bedingte Entlassung aus
der neuen Verwahrung vor Ablauf von 5 Jahren nicht aus (BGE 101 Ib 32
E. 2b; vgl. auch JÖRG REHBERG, Fragen bei der Anordnung und Aufhebung
sichernder Massnahmen nach Art. 42 bis 44 StGB, ZStR 93/1977 S. 220). Die
- in der Beschwerde nicht ausdrücklich beanstandete - Bemerkung des
Regierungsrates des Kantons Glarus in dem den Rückversetzungsbeschluss
mitteilenden Schreiben vom 9. Juni 1980, dass "die Mindestdauer der neuen
Verwahrung fünf Jahre beträgt", kann daher nur als orientierender Hinweis
auf die gesetzliche Regel des Art. 42 Ziff. 4 Abs. 3 StGB und nicht als
Verfügung über die Mindestdauer der Rückversetzung verstanden werden;
über diese Mindestdauer war im Rückversetzungsbeschluss nicht zu befinden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.