Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 244



106 IV 244

63. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. August 1980 i.S. A.
gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 29 StGB, Wahrung der Antragsfrist.

    1. Von Bundesrechts wegen genügt ein mündlicher Strafantrag oder der
nur nach mündlicher Instruktion vom Anwalt gestellte Antrag (Erw. 1).

    2. Handelt der Verletzte durch einen Vertreter, so sind die
bundesrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, wenn der Vertreter vor Ablauf
der Antragsfrist bevollmächtigt worden ist und den Strafantrag fristgerecht
gestellt hat (Erw. 2, Präzisierung der deutschen und italienischen
Regesten von BGE 103 IV 71). Ob es einer schriftlichen Vollmacht bedarf,
ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wie schon im kantonalen Verfahren macht der Verteidiger geltend,
der Strafantrag sei verspätet. Der Beschwerdegegner habe seinen Anwalt
mündlich beauftragt, Ehrverletzungsklage einzuleiten. Das sei innert
Frist geschehen. Die schriftliche Vollmacht des klägerischen Anwalts sei
aber erst nach Ablauf der Antragsfrist eingereicht worden, der Antrag
daher ungültig.

    Die Art. 28-31 StGB, die den Strafantrag regeln, enthalten keine
Formvorschriften. Nach ständiger Praxis des Kassationshofes liegt ein
gültiger Strafantrag vor, wenn der Antragsberechtigte innert Frist bei
der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde und in der ebenfalls vom
kantonalen Recht vorgeschriebenen Form seinen bedingungslosen Willen
zur Strafverfolgung des Täters so erklärt, dass das Strafverfahren ohne
weitere Willenserklärung weiterläuft (BGE 105 IV 165, 103 IV 132). Soweit
das kantonale Recht nichts anderes vorschreibt, genügt also auch ein
mündlicher Strafantrag oder der nur nach mündlicher Instruktion vom Anwalt
gestellte Antrag.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz erklärt, es sei zwar richtig; dass § 60 StPO-AG
die Einreichung einer schriftlichen Vollmacht oder eine Erklärung
des Vollmachtgebers zu Gerichtsprotokoll für die Vertretung im
Privatstrafverfahren verlange. Fehle eine solche Vollmacht, so sei sie
innert angesetzter Frist nachzubringen, ansonsten auf die Klage nicht
eingetreten werde.

    Die Beschwerde kritisiert diese Auslegung. Werde die Vollmacht nicht
innert der Antragsfrist (also nicht nur innert der vom Richter angesetzten
Frist) eingereicht, so fehle ein gültiger Strafantrag.

    Damit kritisiert die Beschwerdeführerin die Auslegung kantonalen
Prozessrechts. An sich könnte dieses so ausgestaltet werden, wie es von
der Beschwerdeführerin postuliert wird (z.B.: "In Ehrverletzungssachen
hat der Kläger den Strafantrag innert der Frist von Art. 29 StGB entweder
selbst bei der zuständigen Behörde zu stellen oder durch einen schriftlich
bevollmächtigten Vertreter stellen zu lassen"). Ebenso gut ist das
Gegenteil möglich, nämlich der grundsätzliche Verzicht auf schriftliche
Vollmacht für einen patentierten Anwalt. Die Aargauer Lösung gemäss
angefochtenem Urteil liegt auf einer mittleren Linie. Das Bundesrecht
schweigt dazu und überlässt die Regelung den Kantonen.

    Verletzungen kantonalen Prozessrechts können mit Nichtigkeitsbeschwerde
nicht gerügt werden (Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP). Die
Behauptung in der Beschwerde, die Vorinstanz habe (zugleich) Bundesrecht
verletzt, ist unzutreffend. Freilich konnte die Beschwerdeführerin
irregeführt werden durch die deutsche (und italienische) Übersetzung der
Regeste von BGE 103 IV 71, wo steht, die Vollmacht (bzw. die Genehmigung)
müsse vor Ablauf der Frist des Art. 29 StGB "beigebracht" statt "erteilt"
werden ("fornita" statt "accordata").