Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 241



106 IV 241

62. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Oktober 1980 i.S. Z.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 13 Abs. 1. StGB.

    Erachtet die urteilende Behörde den Beschuldigten nicht für voll
zurechnungsfähig, darf sie nicht ohne psychiatrische Untersuchung über die
verminderte Zurechnungsfähigkeit befinden. Art. 13 Abs. 1 StGB gebietet
ihr, auch den Grad der Herabsetzung begutachten zu lassen. Trotz Verstoss
gegen diese Abklärungspflicht kann unter Umständen mangels Beschwer auf
die Beschwerde nicht eingetreten werden (E. 1b).

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, die
Vorinstanz habe zu Unrecht darauf verzichtet, die Zurechnungsfähigkeit
des Beschwerdeführers gemäss Art. 13 StGB untersuchen zu lassen. Zwar
sei Z. zufolge Süchtigkeit in leichtem bis mittlerem Grade verminderte
Zurechnungsfähigkeit zugebilligt und entsprechend strafmindernd
berücksichtigt worden. Eine schwere Drogensucht und infolgedessen eine
stark herabgesetzte Zurechnungsfähigkeit habe die Vorinstanz aber mit dem
Hinweis verneint, beim Beschwerdeführer seien in der Untersuchungshaft
keine ernsthaften Entzugserscheinungen eingetreten, und auf der Reise
nach Sri Lanka habe Z. sich mit dem Konsum von Haschisch und Alkohol
begnügen können. Diese Schlussfolgerung hätte sie nicht ohne Einholung
eines Gutachtens ziehen dürfen, da nach Art. 13 StGB auch dann zu verfahren
sei, wenn eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nicht zweifelhaft sei,
hingegen über den Grad der Herabsetzung Unklarheit herrsche.

    a) Nach Art. 13 Abs. 1 StGB ordnet die urteilende Behörde die
Untersuchung des Geisteszustandes des Beschuldigten an, wenn sie Zweifel
an dessen Zurechnungsfähigkeit hat oder wenn nach den Umständen des Falles
ernsthafter Anlass zu solchen Zweifeln besteht (BGE 102 IV 75; 98 IV 157).

    b) Erachtet die urteilende Behörde den Beschuldigten nicht für voll
zurechnungsfähig, darf sie folglich nicht ohne psychiatrische Untersuchung
über die verminderte Zurechnungsfähigkeit befinden. Art. 13 Abs. 1 StGB
gebietet ihr, auch den Grad der Herabsetzung begutachten zu lassen. Ein
Verstoss gegen diese Abklärungspflicht kann daher grundsätzlich mit
eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden (vgl. BGE 105
IV 163).

    Auf die Beschwerde ist hingegen nicht einzutreten, wenn die urteilende
Behörde dem Beschuldigten ohne Begutachtung mindestens die von diesem
behauptete Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zubilligt und nicht
ernsthaft mit einer noch grösseren Herabsetzung zu rechnen ist. In diesem
Fall hat der Kassationshof keinen Grund, die Einholung eines Gutachtens
zu veranlassen, da die allfällige Begutachtung keine Besserstellung
des Beschwerdeführers erwarten lässt und es bei ihm insoweit an einer
Beschwer fehlt. Der Schlechterstellung stünde - mangels Beschwerde seitens
der Anklage - das Verschlechterungsverbot entgegen. Im vorliegenden Fall
behauptet Z. eine stärkere Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit, als die
Vorinstanz sie ihm zugestand. Die entsprechende Rüge ist daher zu hören.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wurde u.a. wegen starken fortgesetzten
Betäubungsmittelkonsums verurteilt. Wie dem angefochtenen Entscheid zu
entnehmen ist, konsumierte Z. ab März 1976 (d.h. seit seiner letzten
Verurteilung wegen Betäubungsmittelkonsums) bis zu seiner Verhaftung am
21. März 1978 gesamthaft 4,5 kg Haschisch, 100 g Haschischöl und seit
Mitte September 1977 240 g Heroin.

    a) Schon 10 Dosen von 30-40 mg Heroin vermögen eine Abhängigkeit
zu erzeugen (vgl. BGE 105 IV 74). Auch der Genuss von Haschisch gilt
als gesundheitsschädlich (BGE 106 IV 230 E. b). Aufgrund des von der
Vorinstanz verbindlich festgestellten Drogenkonsums kann daher nicht
zum vornherein ausgeschlossen werden, dass die Zurechnungsfähigkeit des
Beschwerdeführers hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Straftaten in
starkem Grade vermindert war. Dies gilt umso mehr, als schwere psychische
Persönlichkeitsveränderungen zur Drogenabhängigkeit hinzutreten und die
Einsichts- und Handlungsfähigkeit zusätzlich belasten können (BGE 102 IV 75
f.). Die von der Vorinstanz im gegenteiligen Sinn herangezogenen Indizien
(vorübergehende Beschränkung auf Konsum von Alkohol und leichten Drogen;
keine schweren Entzugserscheinungen nach der Verhaftung) erlauben dem
Richter mangels der nötigen fachlichen Voraussetzungen ohne Befragung
von Sachverständigen noch kein sicheres Urteil über den streitigen Grad
der Zurechnungsfähigkeit.

    b) Hinzu kommt, dass die Vorinstanz den Grad, in welchem sie die
Zurechnungsfähigkeit von Z. als vermindert erachtet, reichlich allgemein
und unbestimmt umschrieb. Auf den geistigen Zustand des Beschwerdeführers
nahm sie keinen näheren Bezug. Das Bundesgericht verlangt zwar nicht,
die Auswirkung eines Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgrundes auf die
Strafzumessung ziffernmässig anzugeben. Sind die Ausführungen über Art und
Wirkungsweise abnormer Zustände und deren Folgen auf das Strafmass aber
derart allgemein gehalten wie hier, lassen sie Unsicherheiten bestehen,
die mit der aus Art. 13 StGB und Art. 277 BStP folgenden Abklärungs-
und Feststellungspflicht nicht mehr vereinbart werden können.

    Demnach muss die Beschwerde dahin gutgeheissen werden, dass Ziff. 2
des angefochtenen Urteils aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird mit der Weisung, nach Einholung eines Gutachtens
gemäss Art. 13 StGB den Grad der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit
des Beschwerdeführers näher festzustellen und alsdann über eine allfällig
weitere Herabsetzung der Strafe zu bestimmen.