Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 279



106 IV 279

71. Urteil des Kassationshofes vom 28. Oktober 1980 i.S. L. gegen
Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Ungehorsam des Schuldners im Betreibungsverfahren.

    Art. 323 StGB geht als Sondervorschrift dem Art. 292 StGB vor,
sofern das Verhalten des Schuldners von der ersteren Bestimmung erfasst
wird. Andernfalls ist es nach Art. 292 StGB zu ahnden.

Sachverhalt

    A.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich büsste L. am 7.  Juni 1979
mit Fr. 50.--, weil er bei einer ihm durch das Betreibungsamt Zürich 2 am
11. Mai 1979 angekündigten Pfändung nicht anwesend war bzw. sich nicht
ausreichend hatte vertreten lassen (Art. 323 Ziff. 1 StGB) und weil er
ferner der schriftlichen Aufforderung des Betreibungsamtes, sich bis zum
18. Mai 1979 auf dem Amt einzufinden und über seine Vermögensverhältnisse
Auskunft zu geben, keine Folge gegeben hatte, obwohl ihm in der Vorladung
für den Fall der Nichtbeachtung Bestrafung mit Haft oder Busse angedroht
worden war (Art. 292 StGB).

    L. verlangte gerichtliche Beurteilung.

    Am 9. Januar 1980 sprach ihn der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichtes Zürich einzig des Ungehorsams gegen eine amtliche
Verfügung im Sinne von Art. 292 StGB schuldig und bestätigte die vom
Polizeirichteramt ausgefällte Busse von Fr. 50.--.

    Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 29. Juli 1980 eine
von L. gegen den letztgenannten Entscheid eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde ab.

    B.- L. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss
des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei unzulässig,
Übertretungen, welche gemäss Art. 323 StGB strafbar seien, unter
Anwendung von Art. 292 StGB mit Strafe, zu belegen. Zur Durchsetzung
betreibungsrechtlicher Anordnungen sei Art. 292 StGB nur subsidiär
anwendbar. Beide Vorladungen hätten dem Vollzug einer Pfändung dienen
sollen. Eine allfällige strafbare Handlung durch Nichtbefolgen dieser
Vorladungen falle unter Art. 323 StGB. Daran ändere nichts, dass auf
den Formularen für die Pfändungsankündigung des Kantons Zürich die
Strafandrohung des Art. 292 StGB vorgedruckt sei. Es sei abwegig,
wenn die Vorinstanz behaupte, die zweite Vorladung sei über Art. 323
Ziff. 1 StGB bzw. Art. 91 SchKG hinausgegangen. Die fortgesetzte
Oder wiederholte Übertretung des Art. 323 StGB werde nicht einfach
zum Straftatbestand des Art. 292 StGB. Es sei unverständlich, wie das
Obergericht behaupten könne, Art. 323 StGB enthalte keine Bestimmung, wie
zu verfahren sei, wenn der Schuldner auch auf wiederholte Aufforderung hin
einer Pfändungsankündigung fernbleibe. Eine wiederholte Übertretung von
Art. 323 StGB läge vor, wenn ein Schuldner aus strafrechtlich relevanten
Gründen einer Pfändungsankündigung wiederholt nicht Folge leiste. Es gehe
nicht an, diese Nichtbefolgung "bezüglich des Art. 323 StGB zu exkulpieren,
... dafür aber unter Art. 292 StGB zu subsumieren". Der Beschwerdeführer
habe davon ausgehen können, dass er sich bei der ersten Pfändung genügend
habe vertreten lassen, wie Art. 91 SchKG vorschreibe. Deshalb könne
auch die Nichtbefolgung der zweiten Vorladung nicht unter Art. 323
StGB fallen. Sie hätte vom Betreibungsbeamten auch nicht Art. 292 StGB
unterstellt werden dürfen.

Erwägung 2

    2.- Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung gilt Art. 292 StGB
als Auffangtatbestand, der nur subsidiär eingreift, wenn der Ungehorsam
keine speziellere Strafvorschrift des eidgenössischen Oder des kantonalen
Rechts erfüllt (BGE 100 IV 52, 97 I 471, 97 IV 70 Nr. 17, 70 IV 180, 69
IV 210 und die Hinweise; HAFTER, BT II S. 727; LOGOZ, N. 1 zu Art. 292
StGB; SCHWANDER, S. 492 Nr. 750 Ziff. 6; STRATENWERTH, II 2. Aufl. S. 298;
R. LOEPFE, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen, Diss. Zürich 1947 S. 97
ff. mit weiteren Literaturnachweisen). Soweit es sich um den Ungehorsam
des Schuldners im Betreibungsverfahren handelt, geht Art. 323 StGB als
Sondervorschrift dem Art. 292 StGB vor. Voraussetzung ist freilich,
dass es sich um einen Ungehorsam handelt, der von Art. 323 tatsächlich
erfasst wird. Wo das nicht zutrifft, kann Art. 292 StGB Platz greifen;
denn es besteht kein stichhaltiger Grund, seine Strafdrohung aus dem
Gebiet des Betreibungsverfahrens auszuschalten, wenn dessen besonderen
Strafbestimmungen den Ungehorsam nicht lückenlos erfassen (BGE 70 IV 180).

Erwägung 3

    3.- Art. 91 Abs. 1 SchKG verpflichtet den Schuldner, der Pfändung
beizuwohnen oder sich bei derselben vertreten zu lassen und - soweit dies
zu einer genügenden Pfändung nötig ist - seine Vermögensgegenstände sowie
seine Forderungen und Rechte gegenüber Dritten anzugeben. In der Regel wird
die Pfändung am Wohnsitz des Schuldners durchgeführt. Sie kann aber auch im
Amtslokal des Betreibungsamtes oder bei Fahrnisgegenständen, die sich nicht
in der Wohnung des Schuldners, aber noch im Betreibungskreis befinden,
am Ort der gelegenen Sache durchgeführt werden (JAEGER, N. 2 zu Art. 90
S. 244 sowie N. 4 zu Art. 89 S. 242). In diesen letzteren Fällen schliesst
die aus Art. 91 SchKG und dem daran anschliessenden Art. 323 Ziff. 1
StGB folgende Anwesenheitspflicht des Schuldners die Verpflichtung ein,
sich auf das Amtslokal bzw. an den genannten Ort zu begeben, um dort auch
die notwendigen Auskünfte erteilen zu können, wenn der Betreibungsbeamte
es verlangt (s. JAEGER, N. 3 zu Art. 91 SchKG). Diese Pflicht ist also
durch Art. 91 SchKG und Art. 323 Ziff. 1 StGB gedeckt, verhalten doch die
beiden Bestimmungen den Schuldner allgemein, der Pfändung beizuwohnen,
ohne diese Pflicht auf den Fall der Pfändung am Wohnsitz des Schuldners
zu beschränken.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall konnte die angekündigte Pfändung auf die
erste Vorladung hin nicht vollzogen werden, weil der Beschwerdeführer
ungenügend vertreten war. Er wurde deshalb ein zweites Mal persönlich
auf das Amtslokal des Betreibungsamtes vorgeladen, um dort über
seine Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben. Damit war die Pfändung
klarerweise ins Amtslokal verlegt, in welchem sich der Beschwerdeführer
auf Verlangen des Betreibungsbeamten einzufinden hatte, um seiner durch
Art. 91 SchKG und Art. 323 Ziff. 1 und 2 StGB gebotenen Anwesenheits-
und Auskunftspflicht zu genügen. Da er der zweiten Vorladung keine Folge
gab, hätte er nach Art. 323 StGB bestraft werden sollen; die amtliche
Verfügung ging nach dem Gesagten nicht über das hinaus, was dem Schuldner
schon durch jene Bestimmungen geboten war. Die Strafdrohung des Art. 292
StGB war deshalb fehl am Platz und hätte nicht zum Zuge kommen sollen.

    Dem kann nicht entgegengehalten werden, Art. 323 StGB bestimme nicht,
wie zu verfahren sei, wenn der Schuldner auf wiederholte Aufforderung
hin einer Pfändung fernbleibe. Der erste erfolglose Versuch der Pfändung
hatte zur Folge, dass die erste Pfändungsankündigung abgeändert werden
musste. Die zweite Vorladung, die mit der Verpflichtung zum persönlichen
Erscheinen des Schuldners die Pfändung auf einen neuen Termin ansetzte,
enthielt sinngemäss eine Wiederholung der Pfändungsankündigung mit
abgeänderten Auflagen. Ihre Nichtbefolgung konnte deshalb nach Art. 323
StGB geahndet werden, unbekümmert darum, dass der Beschwerdeführer schon
der ersten Vorladung nicht genügt hatte und deswegen strafrechtlich
verfolgt, aber aus subjektiven Gründen freigesprochen worden war. Diese
Lösung entspricht auch der Natur des Ungehorsamstatbestandes, mit
dem Widerhandlungen gegen Einzelverfügungen getroffen werden sollen
(s. F. BENDEL, Der Verwaltungszwang nach Bundesrecht, ZBJV 104, S. 300).

Erwägung 5

    5.- Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den Beschwerdeführer nach Art. 323
StGB bestrafe, sofern dies nach dem kantonalen Verfahrensrecht möglich
ist. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe davon ausgehen können,
dass er sich bei "der ersten Pfändung" genügend habe vertreten lassen,
weshalb er der zweiten Vorladung keine Folge habe leisten müssen, wurde vom
Obergericht bereits überzeugend und rechtlich unanfechtbar verworfen. Die
Wiederholung der Rüge ist mutwillig.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1. In teilweiser Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird
der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 29. Juli 1980
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.