Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 106 IV 138



106 IV 138

43. Urteil des Kassationshofes vom 14. Mai 1980 i.S. F. gegen
Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 103 Abs. 2 SSV (alt Art. 73 Abs. 4).

    Verbotssignale verpflichten nur, wenn sie klar und ohne weiteres in
ihrer Bedeutung erkennbar sind (Bestätigung der Praxis).

Sachverhalt

    A.- F. wurde vom Polizeirichteramt der Stadt Zürich im
Ordnungsbussenverfahren gebüsst. Der Einzelrichter in Strafsachen am
Bezirksgericht Zürich fand ihn mit Urteil vom 23. August 1979 einer
Übertretung nicht schuldig und sprach ihn frei.

    Auf Nichtigkeitsbeschwerde des Polizeirichteramtes erklärte das
Obergericht des Kantons Zürich F. am 14. Februar 1980 der wiederholten
Verletzung von Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1
SVG sowie Art. 27 und 46 Abs. 4 SSV schuldig und bestrafte ihn mit einer
Busse von Fr. 80.--.

    B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt F. Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils und Freisprechung.

    Das Polizeirichteramt beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer wurde gebüsst, weil er seinen Personenwagen
im Januar 1979 nach 20 Uhr auf dem Trottoir vor dem Hause Rämistrasse 4
bzw. 6 in Zürich parkiert hatte.

    Am strassenseitigen Trottoirrand auf der Höhe der Häuser Rämistrasse
4 und 6 befand sich bis Oktober 1979 eine Signaltafel, die im oberen
Teil das Signal 230 (Halten verboten; seit 1. Januar 1980: Signal 2.49)
und in der unteren Hälfte links das Signal 231 (Parkieren verboten; jetzt:
Signal 2.50) und rechts die nähere Umschreibung: Trottoir 0700-1900 aufwies
(vgl. nebenstehend).

    Der Beschwerdeführer und der Einzelrichter legten das Signal dahin
aus, dass auf der Strasse ein unbeschränktes Halteverbot gelte, während
auf dem Trottoir am Tag das Parkieren verboten (also nur das Ein- und
Ausladen gestattet) sei, nachts aber keine Beschränkung bestehe.

    Das Polizeirichteramt und die Vorinstanz sind dagegen der Ansicht, der
untere Teil der Tafel erlaube ausnahmsweise am Tag das Ein- und Ausladen,
im übrigen aber gelte für Strassenrand und Trottoir ein vollständiges
Halteverbot.

    Nachdem der Einzelrichter den Beschwerdeführer freigesprochen hatte,
wurde das Signal geändert.

Erwägung 2

    2.- Der Polizeirichter ist der Meinung, die frühere Signaltafel sei
völlig eindeutig. Die Vorinstanz anerkennt, dass solche kombinierten
Tafeln vom Automobilisten "grössere Aufmerksamkeit und auch die grössere
Fähigkeit, logische Überlegungen anzustellen, verlangen als andere
Signale".

    Als lic. nat. oec. mit einem "Studium, in welchem die
Rechtswissenschaft eine nicht untergeordnete Rolle spielt ... wäre es dem
Verzeigten zuzumuten gewesen, bei der Beantwortung der Frage, ob er auf dem
Trottoir parkieren dürfe, doch differenziertere Überlegungen anzustellen,
als er es getan hat".

Erwägung 3

    3.- Von einer völlig eindeutigen Signalisierung kann keine
Rede sein. Beide Auslegungen lassen sich vertreten. Insbesondere
ist die Argumentation der Vorinstanz mit ihrem Hinweis auf andere
Halteverbotstafeln mit Ausnahmeerlaubnis schon deshalb untauglich, weil
es sich in jenen Fällen immer um die unterschiedliche zeitliche Regelung
für eine einheitliche Verkehrsfläche handelt. Im vorliegenden Fall aber
geht es um die Parkordnung einerseits für den Strassenrand, anderseits
für das Trottoir. Eine im Bereich des Fahrbahnrandes signalisierte
Parkierungsbeschränkung gilt an sich nicht nur für die Strasse, sondern
auch für das angrenzende Trottoir (SSV Art. 27 Abs. 2, seit 1. Januar 1980:
Art. 30 Abs. 2). Für dieses kann jedoch eine abweichende Ordnung bestehen.

    Die umstrittene Signalisierung hat durch das Wort Trottoir für dieses
ausdrücklich eine abweichende Ordnung vorgeschrieben. Sie bestand darin,
dass am Tag nur zum Ein- und Aussteigen bzw. -laden angehalten, aber nicht
parkiert werden durfte. Für die Nachtstunden wurde keine Beschränkung
signalisiert.

    Eine solche Ordnung ist in vielen Städten anzutreffen und entspricht
den normalen Verkehrsbedürfnissen. Am Tag, wo ein reger Verkehr von
Fussgängern, zum Teil mit Kinderwagen usw. herrscht, sollen auch breite
Trottoirs möglichst frei bleiben. Zudem sollen nicht durch Zufahrt
auf die Trottoirs und Wegfahrt zusätzliche Gefahrensituationen auf der
Strasse geschaffen werden. Nachts fallen diese besonderen Interessen
an Einschränkungen fort. Zudem besteht am späten Abend oft ein höherer
Bedarf an längerer Parkierzeit (Theater, Kino, Übernachten, etc.).

    Gewiss können die Verkehrsbedürfnisse auch so liegen, wie sie vom
Polizeirichter geltend gemacht wurden: In einer Ladenstrasse soll tagsüber
wenigstens das Ein- und Ausladen vom Trottoir aus, ohne Störung des
rollenden Verkehrs, möglich sein. Nachts dagegen will man Strassenrand
und Trottoir autofrei halten. Diese besondere Interessenlage ist aber
ganz offensichtlich die Ausnahme.

Erwägung 4

    4.- Der Kassationshof hat sich in ständiger Rechtsprechung dahin
geäussert, dass Verbotssignale nur verpflichten, wenn sie klar und
ohne weiteres in ihrer Bedeutung erkennbar sind und der Signalordnung
entsprechen. Auch der ortsfremde Verkehrsteilnehmer muss ein Verbot
unzweideutig als solches erkennen können. Das gilt vor allem für den
rollenden Verkehr, doch sollen auch Parkierungsbeschränkungen diesen
Anforderungen genügen, so dass sich ein Fahrzeugführer während der
Fahrt ohne weiteres Rechenschaft geben kann, ob und wie das Aufstellen
beschränkt wird (BGE 104 IV 204, 100 IV 74, 86 IV 112; SSV Art. 73 Abs. 4,
seit 1. Januar 1980: Art. 103 Abs. 2).

Erwägung 5

    5.- Die fragliche Signaltafel erfüllt diese Voraussetzungen, soweit
für die Strasse ein Anhalteverbot angeordnet wird. Dagegen fehlt es
an einer klaren Ordnung für das Trottoir. Der ausdrückliche Hinweis
"Trottoir" erlaubt den Schluss, dass dort entgegen der allgemeinen Regel
das für die Strasse signalisierte Halteverbot keine Gültigkeit hat. Für
die Tagesstunden wird ein Parkverbot auf dem Trottoir signalisiert. Was
während der Nachtstunden gilt, ergab sich zur massgebenden Zeit aus der
Signaltafel nicht.

    Bei dieser Sachlage kann nicht von einem rechtswirksam signalisierten
Nachtparkverbot für das Trottoir gesprochen werden.

Erwägung 6

    6.- Was die Vorinstanz dagegen einwendet, schlägt nicht durch. Die
von ihr postulierte Auslegung der damaligen Signaltafel ist zwar möglich,
drängt sich aber durchaus nicht auf. Auf alle Fälle kann nicht von einem
unzweideutig signalisierten und daher gültigen Verbot die Rede sein.

    Der Einwand, der Beschwerdeführer als akademisch gebildeter Mann
mit gewissen Rechtskenntnissen hätte das Verbot als solches erkennen
sollen, geht doppelt fehl. Einmal ist - wie oben dargetan - die von
der Vorinstanz gegebene Auslegung keineswegs einleuchtend, auch nicht
für den Einzelrichter und die ständig mit dem Strassenverkehrsrecht
befassten Mitglieder des Kassationshofes des Bundesgerichts. Zum andern
kommt es für die Gültigkeit einer Signalisierung nicht darauf an, ob
allenfalls ein Akademiker mit Rechtskenntnissen nach intensivem Studium
auf deren wirklichen Sinn kommt. Enthält ein Signal nicht ein für den
Durchschnittsstrassenbenützer sofort klar erkennbares Verbot, so ist
letzteres nicht gültig.

    Zurückzuweisen ist auch die Argumentation der Vorinstanz, wonach
bei derartigen Tafeln vom Automobilisten grössere Aufmerksamkeit und
die Fähigkeit zu logischem Denken verlangt werden müsse und bei ihrer
Auslegung nicht leichthin ein Irrtum zugebilligt werden dürfe, da sonst
die Durchsetzung des Verbots illusorisch würde. In der Schweiz gilt, dass
gestattet ist, was nicht ausdrücklich verboten wurde. Im Zweifel ist ein
Verbot zu verneinen, nicht umgekehrt. Tafeln, die Verbote signalisieren,
müssen so gestaltet werden, dass es keiner besonderen Aufmerksamkeit und
logischer Ableitungen bedarf, um die Existenz eines Verbotes zu erkennen.

Erwägung 7

    7.- Ist gemäss obigen Ausführungen ein Verbot des nächtlichen
Parkierens auf dem Trottoir nicht rechtsgültig signalisiert worden,
so entfaltet es keinerlei Wirkungen.

    Es ist darum unerheblich, ob der Beschwerdeführer ein oder mehrmals
dort parkiert hat und ob ihm nach dem ersten Mal ein Bussenzettel
unter den Scheibenwischer gesteckt wurde. Es verhält sich nicht anders,
als bei einem noch nicht oder nicht gültig publizierten Verbot. Auch in
solchen Fällen kommt weder dem an sich richtigen Signal noch einer ersten
Verzeigung irgend ein Einfluss auf die Rechtsverbindlichkeit des Verbotes
zu (vgl. BGE 99 IV 166).

    Eine Berufung auf Rechtsirrtum bzw. die hiegegen von der Vorinstanz
vorgebrachten Gründe gehen an der Sache vorbei. Die Nichtigkeitsbeschwerde
ist schon deshalb gutzuheissen, weil von vorneherein kein gültiges
Verbotssignal betreffend das Nachtparkieren auf dem Trottoir vorhanden war.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Februar 1980 aufgehoben und
die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz
zurückgewiesen.