Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 20



106 IV 20

7. Urteil des Kassationshofes vom 18. März 1980 i.S. K. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 140 Ziff. 2 StGB.

    Trifft die im Gesetz umschriebene Tätereigenschaft auf die juristische
Person zu, so ist es bei Schweigen des Gesetzes eine Frage der Auslegung
des betreffenden gesetzlichen Tatbestandes, ob diese Eigenschaft auch
die natürliche Person kennzeichnet, welche die Handlung als Organ
(im strafrechtlichen Sinn) der juristischen Person begangen hat. Für
Art. 140 Ziff. 2 StGB trifft dies zu.

Sachverhalt

    A.- Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat am 27.

    September 1979 den Entscheid des Strafgerichts Basel-Stadt vom
7. April 1978 im wesentlichen bestätigt, durch den K. wegen wiederholter
qualifizierter Veruntreuung und anderer Delikte zu drei Jahren Zuchthaus
verurteilt wurde.

    B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt K., das Urteil des
Appellationsgerichtes sei insoweit aufzuheben, als es den Beschwerdeführer
wegen qualifizierter Veruntreuung verurteilt hat.

    Appellationsgericht und Staatsanwaltschaft beantragen Abweisung
der Beschwerde.

    C.- Eine von K. gegen das Urteil des Appellationsgerichts eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde wies der Kassationshof des Bundesgerichts
am 17. März 1980 ab, soweit er darauf eintrat.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden,
dass die angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze; die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist indessen mit staatsrechtlicher
Beschwerde geltend zu machen (Art. 269 BStP).

    Das verkennt der Beschwerdeführer, wenn er in seiner
Nichtigkeitsbeschwerde geltend macht, die Vorinstanz habe mit der Bejahung
seiner persönlichen Bereicherung den Grundsatz "in dubio pro reo"
verletzt. Diese Maxime ist kein selbständiger Satz des Bundesrechts;
sie geht nicht weiter als das aus Art. 4 BV abgeleitete Verbot der
willkürlichen Beweiswürdigung, dessen Missachtung mit staatsrechtlicher
Beschwerde gerügt werde kann (BGE 100 IV 269 E. 1, 96 I 144). Der
Beschwerdeführer hat dies übrigens getan, seine Rüge wurde aber im Urteil
des Bundesgerichts vom 17. März 1980 als unbegründet abgewiesen. Soweit
K. in der Nichtigkeitsbeschwerde erneut behauptet, die Vorinstanz habe
mit der Annahme der persönlichen Bereicherung den erwähnten Grundsatz
missachtet, ist darauf nicht einzutreten.

    b) Abgesehen davon ist das Fehlen einer tatsächlichen persönlichen
Bereicherung entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen
Auffassung offensichtlich kein Strafmilderungsgrund im Sinne von Art. 64/65
StGB.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, den Tatbestand der
Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in subjektiver und
objektiver Beziehung erfüllt zu haben. Er macht aber geltend, die
Vorinstanz habe zu Unrecht das Vorliegen von Qualifikationsmerkmalen im
Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB bejaht.

    a) Qualifiziert ist die Veruntreuung nach Art. 140 Ziff. 2 StGB
unter anderem, wenn der Angeklagte die Tat "als ... berufsmässiger
Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufs, Gewerbes oder
Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht
...". Die Vorinstanz hat beides bejaht.

    Der Beschwerdeführer wendet dagegen sinngemäss ein, die Übertragung
der qualifizierenden Eigenschaften der Bank auf den Beschwerdeführer
verletze den Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1 StGB), wie
schon aus Art. 172 StGB hervorgehe. Zwar sei er faktisch und rechtlich
in Basel Filialleiter gewesen; trotzdem sei er von der Zentrale in New
York abhängig gewesen und es habe ihm daher als Bankangestellten und
Kundenberater die Selbständigkeit eines Vermögensverwalters gefehlt (BGE
69 IV 164 f.). Die behördliche Ermächtigung schliesslich sei nicht ihm,
sondern der Bank erteilt worden.

    b) Werden strafbare Handlungen im Geschäftsbetrieb von juristischen
Personen begangen, so sind hierfür die natürlichen Personen strafbar,
welche sie verübt haben. Selbst dort, wo die juristische Person haftet
(angelsächsisches Strafrecht; Zivilrecht), haftet sie grundsätzlich
nur neben der fehlbaren natürlichen Person. Art. 172 und 326 StGB,
Art. 6 VStrR und zahlreiche Vorschriften des Nebenstrafrechtes sind somit
Ausdruck einer allgemeinen Regel und lassen daher keinen Umkehrschluss zu
(BGE 105 IV 175 E. 3). Trifft die im Gesetz umschriebene Tätereigenschaft
auf die juristische Person zu, so ist es bei Schweigen des Gesetzes eine
Frage der Auslegung des betreffenden Tatbestandes, ob diese Eigenschaft
auch die natürliche Person kennzeichnet, welche die Handlung als Organ
(im strafrechtlichen Sinn) der juristischen Person begangen hat (BGE 100
IV 41 f. mit Hinweisen auf BGE 78 IV 39, SCHULTZ u. SCHWANDER).

    Dabei ist zu beachten, dass die juristische Person gar nicht anders
als durch natürliche Personen handeln kann. Der Kunde der Bank seinerseits
übergibt sein Vermögen nicht einer abstrakten Fiktion, sondern fachkundigen
Leuten, die von andern Leuten in der Bank ausgewählt werden und die
namens der Bank das Vermögen Zur getreuen und berufsmässigen Verwaltung
entgegennehmen.

    Wer als Angestellter einer Bank für die Verwaltung von Kundenvermögen
(mit) verantwortlich ist, ist daher - entgegen BGE 69 IV 164 f. -
berufsmässiger Vermögensverwalter im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB. Wer
innerhalb einer Bank eine Tätigkeit verrichtet, derentwegen die Bank der
behördlichen Bewilligung bedarf, übt einen durch die Behörde ermächtigten
Beruf im Sinne dieser Bestimmung aus (vgl. BGE 103 IV 18). Dies folgt aus
der teleologischen Auslegung des Gesetzes. Ob die Bank als juristische
Person konstituiert ist oder nicht, kann für die Umschreibung des
Täterkreises von Art. 140 StGB keine Rolle spielen.

    Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend macht, die
Kunden hätten ihr Vermögen nicht ihm, sondern der Bank anvertraut, stellt
er sich in Widerspruch zu seinem Antrag, wonach er wegen Veruntreuung
gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB zu verurteilen sei; hinsichtlich
des Tatbestandsmerkmals des Anvertrautseins besteht zwischen Ziff. 2 und
Ziff. 1 von Art. 140 StGB kein Unterschied.

    c) Indem der Beschwerdeführer ausdrücklich anerkennt, den
Grundtatbestand von Art. 140 StGB erfüllt zu haben, anerkennt er zu Recht,
dass ihm in der Bank die Stellung eines Organs zukam. Der strafrechtliche
Organbegriff ist weiter als der zivil- und handelsrechtliche;
er schliesst alle Personen ein, welche im Rahmen der Tätigkeit der
Gesellschaft eine selbständige Entscheidungsbefugnis haben (BGE 100 IV 42
E. 2c). Das trifft auch zu, wenn sie diese mit anderen teilen (kollektive
Zeichnungsberechtigung, Kollegialorgane). Sie wird auch nicht dadurch
ausgeschlossen, dass ein Organ der Aufsicht oder Kontrolle höherer Organe
unterstellt ist, sofern ihm ein genügender Bereich eigener Entscheidung
eingeräumt ist.

    K. hatte seit ca. 1966 in der Firma A. die Verantwortung für die
Anlageberatung und Kundenbetreuung im Wertschriftensektor inne. In dieser
Eigenschaft warb er hauptsächlich im Ausland eine grosse Anzahl von Kunden
an. In der Folge betreute er eine Anzahl dieser Nummernkontoinhaber als
"Customerman" auch selbst. Im Mai 1970 übernahm er zudem die Gesamtleitung
der A. Filiale in Basel. Als Kundenbetreuer konnte er über die Konti
der ihm anvertrauten Kunden verfügen, ohne dass er dazu die Bewilligung
eines übergeordneten Organs der Bank einholen musste; zudem konnte er der
Buchhaltung der Bank direkt entsprechende Anweisungen erteilen. Damit
kam dem Beschwerdeführer offensichtlich die Stellung eines Organs im
strafrechtlichen Sinne zu.

Erwägung 3

    3.- Die angebliche Verletzung von Art. 68 StGB schliesslich begründet
K. mit keinem Wort, weshalb auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten
ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.